Die jüngsten Überwachungsskandale bei großen deutschen Firmen sollten jeden alarmieren.

Berlin. Handy, Laptop, Auto, Wohnung - ausgespäht und ausgehorcht mit Mitteln, die überall zu kaufen sind. Nie war es so einfach, seine Privatsphäre zu verlieren. Wie diese Probe aufs Exempel zeigt.

Es ist fünf vor zwölf. Der Countdown läuft. Ich habe einem Ex-Geheimdienstagenten den Auftrag erteilt, mich auszuforschen, gläsern zu machen. Heimlich in mein Auto, Hotelzimmer, Handy und Laptop einzudringen. Um Punkt zwölf Uhr wird er sich an meine Fersen heften. Genau das tun, was Nachrichtendienstler, Zielfahnder, Wirtschaftsagenten oder Privatdetektive so machen, wenn sie jemanden ins Visier nehmen: mir möglichst viele Geheimnisse abjagen. 48 Stunden habe ich dem Undercover-Ermittler gegeben, meine Privatsphäre auszuhebeln. Der Spion meinte, er habe für solche Operationen meist mehr Zeit, aber auch "die schnelle Nummer" sei kein Problem.


Sein Handwerk hat er bei der Stasi gelernt, sagt er. Menschen überwachen ist noch immer sein Beruf. Sonst spioniert er im Auftrag von Unternehmen oder Privatpersonen, die sich das leisten können und keine Skrupel kennen.

Die Uhr tickt. Der Spion liegt auf der Lauer. Ich mache alles genau so wie sonst auf Dienstreisen auch, wenn ich Protagonisten und Informanten treffe. Im beschaulichen Berlin-Kladow suche ich mir ein Hotel, beziehe Zimmer Nummer 13. Es liegt im ersten Stock und besitzt ein annehmbares Sicherheitsschloss. So eines, mit dem Millionen ihre Wohnungen, Häuser oder Geschäfte abschließen.

Ich entscheide mich für einen Besuch im wenige Kilometer entfernten Schwimmbad. Den Hotelzimmerschlüssel nehme ich mit. Ist sicherer, als ihn an der Rezeption zu lassen, denke ich. Im Schwimmbad schalte ich mein Handy aus, verstaue die Sachen im Spind.

Was der Agent anstellt, während ich schwimme, erfahre ich zwei Tage später: Er öffnet meinen Spind mit dem passenden Pick. Sein Einbruchssortiment besteht aus zwei Dutzend solcher gebogenen Eisenhaken. Er trägt es immer bei sich. Binnen Sekunden hat er den Schrank auf. Der Spion schnappt sich den Hotelschlüssel, checkt mein Handy. Weil es aus ist, lässt er es liegen. Er hat zwar eine Spionagesoftware dabei (solche Programme, etwa FlexiSpy, gibt es für rund 150 Euro im Netz), kann sie aber nur auf das Handy laden, wenn es an ist.

Er schließt den Spind wieder zu und schlüpft in eine Umkleidekabine. Mit dem Schlüsselkopiersystem Quick-Key (kostet 300 Euro, passt in jede Hosentasche) dupliziert er meinen Hotelschlüssel in drei Minuten: Eine schnell härtende Silikonmasse speichert den Abdruck des Schlüssels, der dann über einem Mini-Bunsenbrenner mit einer Eisenlegierung ausgegossen wird. Mit der Schlüsselkopie hat der Spion jetzt freien Zutritt zu meinem Hotelzimmer.

Mein Auto präpariert er praktisch im Vorübergehen: Er bückt sich, als schnüre er die Schuhe - in Wirklichkeit befestigt er einen GPS-Sender mit Magneten und Plastikschutzgehäuse unter dem Wagen. Der Sender ist klein wie ein Feuerzeug, die Installation ein Handgriff. Mithilfe des Senders kann der Agent an seinem Computer jetzt fast auf den Meter genau verfolgen, wo sich mein Auto gerade befindet. Die Batterie hält zwei Tage - lange genug für diesen Auftrag.

Der Agent fährt zum Hotel, betritt Zimmer 13, klappt meinen Laptop auf. Er ist ausgeschaltet. Auf die Schnelle hat der Spion - wie beim Handy - keine Chance, sein Schnüffelprogramm zu installieren (das sogenannte Rootkit kann man ebenso im Internet für 70 Euro herunterladen). Stattdessen versteckt er einen Peilsender (300 Euro, Reichweite einige Hundert Meter) in meiner Arbeitstasche.

Danach fotografiert er Seiten aus meinem Adressbuch. Er hat es nur auf ein paar Namen von Kollegen und Freunden abgesehen. Denn er will mir in Kürze eine Nachricht auf mein Handy schicken. Und in die Betreffzeile einen mir bekannten Namen schreiben, damit ich die Nachricht auch wirklich öffne und nicht etwa lösche. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, bei mir aber gar nicht nötig: Ich öffne alle Nachrichten.

Zufrieden verlässt er mein Zimmer. Der GPS-Sender an meinem Auto meldet, dass ich auf dem Rückweg bin.

Seit dem Mauerfall arbeitet der Undercover-Agent wie viele seiner Ex-Geheimdienstkollegen aus Ost und West in der Überwachungsbranche, als "Informationsbeschaffer, Datensammler, Schwachstellenanalytiker und Problemlöser". Der Umgang mit Spezial-Einbruchswerkzeug, Spionageelektronik und Spitzelsoftware ist so normal für ihn wie für den Maler Pinsel und Farbeimer, sagt er später.

Bei diesem 48-Stunden-Auftrag arbeitet der Spitzel mit einem Elektronikspezialisten zusammen. Dieser Berater stellt das Equipment zur Verfügung. Er ist zwei Meter groß und trägt nur Schwarz. "Wer möchte, darf mich Mister Q nennen", sagt er. "Ich verhalte mich streng konspirativ. Das liegt in meinem Interesse - und natürlich im Interesse meiner Kunden."

Mister Q entwickelt Spionagetechnik. Er gehört zu den Besten, kennt die Angriffstechniken - und weiß auch, wie man sich am effizientesten vor Hightech-Spionageangriffen schützt. Man kann Mister Q anrufen und ihn beauftragen, wenn man glaubt, dass man abgehört oder ausgespäht wird. "Sicherheit beinhaltet ein Bündel von Maßnahmen", erklärt Mister Q: "Ein seriöses Sicherheitskonzept fängt beim Abhörschutz an und endet bei der Zutrittssicherung." In seinen beiden Werkstätten in der Wohnung und im Keller fertigt er unter dem Stereomikroskop vor allem Audio- und Videowanzen. Sie liefern einen kristallklaren Ton und gestochen scharfe Farbbilder. Er tüftelt an Peilsendern, Körperschallmikrofonen und Aufsperrwerkzeugen. Das ist völlig legal. "Der Besitz von Wanzen ist grundsätzlich erlaubt", sagt Mister Q. "Strafbar macht sich nur, wer die Wanzen und Überwachungskameras in fremden vier Wänden oder ohne richterliche Genehmigung in Kugelschreibern, Steckdosen, Rauchmeldern und Wechselsprechanlagen installiert, sie also in Gegenständen des täglichen Gebrauchs tarnt."

Am späten Abend sitze ich im Restaurant. Ich checke die Nachrichten auf dem Handy. Was ich nicht ahne: Auch der Spion hat eine Nachricht geschickt. Und einen Trojaner drangehängt: Die Spionagesoftware manipuliert mein Handy so, dass fortan bei ein- und ausgehenden Anrufen automatisch eine Konferenzschaltung zum Spion eingerichtet wird. So hört er jedes meiner Telefonate mit - von mir unbemerkt. Er kann jede SMS, meine Kontakt- und Anruflisten lesen. Der kleine Peilsender in meiner Arbeitstasche gibt ihm meine genaue Position an.

Während ich schlafe, pirscht der Spitzel sich wieder an mein Auto heran. Er steckt einen dünnen Spreizkeil aus Plastik von oben in die Tür. Mit einem aufblasbaren Luftkissen biegt er die Tür gerade so weit auf, dass er arbeiten kann: Mit einer Spezialzange aus der Medizintechnik führt er die Audiowanze (400 Euro) ins Wageninnere ein und lässt sie hinter den Fahrersitz plumpsen. Die Alarmanlage meines Autos springt nicht an, weil sie übers Schloss scharf gestellt ist. Dann entfernt der Spitzel Spreizkeil und Luftkissen, der chirurgische Eingriff in mein Auto ist abgeschlossen, die Wanze funkt.

Während ich frühstücke, installiert der Lausch- und Spähangreifer in meinem Zimmer eine Überwachungskamera (350 Euro) - versteckt hinter den Lüftungslamellen des Kleiderschranks. Hinter dem Bild neben dem Bett befestigt er mit Klebeband eine weitere Audiowanze. Dann setzt er sich in sein Auto und wartet. Sobald ich das Zimmer betreten habe, aktiviert er Wanze und Kamera per Fernbedienung. Auf dem Videoscanner (800 Euro) sieht er, über einen Empfänger (600 Euro) hört er, was ich in Zimmer Nummer 13 mache.

Nachdem er bereits Auto, Handy und Hotelzimmer gekapert hat, ist der Laptop das Einzige, worauf er noch keinen Zugriff hat. Er hat in der Kürze der Zeit nur eine Chance: Er muss ihn angeschaltet in die Hände bekommen. Und er hat Glück: Als am Abend Besuch kommt, versetze ich aus Bequemlichkeit meinen Laptop in den Ruhezustand. Ein grober Fehler. Die Zeit, die ich mit dem Besuch in einem Lokal verbringe, nutzt der Spitzel, um das Spionageprogramm auf dem Computer zu installieren. Das Rootkit gibt dem Spion die volle Kontrolle über meinen Computer. Er kann Textdateien und E-Mails lesen, meiner Surf-Spur durchs Netz folgen, mein Passwort und meinen Kontostand sehen - alles. Für ihn sitze ich jetzt nackt im Glashaus.

Sein Job ist lange vor Ablauf der 48-Stunden-Frist erledigt. Das macht nachdenklich. Und ganz schön Angst. Mister Q hat am nächsten Tag, nach der Analyse des schnellen Lausch- und Spähangriffs, noch eine Bitte. Er will, dass ich sein Körperschallmikrofon teste. Zehn Jahre hat er daran getüftelt und es ständig verbessert. Er könne damit sogar durch einen halben Meter dicke Betonwände hören. Der Preis des Super-Ohrs: 2500 Euro.

Ich klebe das Körperschallmikrofon an zwei Wände irgendwo in Berlin. Die Installation dauert keine Minute. Das Hightech-Ohr fängt die Luftschwingungen im Zielobjekt, die an die Wand prallen, auf und verstärkt sie. Ich setze mir die Kopfhörer auf. Einmal lausche ich weit in die Lagerhalle eines Freundes, den ich natürlich vorher um Erlaubnis fragte, hinein. Ein anderes Mal höre ich sogar in astreiner Stereoqualität das Ticken des Weckers im Schlafzimmer von ebenfalls eingeweihten Bekannten. Dass so etwas möglich ist, hatten auch sie nicht geahnt.