Fenster und Sitze seien noch intakt, sagen Ermittler. Die USA und Kiew prorussische Rebellen, die malaysische Boeing abgeschossen zu haben. Unterdessen hat Ministerpräsident Jazenjuk seinen Rücktritt erklärt.
Kiew/Den Haag. Mitten in der schwersten Krise der Ukraine hat die Regierung des Landes ihren Rücktritt erklärt. Der prowestliche Ministerpräsident Arseni Jazenjuk (40) machte damit den Weg frei für Neuwahlen des Parlaments. Als möglicher Termin gilt der 26. Oktober. Das Land steht vor tiefgreifenden Reformen. Allerdings ist wegen der seit Monaten andauernden Kämpfe gegen prorussische Separatisten im Osten völlig ungewiss, ob die Wahl überall abgehalten werden kann.
Mehr als eine Woche nach dem Absturz des Malaysia-Airlines-Flugzeugs haben Ermittler nach australischen Medienberichten ein neues großes Wrackteil sowie weitere Leichen gefunden. Sie beriefen sich auf Sprecher der OSZE, die unter anderem australische Ermittler in das Absturzgebiet begleitet hatten. Der Fundort sei unweit der anderen Wrackteile. Die Ermittler – darunter zwei australische Diplomaten und ein Forensiker – seien zunächst nicht dafür ausgerüstet gewesen, die Leichen zu bergen, berichteten der Fernsehsender ABC und die Zeitung „Sydney Morning Herald“ am Freitag. Bei dem Wrackteil handelt es sich demnach um ein Teil des Rumpfes, in dem Sitze und Fenster noch intakt waren.
Die bislang geborgenen Leichen sollen bis Freitag über die Luftbrücke von Charkow nach Eindhoven ausgeflogen werden. Bei dem Absturz der malaysischen Boeing 777-200 über dem Konfliktgebiet waren vor einer Woche 298 Menschen getötet worden. Die meisten stammten aus den Niederlanden.
Die USA und die Regierung in Kiew haben prorussische Aufständische beschuldigt, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Russland und die Rebellen haben den Verdacht dagegen auf das ukrainische Militär gelenkt. Die malaysischen Ermittler am Absturzort gehen nach OSZE-Angaben von einem Raketentreffer aus. Dafür sprächen stark durchlöcherte Wrackteile, sagte Michael Bociurkiw von der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag dem ZDF.
Weiter schwere Gefechte
Die ukrainische Regierung berichtete unter Berufung auf angebliche erste Ermittlungsergebnisse internationaler Experten, die Maschine sei genau im vorgegebenen Korridor geflogen. Russisches Militär hatte erklärt, sie sei vor dem Unglück 14 Kilometer vom Kurs abgewichen.
In der Ostukraine lieferten sich ukrainische Truppen und prorussische Separatisten weiter schwere Gefechte. Die Niederlande fordern deshalb eine internationale Polizeitruppe, die Ermittlern sicheren Zugang zur Absturzstelle verschaffen soll. Es gehe darum, Klarheit über die Ursache zu erlangen sowie die Täter zu verfolgen und zu bestrafen, erklärte die Regierung in Den Haag. Die Europäische Union (EU) erweiterte ihre Liste von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen Vertreter Russlands und der Separatisten.
Regierungschef Jazenjuk (40) wies bei seinem Rücktritt auf die verzweifelte Lage seines Landes hin. In der Rada waren zuvor mehrere Wirtschaftsgesetze gescheitert – auch eines, das die Beteiligung ausländischer Investoren am maroden Gastransportsystem der Ukraine ermöglicht hätte. Damit sollte die Abhängigkeit des Transitlandes von Russland verringert werden. Der bisherige Vize-Ministerpräsident Wladimir Groisman soll die Regierung übergangsweise führen.
Zuvor hatten die Partei Udar des Kiewer Bürgermeisters und Ex-Box-Profis Vitali Klitschko sowie die Nationalisten-Partei Swoboda von Oleg Tjagnibok ihren Austritt aus dem Bündnis „Europäische Wahl“ verkündet. Nach der Auflösung der Koalition ehemaliger Oppositionsparteien erklärte Jazenjuk dann den Rücktritt seiner Regierung. Er hatte das Amt nach dem Umsturz in Kiew am 27. Februar angetreten. Mit dem Rücktritt wollen die Kräfte um den prowestlichen Präsidenten Petro Poroschenko den Weg zu Neuwahlen freimachen.
Kaum Sicherheit für Ermittler
In Kiew traf Poroschenko mit dem niederländischen Außenminister Frans Timmermans und dessen australischer Kollegin Julie Bishop zusammen. Sie unterzeichneten ein Memorandum über gemeinsame Ermittlungen zur Absturzursache der malaysischen Boeing. Der niederländische Sicherheitsrat, der die internationale Untersuchung leitet, forderte ungehinderten Zugang zur Unglücksstelle. Ermittler könnten auch eine Woche nach dem mutmaßlichen Abschuss noch immer nicht zu der Stelle, da ihre Sicherheit nicht gewährleistet sei.
Allerdings durften Beobachter der OSZE sowie Experten aus Malaysia und Australien erneut die Unglücksstelle besuchen und die Lage von Wrackteilen dokumentieren. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berichtete nicht von Behinderungen durch die Separatisten, die das Gebiet kontrollieren.
Mit den neuen Sanktionen der EU erhöht sich die Zahl der betroffenen Personen in Russland und der Ostukraine auf 87, wie Diplomaten sagten. Erstmals wurden auch 18 Organisationen und Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Sie dürfen in der EU keine Geschäfte mehr machen. Über andere Verschärfungen der EU-Sanktionen soll später entschieden werden. Dabei geht es vor allem um einen erschwerten Zugang Russlands zu den Finanzmärkten, einen Lieferstopp für Hochtechnologiegüter für Erdölförderung und um ein Verbot von Waffenlieferungen an Moskau.
Wegen der zugespitzten Lage an der russisch-ukrainischen Grenze will die OSZE so schnell wie möglich Beobachter schicken. Der Ständige Rat der Organisation in Wien beschloss, 16 OSZE-Vertreter sollten an zwei Grenzposten auf russischem Territorium Informationen sammeln.