Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Wahl in Schleswig-Holstein, ihr Verhältnis zu Hamburg und die anstehenden Aufgaben bei der Energiewende.
Berlin. Die europäische Schuldenkrise und die Anstrengungen der Energiewende sind die Herkulesaufgaben der Bundeskanzlerin in dieser Legislaturperiode. Doch Angela Merkel muss sich auch als Wahlkämpferin beweisen - öfter als geplant. Mit Blick auf die vorgezogenen Urnengänge in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen warnt sie vor instabilen Verhältnissen. Das Abendblatt traf Merkel im Kanzleramt.
Hamburger Abendblatt : Frau Bundeskanzlerin, welche Bedeutung hat die Landtagswahl in Schleswig-Holstein für Sie und die CDU ?
Angela Merkel : Jede Landtagswahl ist wichtig, weil sie darüber entscheidet, welche Politik in einem Bundesland zum Tragen kommt. Die CDU Schleswig-Holstein hat nach meiner Überzeugung nicht nur eine gute Regierungsbilanz, sondern auch die richtigen Ideen für die Zukunft des Landes - deswegen mache ich sehr gerne Wahlkampf hier. Im Norden fühle ich mich immer herzlich aufgenommen - sei es bei Peter Harry Carstensen oder bei Jost de Jager.
In welche Richtung muss sich Schleswig-Holstein entwickeln?
Merkel : Zunächst einmal hat Schleswig-Holstein mit dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und dem Wirtschaftsminister Jost de Jager die Grundlagen für eine gute Entwicklung gelegt. In der christlich-liberalen Koalition haben sie konsequent das Denken durchgesetzt, dass die Zukunft Schleswig-Holsteins auf einer soliden Finanzpolitik aufbaut. Dafür mussten auch einige unpopuläre Entscheidungen gefällt werden. Insgesamt steht Schleswig-Holstein dadurch deutlich zukunftsfester da als zu Zeiten von Rot-Grün.
Umfragen zufolge herrscht Wechselstimmung zwischen Nord- und Ostsee. Wie ist sie zu erklären?
Merkel : Umfragen betrachte ich grundsätzlich mit Vorsicht. Wir hatten gerade zum Beispiel in Umfragen ein angebliches Kopf-an-Kopf-Rennen im Saarland, am Ende wurde die CDU mit vier Prozentpunkten Vorsprung klar stärkste Partei. Ich kämpfe zusammen mit Jost de Jager und seiner Mannschaft für eine starke CDU.
Warum soll Jost de Jager der richtige Regierungschef sein?
Merkel : Nehmen wir seine entschiedene Haltung zu den wichtigen Verkehrsprojekten als Beispiel: Man kann natürlich abwarten, ob und wie die Fehmarnbelt-Querung umgesetzt wird. Man kann sich aber auch - wie er es tut - intensiv dafür einsetzen, weil man die strategische Bedeutung für Schleswig-Holstein im Blick hat. Jost de Jager macht eine Politik der klaren Linien und festen Überzeugungen. Das schätze ich sehr an ihm.
Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein liegt klar unter 40 Prozent in den Umfragen. Mit wem, wenn nicht mit der FDP, könnte de Jager regieren?
Merkel : Wir machen jetzt Wahlkampf, um möglichst viele Menschen zu überzeugen, dass eine starke CDU dem Land guttut und stabile Verhältnisse ermöglicht. Auf der Basis des Wahlergebnisses wird unser Landesverband dann eigenständig seine Entscheidung treffen.
Denkbar wäre im Norden auch eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen - und Ihrem Koalitionspartner FDP.
Merkel : Ich kämpfe für eine stabile Regierung, die es nur mit einer starken CDU gibt .
Das Saarland musste außerplanmäßig wählen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen müssen es an den beiden nächsten Wochenenden auch. Ärgert Sie die Neuwahl-Flut?
Merkel : Ich nehme es, wie es kommt, und an Nordrhein-Westfalen sieht man, wie heikel und zerbrechlich Minderheitsregierungen sind, da droht sozu-sagen ständig die Neuwahl. Deswegen bin ich grundsätzlich für stabile Verhältnisse.
Wie eng müssen Hamburg und Schleswig-Holstein in Zukunft zusammenarbeiten?
Merkel : Die Leser Ihrer Zeitung leben in Hamburg und im Hamburger Umland und wissen, wie eng die Beziehung ist. Die Zusammenarbeit der norddeutschen Länder entwickelt sich seit Langem gut. Es gibt Verkehrsprojekte wie den Hamburger Hafenausbau oder die A 20, von denen beide Länder profitieren. Diese ebenso freundschaftliche wie vernünftige Kooperation wird den Norden auch in Zukunft voranbringen.
SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig sagt, wenn er gewinnt, werde die Zusammenarbeit mit Hamburg und dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz weitaus besser.
Merkel : Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich immer gut miteinander verständigt. Jost de Jager wird als Ministerpräsident eng und erfolgreich mit Hamburg zusammenarbeiten.
Welche Rolle spielt Hamburg noch in Ihrem Leben?
Merkel : Ich bin in Hamburg geboren, und wie jeder Mensch spüre ich eine besondere Nähe zu meiner Geburtsstadt, etwas, das man gar nicht so leicht beschreiben kann. Hamburg ist wunderschön, ich freue mich jedes Mal, wenn ich da bin. Am Freitag werde ich zum Deutschen Seniorentag wieder in der Stadt sein.
Alle Landesregierungen müssen ihre Haushalte konsolidieren. Warum sollten die Länder im Bundesrat am 11. Mai der sechs Milliarden Euro teuren Steuerentlastung zustimmen?
Merkel : Weil die Erhöhung der steuerlichen Grundfreibeträge uns durch verfassungsrechtliche Vorgaben vorgeschrieben ist. Wenn die existenziellen Lebenshaltungskosten steigen, muss auch der steuerliche Grundfreibetrag steigen. Der Staat darf nicht auf das Existenzminimum zugreifen. Dies stellt der Grundfreibetrag sicher. Diese Korrektur müssen wir nach dem Grundgesetz vornehmen, der sich auch die Länder nicht verschließen dürfen.
Die Blockade ist dennoch programmiert.
Merkel : Der Bund wird einen Teil der Kosten zur Abmilderung der kalten Progression übernehmen. Wir müssen endlich etwas dagegen tun, dass Lohnerhöhungen der Beschäftigten durch diesen Effekt in unserem Steuersystem aufgefressen werden. Die Bürger sollen mehr davon im eigenen Geldbeutel behalten. Die Erhöhung des Grundfreibetrags und die Bekämpfung der kalten Progression - das ist ein Paket. Die Länder haben alle Gründe, ihm zuzustimmen. Das zweite Paket, das SPD und Grüne derzeit noch im Bundesrat aufhalten, ist die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Für die Energiewende ist das eine enorm wichtige Maßnahme mit einem gewaltigen Potenzial, um Energie einzusparen. Wenn die Länder dem Paket zustimmen, entstehen durch die Förderung zwar zunächst Steuermindereinnahmen, allerdings bekommen Handwerker dann mehr Aufträge und es werden mehr Produkte für die Sanierung gekauft. Das kurbelt die Wirtschaft an. Dies führt wiederum zu zusätzlichen Steuereinnahmen, die in die Haushalte - auch der Länder - zurückfließen.
Die Länder planen eigenständig Steuervereinfachungen und wollen den Sparer-Pauschbetrag anheben. Unterstützen Sie das Vorhaben?
Merkel : Wenn die Länder den Arbeitnehmerpauschbetrag erhöhen wollen, haben sie auch weniger Einnahmen. Gleichzeitig wollen sie keine Mindereinnahmen durch die Erhöhung des Grundfreibetrages und den Abbau der kalten Progression. Da müssen wir eine Rangfolge der Prioritäten bilden.
Am 6. Mai wird nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in Frankreich gewählt. Inwieweit haben die Wahlausgänge Auswirkungen auf die Euro-Schulden-Krise?
Merkel : Europa zieht wichtige Lehren aus der Schuldenkrise und setzt sie in handfeste Maßnahmen um. Die Politik, mit der wir in der EU den Weg aus der Krise schaffen wollen, ruht auf zwei Säulen: auf soliden Finanzen zum einen und Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung zum anderen. Solide Finanzen sind eine Grundbedingung dafür, dass wir uns aus der Überschuldung der letzten Jahre lösen. Das Wachstum muss nachhaltig sein. Dafür brauchen wir Strukturreformen, die Wachstumshindernisse beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten verbessern. Die letzten Europäischen Räte der Staats- und Regierungschefs haben sich sehr konkret mit solchen Maßnahmen befasst. Auch beim nächsten Rat im Juni geht es darum, was wir tun können, um sinnvoll und vernünftig Wachstum zu befördern.
Fürchten Sie nicht, manche Staaten in der Europäischen Union könnten den mühsam beschlossenen Fiskalpakt wieder aufweichen?
Merkel : Nein, der Fiskalpakt, den die Regierungschefs von 25 der 27 EU-Mitgliedsländer unterzeichnet und bereits zwei Länder ratifiziert haben, ist eines unserer wichtigsten Mittel, um in Zukunft solides und diszipliniertes Haushalten zu gewährleisten. Mit 25 von 27 EU-Mitgliedstaaten haben wir in Europa parteiübergreifend unsere gemeinsame Grundauffassung ausgedrückt, dass ein Leben auf einem stetig wachsenden Schuldenberg gegenüber kommenden Generationen nicht zu vertreten ist. Wir alle wissen, dass das Vertrauen, das Europa in der Welt zurückgewinnen will, auch an unserer Verlässlichkeit in dieser Frage hängt.
Wie könnten die europäischen Wachstumsbemühungen aussehen?
Merkel : Wichtig ist, dass wir uns von der Vorstellung lösen, Wachstum koste immer viel Geld und müsse das Ergebnis teurer Konjunkturprogramme sein. Nachhaltiges Wachstum fußt vielmehr auf Bildung und Forschung, auf der Innovationskraft kleiner und mittlerer Unternehmen, auf einer vernünftigen Lohnentwicklung und vor allem auf der Öffnung der Arbeitsmärkte. Beschäftigung kann nur geschaffen werden, Jugendarbeitslosigkeit kann nur abgebaut werden, wenn wir die Barrieren für die Einstellung junger Leute senken und das System der Berufsausbildung verbessern. Das alles sind Maßnahmen, für die man eher politischen Mut und Kreativität braucht als Milliarden Euro. Konkret planen wir jetzt in Europa, die Verwendung der europäischen Strukturfonds flexibler zu gestalten, damit so etwa auch kleine und mittelständische Unternehmen besser an Kredite kommen könnten. Die Bundesregierung wäre aber auch bereit, die Europäische Investitionsbank zu stärken, damit sie mehr Unterstützung leisten kann.
+++ Landtagswahlen in Schleswig-Holstein +++
Auch das wahlkämpfende Schleswig-Holstein kann Wachstum gebrauchen. Wo zum Beispiel?
Merkel : Schleswig-Holstein hat große Stärken in der maritimen Wirtschaft, in der Medizintechnik und natürlich im Tourismus. Ich sehe aber auch bei den erneuerbaren Energien noch enormes Wachstumspotenzial. Insbesondere müssen wir die Offshore-Windenergie-Förderung stärken. Momentan überarbeiten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür. Die andere große Aufgabe in dem Bereich wird der Netzausbau sein, damit wir die Windenergie vom Norden in den Süden leiten können. Für Schleswig-Holstein bietet das einige Herausforderungen, aber insgesamt auch große wirtschaftliche Chancen.
Am heutigen Mittwoch treffen Sie im Kanzleramt die Chefs der großen Energieversorger, Netzbetreiber und Kraftwerksbauer: Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich davon?
Merkel : Ich möchte mir, bevor wir Anfang Juni den ersten Entwurf des Netzplans bekommen, einen Überblick verschaffen: Was läuft im Kraftwerksbereich plan- und fristgemäß? Wo müssen wir nachhaken und gegebenenfalls nacharbeiten? Vor uns liegen weitere wichtige Monate bei der Umsetzung der Energiewende - und der Vorbereitung darauf dient auch dieses Gespräch im Kanzleramt.
Sind Sie mit der Geschwindigkeit des Prozesses zufrieden?
Merkel : Im Großen und Ganzen ja. Die Arbeit an der Energiewende läuft auf allen Ebenen und in allen zuständigen Ministerien intensiv. Einige wichtige Fragen müssen wir noch gemeinsam lösen, gerade im Zusammenhang mit der Offshore-Windenergie. Das wirtschaftliche Risiko solcher Anlagen muss beherrschbar sein, die Anbindung ans Festland ist eine Herausforderung. Es ist noch viel zu tun, aber ich bin überzeugt, dass die große Industrie- und Ingenieursnation Deutschland das schaffen kann und damit erfolgreich sein wird.
Warum sind die Fachminister Röttgen und Rösler beim Gipfel im Kanzleramt nicht dabei?
Merkel : Die Ministerien sind natürlich bei diesem Gespräch mit leitenden Mitarbeitern vertreten, die Minister werden von ihnen aufs Beste informiert. Über das Thema Energiewende stehen sie miteinander in ständigem Austausch, beide Ministerien leiten überdies den gemeinsamen Steuerungskreis.
Frau Merkel, wird die Bundesregierung bis 2013 für einen einheitlichen Mindestlohn sorgen?
Merkel: Der Union geht es um Lohnuntergrenzen für die nicht durch Tarifverträge geregelten Bereiche und Branchen. Wir werden mit der FDP darüber sprechen, ob wir diese Lücken mithilfe einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern schließen können. Für diese Bereiche ohne Tarifverträge wollen wir also die Tarifpartner bitten, eine Lohnuntergrenze festzulegen. Das ist kein einheitlicher, gesetzlicher und flächendeckender Mindestlohn, den ich für falsch hielte, sondern eine vernünftige Regelung, die den besten Traditionen der deutschen Tarifautonomie entspricht.
Wollen Sie bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch ein Gesetz dazu verabschieden?
Merkel : Die Union hat ihre Position formuliert, wir suchen jetzt das Gespräch mit unserem Koalitionspartner FDP.
Welches Argument soll die FDP noch überzeugen?
Merkel : Wir werden im Koalitionsausschuss darüber sprechen und uns im Gegenzug die Argumente der FDP dort anhören, so wie wir es immer halten. Die Union möchte den weißen Flecken auf der Tarif-Landkarte, wo Beschäftigte mit Niedrigstlöhnen leben müssen, ein Ende setzen, ohne einen einheitlichen, gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, aber mit einem Fortschritt gegenüber der jetzigen Lage.