Der SPD-Kanzlerkandidat zeigt sich siegessicher. Er verspricht: Wir wollen die Arbeitslosigkeit besiegen.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Steinmeier, die Große Koalition hat mitten in der Wirtschaftskrise den Wirtschaftsminister ausgewechselt. Wie groß ist der Vertrauensverlust?

Frank-Walter Steinmeier:

Richtiger ist: Die Union - oder noch genauer: die CSU - hat Hals über Kopf den Wirtschaftsminister ausgewechselt. Scheindebatten über Steuersenkungen vor Weihnachten, Personaldebatten jetzt: All das zeigt, dass der Union im Moment die Orientierung fehlt, was in der Krise zu tun ist. Die Konzepte gegen die Krise kommen jedenfalls von der SPD, sei es die Umweltprämie oder das kommunale Investitionsprogramm.



Abendblatt:

Was sollte Karl-Theodor zu Guttenberg anders machen als sein Vorgänger Glos?

Steinmeier:

Ich wünsche ihm, dass er sich schnell in die Materie einarbeitet. Eine längere Anlernphase in dieser Schlüsselposition kann sich unser Land nicht leisten. Niemand muss ihm raten, dass er als Wirtschaftsminister deutlich seriöser werden muss als in seiner Funktion als CSU-Generalsekretär. Das weiß er schon selbst. Ich würde mich freuen, wenn Herr Guttenberg die unsinnige bayerische Blockade gegen das Umweltgesetzbuch beendet. Der Gesetzentwurf von Sigmar Gabriel vereinfacht Genehmigungsverfahren für Investitionen. Er hat die Unterstützung von SPD, CDU und von der Fachwelt. Unternehmen in ganz Deutschland schütteln den Kopf über den Blockade-Kurs der CSU.



Abendblatt:

Worauf kommt es in der Konjunkturkrise jetzt an?

Steinmeier:

Nicht Schlagworte helfen in dieser Krise, sondern Eigenschaften. Kühler Kopf, klare Analyse, Kraft zum Urteil und Mut zum Handeln. So haben wir das zweite Konjunkturpaket entwickelt. Das muss jetzt verabschiedet werden: Kinderbonus, Umweltprämie für Autos, Investitionen in Kindergärten und Schulen. Und dann muss es in der Praxis Wirkung entfalten. Der nächste Schritt sind dann konkrete Vorkehrungen, die solche Krisen in Zukunft verhindern: durch wirksamere Regeln für Finanzmärkte, scharfe Kontrolle von riskanten Finanzprodukten und das Trockenlegen von Steueroasen. Managergehälter müssen viel stärker vom langfristigen Erfolg des Unternehmens abhängen.



Abendblatt:

Die schwarz-grüne Regierung in Hamburg droht damit, das Konjunkturpaket scheitern zu lassen ...

Steinmeier:

Wir werden darum kämpfen, dass das Paket verabschiedet wird. Wir brauchen es dringend.



Abendblatt:

Finanzminister Steinbrück will mit dem Versprechen von Steuersenkungen in den Bundestagswahlkampf ziehen. Schwenkt die SPD auf CSU-Linie ein?

Steinmeier:

Wir haben immer schon gesagt, dass die SPD in der nächsten Legislaturperiode eine Steuerreform anstrebt. Dabei geht es neben Vereinfachung um gezielte Erleichterungen für die unteren Einkommensgruppen, das Ganze aber solide gegenfinanziert. Auch den klugen Köpfen in der Union ist doch klar: Angesichts des finanziellen Kraftakts, mit dem wir uns jetzt der Wirtschaftskrise entgegenstemmen, bleibt in der nächsten Legislaturperiode kein Spielraum für große Steuergeschenke. Wer etwas anderes sagt, handelt unredlich und untergräbt das Vertrauen in die Politik.



Abendblatt:

Fünf Monate nach Ihrer Nominierung zum Kanzlerkandidaten und dem Wechsel im Parteivorsitz steckt die SPD immer noch im Umfragetief. Schwarz-Gelb verfügt über eine stabile Mehrheit. Wie wollen Sie bis September das Blatt wenden?

Steinmeier:

Die klassische Sonntagsfrage hat einen Haken: Nächsten Sonntag ist gar keine Bundestagswahl. Erst kurz vor der Wahl, wenn es konkret wird, überlegen die Menschen genau. Dann erkennt jeder, wie schon 2002 und 2005: Sozialdemokratische Politik gibt es nur mit der SPD, nicht mit Schwarz-Gelb. Und dann ist es mit der Mehrheit von Schwarz-Gelb jedes Mal vorbei. Aber ich begründe Ihnen auch gerne politisch, warum wir gewinnen: Wir haben dieses Jahr einen guten Start hingelegt. Das Konjunkturpaket trägt unsere sozialdemokratische Handschrift, es fördert Kinder, Familien, Rentner und Geringverdiener. Wir sind geschlossen, die Union zerfällt in der Krise und streitet. Ich bin guter Dinge. Wir packen das.



Abendblatt:

An diesem Freitag starten Sie Ihre Kampagne "Das neue Jahrzehnt" in Hamburg. Was steckt dahinter?

Steinmeier:

Kommen Sie gerne vorbei und überzeugen Sie sich! Wir erleben, wie das Fenster der Geschichte sich gerade für einen wichtigen Moment öffnet. Die marktradikale Lebens- und Weltanschauung ist gescheitert, jetzt kommt etwas Neues. Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit die Öffnung der Gesellschaft und die Modernisierung von Staat und Wirtschaft ganz entscheidend vorangebracht. Wir wollen auch das kommende Jahrzehnt prägen, gemeinsam mit möglichst vielen, die sich einklinken. Gerade in der Krise denken wir in langen Linien bis zum Jahr 2020. Wir wollen unser Land besser, fairer und gerechter machen. Selten war die Chance zu gestalten so groß wie jetzt.



Abendblatt:

Geht es etwas konkreter?

Steinmeier:

Wir wollen strategisch Wachstum und Beschäftigung auf den grünen Zukunftsmärkten fördern - Deutschland als globaler Ausrüster für Umwelttechnologien. Wir wollen die Arbeitslosigkeit nicht nur weiter bekämpfen, sondern besiegen. Integration wird zum Schlüsselthema für unser Land. Wir werden mehr dafür tun, dass an den Rändern der großen Städte keine verlorene Generation heranwächst. Jedes Kind braucht einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung. Wir müssen Perspektiven schaffen in einer Gesellschaft, in der viele Ältere noch einen langen gesunden Lebensabschnitt jenseits der 70 haben. Und ich möchte, dass wir unser Land stärker auf das globale Zeitalter einstellen. Wir müssen lernen, mit Verschiedenheit umzugehen. Das ist die Basis für inneren Frieden. Nehmen Sie das alles zusammen, und Sie haben unsere Vision, unseren Gestaltungsanspruch für die nächsten Jahre.



Abendblatt:

Stichwort neues Jahrzehnt - regiert die SPD dann auch im Bund mit der Linkspartei?

Steinmeier:

Kürzlich hat Oskar Lafontaine im Fernsehen die Politik der Bundeskanzlerin über den grünen Klee gelobt. Ich glaube, es ging um Verstaatlichungen. Vielleicht ergeben sich ja noch ganz andere Überraschungen ... Aber im Ernst: Gerade jetzt, wo die Linkspartei mit Konzepten gegen die Krise auf sich aufmerksam machen könnte, hat sie nichts vorzuweisen. Sie schweigt. Sie hat offenkundig in der Sache nichts beizutragen. Hören Sie sich bei Gelegenheit mal in der Linkspartei um. Da sagen die kundigen Leute doch selbst: Um Himmels willen, wir könnten im Bund doch gar nicht regieren.



Abendblatt:

Im vergangenen Jahr hatten Sie sich offen gezeigt für eine Fortsetzung der Großen Koalition über die Bundestagswahl hinaus. Denken Sie immer noch so?

Steinmeier:

Keine der Volksparteien strebt eine Fortsetzung der Großen Koalition an. Wir wollen stärkste Kraft werden und die Regierung mit einem sozialdemokratischen Kanzler führen. Die Optionen und unsere Präferenzen sind ja inzwischen mehr als bekannt. Nur ein Bündnis mit den Linken schließe ich aus, weil diese Partei im Bund nicht regierungsfähig ist.



Abendblatt:

Herr Minister, in Israel hat die Kadima-Partei von Außenministerin Livni die Parlamentswahlen knapp gewonnen - die größeren Aussichten, eine Regierungskoalition zu bilden, haben jedoch Netanjahu und Likud. Fürchten Sie einen Rückschlag für den Friedensprozess im Nahen Osten?

Steinmeier:

Wir müssen jetzt abwarten, an wen der Auftrag zur Regierungsbildung geht und wer eine Mehrheit zusammenbekommt. Sicher ist nur eines: Einfach wird das nicht. Egal zu welcher Koalition es kommt: Ich hoffe inständig, dass sie den mühsamen Weg zum Frieden weitergeht. Dazu gibt es keine Alternative. Für keine israelische Regierung. Das haben wir vor der Wahl gesagt, und dafür werden wir auch nach der Wahl arbeiten.



Abendblatt:

Was erwarten Sie von den Palästinensern und von Nachbarstaaten wie Syrien?

Steinmeier:

Von den Palästinensern: dass sie ihrerseits den Frieden suchen. Der Weg dorthin führt nur über direkte Verhandlungen mit Israel, nicht über die Raketen und den Hass der Hamas. Deswegen müssen wir die Stellung von Palästinenserpräsident Abbas stärken, das ist insbesondere auch eine Aufgabe Israels. Was Syrien betrifft, so erwarte ich ein unzweideutiges und konstruktives Engagement für Ausgleich und Frieden mit Israel und in der gesamten Region.



Abendblatt:

Die neue US-Regierung will "aggressiv" für Frieden in Nahost kämpfen. Können Barack Obama und Hillary Clinton mehr erreichen als ihre Vorgänger in den vergangenen Jahrzehnten?

Steinmeier:

Auch für Obama und Clinton ist der Weg zum Frieden im Nahen Osten lang und steinig. Und eine Erfolgsgarantie gibt es auch nicht. Aber ich finde es schon mal sehr gut, dass sich der Präsident und die neue Außenministerin von Anfang an intensiv um den Nahen Osten kümmern wollen. Bush hat erst in den letzten Jahren seiner Amtszeit das Dossier angepackt, um dann festzustellen, dass ein Jahr - sein letztes - nicht ausreicht für eine Lösung. Ich werde dafür sorgen, dass wir Europäer Präsident Obamas Friedensbemühungen nach Kräften mit eigenen Beiträgen unterstützen.