Der Syrien-Krieg wird auch für die Türkei immer brenzliger. Für Regierungschef Erdogan wird die Hilfe der Verbündeten wichtiger.
Istanbul. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zeigt sich vor einer Reise nach Berlin ungewohnt friedfertig. Während seine letzten Besuche in Deutschland von Streit um den EU-Beitritt seines Landes oder die Integration türkischstämmiger Jugendlicher bestimmt waren, geht es diesmal zunächst festlich zu. Erdogan reist an diesem Dienstag mit seinem Außenminister Ahmet Davutoglu an, um im alten Berliner Diplomatenviertel an der Tiergartenstraße die weltweit größte türkische Botschaft zu eröffnen.
In seinen politischen Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wird er aber Unterstützung für sein Land suchen, das sich wegen des Bürgerkrieges in Syrien in einer immer schwierigeren Lage befindet. Der Syrien-Konflikt dauert schon deutlich länger, als es türkische Strategen noch vor Monaten erwartet hatten. Inzwischen sind mehr als 100.000 Syrer vor der Gewalt in ihrer Heimat über die Grenze in die Türkei geflüchtet. Bis zum Juni des kommenden Jahres könne diese Zahl auf bis zu 400.000 anwachsen, zitieren türkische Medien Schätzungen aus dem eigenen Land.
Für die Flüchtlinge habe die Türkei bisher etwa 380 Millionen Lira (162 Millionen Euro) ausgegeben, sagt Erdogans Vize Besir Atalay. Wiederholt haben Regierungspolitiker beklagt, dass es aus dem Ausland bisher kaum Unterstützung gebe. Allerdings verweigert die Türkei den Syrern einen internationalen Flüchtlingsstatus, gegen den es in Ankara Vorbehalte gibt. Die türkische Regierung bezeichnet die Syrer lieber als „Gäste“ der Türkei, für die das Land in der Folge selber aufkommen muss. Verbündete wie Deutschland leisten ihre Hilfe über internationale Organisationen wie das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Diese Haltung wird inzwischen auch in der Türkei kritisiert. Zumal mit der Entwicklung des syrischen Bürgerkrieges die Sorge vor einem langen Kampf der Volksgruppen und Konfessionen, wie es ihn im Irak gibt, wächst. Erdogan will das Problem zumindest für sein eigenes Land entschärfen. Die internationale Gemeinschaft soll auf syrischer Seite der Grenze eine Schutzzone einrichten, über der mindestens ein Flugverbot für syrische Militärmaschinen durchgesetzt werden soll. Auf Granatangriffe über die Grenze hinweg lässt er die türkische Artillerie seit mehreren Wochen mit Vergeltungsschlägen reagieren.
Noch vor einem Jahr konnte Erdogan sich bei einem Besuch in Berlin kraftstrotzend präsentieren. Der wirtschaftliche Aufschwung und die gewachsene politische Bedeutung ließen die Türkei als Land erscheinen, das – sei es im Atomstreit mit dem Iran oder im eskalierenden Syrien-Konflikt – den entscheidenden Anstoß für die Entwicklungen in der Region geben kann.
Nun sind über seiner Regionalpolitik dunkle Wolken aufgezogen, die die Türkei allein nicht mehr vertreiben kann. Appelle in Richtung Teheran und Drohungen an die Adresse des syrischen Gewaltherrschers Baschar al-Assad haben die erwünschte Wirkung verfehlt. Die türkische Regierung befürchtet in der Folge auch eine weitere Eskalation des noch immer ungelösten Kurden-Konflikts im eigenen Land.
Erdogan hat Deutschland beschuldigt, im Kampf gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK ein Störfaktor zu sein. „Ich sage es ganz offen: Deutschland, Frankreich wollen nicht und helfen uns nicht. Sie lassen die führenden Köpfe der Terroristen sogar frei in ihrem Land agieren“, sagte er vor einigen Wochen.