Das niedersächsische Jühnde mit 800 Einwohnern versorgt sich selbst mit Energie aus Biomasse. Das interessiert sogar die Japaner.
Jühnde. Im Prinzip, sagt Gerd Paffenholz, funktioniert das Ganze wie der Magen einer Kuh. "Was 'ne Kuh nicht frisst, kommt nicht in die Anlage." Also transportieren Landwirte aus der Gegend mit ihren Treckern Getreide, Mais und Stroh zu den großen Blechkesseln mit dem Kuppeldach. 35 Tonnen dieser Silage landen täglich in dem acht Meter hohen Bio-Reaktor, dazu Gülle von Schwein und Rind. Bei 39 Grad gärt die blubbernde Pampe. "Aber du darfst die Anlage nicht überfüttern", sagt Paffenholz. Der Methananteil des Gases müsse bei 50 Prozent liegen. "Sonst läuft der Motor nicht richtig."
Paffenholz, helles Jackett, schmale Brille, das Haar angegraut, geht über den Hof zu einem weißen Container mit einer schweren Tür. Drinnen dröhnen und pfeifen die 1000 PS des Motors, betrieben mit dem Methangemisch aus der gegorenen Silage und Gülle. Paffenholz nennt es das "Herzstück von Jühnde". Das Blockheizkraftwerk bringt heißes Wasser zum Heizen durch mehr als fünf Kilometer Leitungen zu 144 Haushalten in dem niedersächsischen Dorf.
Jühnde, ein paar Kilometer südwestlich von Göttingen, hat als erstes Dorf erreicht, was viele Gemeinde in Deutschland sein wollen: unabhängig vom Energiemarkt. Seit 2005 erzeugen sie hier Wärme und Strom aus nachwachsenden Rohstoffen. Jühnde war das erste Bioenergiedorf der Republik. Nicht nur mit Biogas, auch durch das Verbrennen von Holzhackschnitzeln in einem Heizkraftwerk versorgen sie sich in dem Dorf mit Wärme.
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Knapp 100 Gemeinden in Deutschland stellen Energie mittlerweile selbst her oder sind auf dem Weg dorthin. Auch Honigsee und Linnau in Schleswig-Holstein oder Volkfien in Niedersachsen. In Jühnde dauerte der Weg zum Bioenergiedorf sieben Jahre. Es gab ein Forschungsprojekt an der Universität Göttingen, es trafen sich Arbeitsgruppen, es folgten Infoabende in den Dörfern, es wurde kalkuliert, investiert, geschwitzt und auch gezweifelt. Knapp 800 Menschen wohnen in Jühnde. Es gibt hier eine Kirche, rote Ziegeldächer, einen Sportverein, den TSV Jühnde, sogar ein Schloss. Und um das Dorf herum viel Ackerland für den Anbau der Biomasse, Jühndes Kraftstoff.
Marianne Karpenstein-Machan sitzt am Tisch im Tagungsraum auf dem Gelände der Anlage. An der Wand hängt eine Grafik mit Pfeilen und Zahlen, ein Querschnitt der Gasspeicher, es ist die DNA von Jühnde. So etwa sahen auch die Skizzen aus, als Karpenstein-Machan mit anderen Forschern der Universität Göttingen das Projekt "Bioenergiedorf" startete. Sie prüften die Wirtschaftlichkeit: Was bedeutet die Versorgung mit Biogas für den Strompreis? Wie hoch sind die Investitionen? Können die Landwirte der Region genug Biomasse liefern? Von 21 Bewerbern gewann Jühnde das Projekt.
Viele hier sagen: weil es in Jühnde Machertypen gibt. Leute, die am Ende den Mut haben, ihre Unterschrift unter Bauverträge zu setzen. Die sich um Fördergelder kümmern und die andere aufbauen, wenn das Geld nicht gleich bewilligt wird.
5,3 Millionen Euro kosteten die Biogasanlage und die Leitungen, die warmes Wasser zu den Häusern bringen. Die Menschen in Jühnde gründeten eine Genossenschaft. Eine halbe Million Euro mussten sie aufbringen, 1,5 Millionen schoss der Staat dazu, 3,3 Millionen nahmen sie bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf. In der Sporthalle von Jühnde stellten sie einen Holzpfahl auf - jeder, der Anteile an der Genossenschaft kaufte, bekam eine Tafel mit seinem Namen und konnte sehen, ob sein Nachbar auch dabei ist. "Einige hatten Angst vor der Verantwortung und vor einem Scheitern", sagt Karpenstein-Machan. Und nicht alle in dem Dorf machten mit. Gut drei Viertel der Menschen in Jühnde sind in der Genossenschaft. Die anderen heizen nicht mit Wärme aus der Biomasse.
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700 Kilowatt Strom produziert die Anlage in Jühnde, 24 Stunden lang läuft der Motor in dem Container. Die Menschen im Dorf verbrauchen nur etwa die Hälfte davon, den Rest speisen sie in das reguläre Stromnetz ein - und verdienen damit Geld, 20 Cent pro Kilowattstunde. 1,2 Millionen Euro im Jahr ist der Umsatz, den die Genossenschaft erwirtschaftet, davon zahlt sie auch den Kredit ab. Gewinn hätten sie noch nicht gemacht, sagt Paffenholz. Die Reparaturen an der Anlage seien nicht günstig, wenn beispielsweise ein Ventil reiße, ein Auspuff kaputtgehe oder der Motor generalüberholt werde. "Aber wir machen keine Verluste."
Der Holzpfahl mit den Namen steht heute in einer Ecke im Tagungsraum auf dem Gelände der Anlage. Und es gibt ein Gästebuch. Japaner haben sich dort eingetragen, Chinesen, Amerikaner, Koreaner, Bayern. 3000 bis 4000 Besucher kommen jedes Jahr nach Jühnde, seitdem es sich selbst versorgt.
Auch aus dem Nachbardorf kam Besuch. Heiko Lohrengel ist aus Barlissen, ein Ort nur ein paar Kilometer südlich von Jühnde. Er erinnert sich noch, als die Einwohner in Gruppen über die Anlage gingen. Sie standen neben den großen Blechkesseln, und es stank nicht nach Gülle, sie sahen den Container, in dem der Motor dröhnte. Aber draußen war kaum Lärm zu hören.
Die Nachbarn aus Barlissen haben sich ihre Ängste vor der Energiewende weggehört, weggerochen und weggefühlt. "Der Griff an die Heizkörper war für alle wichtig. Dann haben sie gemerkt: Es funktioniert", sagt Lohrengel. Heute hat Barlissen auch eine Biogasanlage, es ist auch ein Bioenergiedorf.
Und Lohrengel ist heute Geschäftsführer der Centrum Neue Energien GmbH, des CNE, in Jühnde. Er trägt ein schwarzes Jackett, die Haare sind nach hinten gekämmt. "Das Projektdorf Jühnde ist der konsequente Weg der regionalen Wertschöpfung", sagt er. Seine Sätze begleitet er mit einer ausgedruckten PowerPoint-Präsentation. Im CNE bieten sie Führungen und Seminare an, Politikern und Geschäftsleuten zeigen sie die Anlage, es gibt Fotos von Japanern mit Sonnenbrillen und Fotoapparaten auf den Äckern von Jühnde oder vor der großen Solaranlage neben dem CNE. Und es soll noch weitergehen.
Gerade baut Lohrengel mit der GmbH einen "Marktplatz" auf, Pavillons aus Holz, in denen Hersteller Produkte zu erneuerbaren Energien anbieten können. "Das Thema Elektromobilität wird für uns der nächste wichtige Schritt", sagt er. An den Biogasanlagen gibt es bereits Zapfsäulen mit dicken Steckern. Jühnde soll expandieren.
Und exportieren. Als Gesandte des Projekts waren Gerd Paffenholz und Marianne Karpenstein-Machan gerade erst in Japan. Und in Fukushima, dort, wo die nukleare Katastrophe nach dem Tsunami auch die deutsche Energiewende ins Rollen brachte. Sie hielten dort Vorträge über Jühnde auf Englisch, the Bioenergy village. Und sie sahen die zerstörten Felder, die umgekippten Strommasten und die Berge von Schutt.
"Die Menschen dort wollen Bioenergie", sagt Paffenholz. Aber es fehle ein Gesamtkonzept der Regierung und staatliche Förderung. Er und Karpenstein-Machan wollten den "Spirit aus Jühnde" transportieren, sagen sie. Sie hätten die Betroffenheit der Menschen dort gespürt, aber auch eine Kraft nach der Katastrophe. Paffenholz hat vielen Menschen dort seine Visitenkarte gegeben, höflich mit beiden Händen wie eine Urkunde, so wie es die Japaner machen. Gerd Paffenholz, steht dort, Director International Business.