Berlin/Hamburg. Norddeutschland gewinnt für die Energiewende weg von der Atomkraft hin zu erneuerbaren Energien aus Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine immer größere Bedeutung. In Hinblick auf das Spitzentreffen mit den Chefs der großen Energieversorger, Netzbetreiber und Kraftwerksbauer heute im Bundeskanzleramt mahnte die Kanzlerin im Abendblatt-Interview mehr Anstrengungen zum Ausbau der Windparks im offenen Meer an. Hier seien noch "einige wichtige Fragen" gemeinsam zu lösen, sagte Merkel. Das wirtschaftliche Risiko dieser Offshore-Anlagen müsse beherrschbar sein. Auch sei die Anbindung ans Festland eine Herausforderung.
Zugleich sprach sich Merkel für eine stärkere Förderung der Offshore-Windenergie aus. "Momentan überarbeiten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür", sagte die CDU-Vorsitzende. Die andere große Aufgabe in dem Bereich werde der Netzausbau sein, "damit wir die Windenergie vom Norden in den Süden leiten können".
"Im Großen und Ganzen" sei sie zufrieden mit der Umsetzung der energiepolitischen Pläne, sagte Merkel. "Die Arbeit an der Energiewende läuft auf allen Ebenen und in allen zuständigen Ministerien intensiv." Zugleich kündigte sie "weitere wichtige Monate bei der Umsetzung der Energiewende" an. Der Vorbereitung darauf diene auch das Gespräch im Kanzleramt.
Die Bundesregierung strebt an, in Nord- und Ostsee bis 2020 Offshore-Windkraftanlagen mit 10 000 Megawatt Leistung bereitzustellen. Bis 2030 sollen vor den deutschen Küsten bereits Windräder mit einer Leistung von 25 000 Megawatt installiert sein. Das entspricht der installierten Leistung von 25 großen Kohlekraftwerken. Kritiker werfen der Koalition vor, die Zeitpläne zu optimistisch errechnet zu haben. Zudem bremsen technische Probleme und hohe Umweltauflagen die Anbindung der Seewindparks.
Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) will in der Energiepolitik aufs Tempo drücken. Er sprach sich für effizientere Planungsverfahren aus, um die Energiewende zu beschleunigen. "Entscheidend ist, dass die Wirtschaft jetzt investiert", sagte er der "Welt".
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel warf der Bundesregierung dagegen Versagen bei der Energiewende vor. "Weder beim Netzausbau noch bei der Förderung der erneuerbaren Energien, weder bei der Energieeffizienz noch bei der Gebäudesanierung ist die Bundesregierung im vergangenen Jahr auch nur einen Schritt weitergekommen." Die Zeche zahlten Verbraucher und Unternehmen, sagte Gabriel der "Welt".
Ein Konflikt droht der Bundesregierung in der Arbeitsmarktpolitik. Die Kanzlerin kündigte im Abendblatt an, mit der FDP im Koalitionsausschuss über die Einführung einer Lohnuntergrenze zu verhandeln. "Die Union möchte den weißen Flecken auf der Tariflandkarte, wo Beschäftigte mit Niedrigstlöhnen leben müssen, ein Ende setzen, ohne einen einheitlichen, gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, aber mit einem Fortschritt gegenüber der jetzigen Lage", sagte Merkel. Die FDP lehnt das Unionsmodell, das auch die Einsetzung einer Kommission vorsieht, strikt ab.
Zuversichtlich zeigte sich Merkel, dass die CDU am Sonntag die Wahl in Schleswig-Holstein gewinnen kann. Die CDU-Chefin erinnerte an das "angebliche Kopf-an-Kopf-Rennen im Saarland" zwischen CDU und SPD. Am Ende aber sei die CDU mit vier Prozentpunkten Vorsprung klar stärkste Partei geworden.