Sollte die nordrhein-westfälische SPD-Chefin Hannelore Kraft mit der Linken koalieren, droht ihr ein Problem mit der Glaubwürdigkeit.
Hamburg. Die sozialdemokratische Basis in Nordrhein-Westfalen ahnt, wie es in Hannelore Kraft rumoren muss. Die Ortsverbände leiden mit ihrer Landeschefin in diesen Tagen, in denen unklar ist, wohin die Reise geht für die SPD: in ein Bündnis mit Linkspartei und Grünen? Oder am Ende in eine Große Koalition mit der CDU? Beide Optionen wollte Kraft um jeden Preis vermeiden. Seit die FDP selbst zu Sondierungsgesprächen keine Lust mehr hat , wird der politische Spielraum für Kraft immer enger. Ganz gleich, wie sie sich entscheidet: Sie bekommt ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Offenbar geht insbesondere im kleinen, unbedeutenden Ortsverband Hünxe im Nordwesten des Ruhrgebiets die Angst um, dass Kraft die falsche Entscheidung treffen könnte. Dort verfasste der SPD-Vorstand am Wochenende einen offenen Brief an die Landesvorsitzende, verbunden mit einem eindeutigen Rat: "Eine Große Koalition ist in jedem Falle abzulehnen." Folgt Kraft der Aufforderung ihrer Parteifreunde aus Hünxe, muss sie allein auf das Linksbündnis setzen. Im Moment schweigt sie zu den Entwicklungen in ihrem Bundesland, und das scheint auch die Basis zunehmend zu beunruhigen.
Die Frau, auf die es nun ankommt, hat sich zurückgehalten in den vergangenen Tagen. Sie hat ihren Groll über die FDP für sich behalten und sich in aller Ruhe vorbereitet auf die vermutlich heikelste Phase ihrer gesamten politischen Karriere. Diese heikelste Phase soll am Donnerstag beginnen, wenn Kraft und Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann die Spitzenvertreter der Linkspartei zu Sondierungsgesprächen bitten.
Im Wahlkampf hatte sich Kraft selbst hohe Hürden für eine Koalition mit der Linken gesetzt. Erst hatte sie die Partei "derzeit nicht regierungsfähig" genannt. Dann wurde ihre Ablehnung schroffer, das "derzeit" ließ Kraft zuletzt immer weg. Und sie machte sich lustig über die linken Ideen "aus Wolkenkuckucksheim". Es ist kein Geheimnis, dass Kraft sich nicht zum linken Flügel ihrer Partei zählt und etliche Linken-Politiker für ausgemachte Spinner hält.
Sobald die SPD formal mit der Linkspartei in Koalitionsverhandlungen einsteigt, wird der politische Gegner ihre alten Aussagen hervorkramen und ihr vorhalten. Der Ansehensverlust der Hannelore Kraft scheint bereits programmiert. Und der Vergleich mit Andrea Ypsilanti unvermeidbar.
Die frühere hessische SPD-Chefin hatte 2008 im Wahlkampf eine Zusammenarbeit mit der Linken vehement ausgeschlossen und nach der Wahl doch den Versuch unternommen, eine rot-grüne Minderheitsregierung von der Linkspartei tolerieren zu lassen. Sogar SPD-Anhänger nannten Ypsilanti im Zorn abfällig "Tricksilanti" oder "Lügilanti". Doch der Versuch der SPD-Politikerin scheiterte, als vier Abweichler aus ihrer Fraktion dem Linksbündnis quasi in letzter Minute ihre Gefolgschaft verweigerten.
Im Wahlkampf reagierte Kraft gereizt, wenn man sie auf Ypsilanti ansprach. Sie wusste, dass sie in massive Erklärungsnöte gerät, wenn sie schlussendlich doch mit der Linkspartei spricht. Sie wird sich einer cleveren Rhetorik bedienen müssen, um aus einer "nicht regierungsfähigen" Partei kurzerhand - und mithilfe der SPD - eine seriöse Regierungspartei machen zu können. In Düsseldorf wird längst über mögliche Abweichler in Krafts SPD-Fraktion spekuliert. Es müsste aber schon ein ganzer Parteiflügel auf die Barrikaden gegen ein Linksbündnis gehen, um die Koalition scheitern zu lassen. Damit ist kaum zu rechnen. Rot-Rot-Grün hätte eine komfortable Landtagsmehrheit von elf Sitzen über der absoluten Mehrheit.
Dennoch steht die Partei vor einer Zerreißprobe. Weitaus komfortabler wäre nämlich die Mehrheit in einer Großen Koalition. Dann aber müsste Kraft wohl auf das Amt der Ministerpräsidentin verzichten. Die 6200 Stimmen, die die CDU nur vorn lag, sind verschwindend gering, könnten am Ende aber ausschlaggebend für einen Regierungschef aufseiten der Christdemokraten sein. Und weil dies so ist, wird Kraft in der Berliner Parteizentrale unter Druck gesetzt. Dort heißt es klipp und klar, die SPD müsse die Regierungschefin stellen. Wie und mit wem das gelingen soll, das aber soll Kraft selbst wissen. Aber noch schweigt Kraft beharrlich. Nur Grünen-Vorkämpferin Sylvia Löhrmann will sich noch lange nicht mit der unausweichlich scheinenden Linkskoalition abfinden. Sie wirbt weiter um die FDP und bezeichnete es in der "Rheinischen Post" als "Blödsinn", dass ein rot-rot-grünes Bündnis bereits abgemachte Sache sei.
Zumindest für die SPD in Hünxe kommt nur dieses eine Bündnis infrage. Am Ende ihres offenen Briefs an Kraft schreiben die Genossen: "Die Fehler aus Hessen dürfen sich nicht wiederholen." Dort gab es nach Ypsilantis spektakulärem Scheitern eine Neuwahl des Landtags. Und Roland Koch (CDU) regiert noch immer.