Islamistische Milizen terrorisieren das Land. Merkel erklärt Bereitschaft Deutschlands, Militärmission zu unterstützen.
Hamburg. Das Land galt lange als leuchtendes Vorbild für Afrika, als blühende Modelldemokratie in einem Erdteil, der in weiten Regionen von Misswirtschaft, Korruption, religiöser Gewalt und ethnisch begründetem Hass geplagt wird. 1960 war Mali von Frankreich unabhängig geworden, hatte 1990 freie Wahlen abgehalten.
Vorbei. Der westafrikanische Staat taumelt nach einem Militärputsch und der alles niederwalzenden Offensive radikalislamischer Milizen dem Schicksal Afghanistans entgegen. Mali, so sorgt man sich in den westlichen Hauptstädten, könnte schon bald zu einem gigantischen Stützpunkt von al-Qaida und damit zu einem der gefährlichsten Brennpunkte der Erde werden.
Wie war das möglich? Am 22. März hatte eine Gruppe malischer Soldaten in einem Militärstützpunkt unweit des Präsidentenpalastes in der Hauptstadt Bamako ihrem allgemeinen Unmut über die mangelnde Unterstützung seitens der Regierung Luft gemacht. Man warf der Politik vor allem vor, den Militärs nicht genug Waffen und Ausrüstung im Kampf gegen die Tuareg-Rebellen zur Verfügung zu stellen, die in den riesigen Wüsten im Norden Malis für einen eigenen Staat in der Region kämpfen. Die Soldaten stürmten schließlich den Regierungssitz, Präsident Amadou Tourani Toure floh. Dieser unüberlegte Coup stürzte das Land in eine Phase der politischen und wirtschaftlichen Instabilität; ja, es stellte sich für den überraschten Westen heraus, dass die Stabilität schon länger durch Korruption und organisierte Kriminalität ausgehöhlt worden war.
Die Tuareg, die über reichlich Waffen verfügten, die sie von ihrem langjährigen Gönner, dem inzwischen gestürzten und getöteten libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi, erhalten hatten, nutzten das Machtvakuum und besetzten große Teile des malischen Nordens. Diese Gelegenheit rief wiederum islamistische Milizen auf den Plan, die den Tuareg das Land abnahmen. Das konnte gelingen, weil Teile der Tuareg zu diesen Islamisten zählen.
Die militanten Muslime, voran die Gruppierung Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens), die sich rühmt, enge Bindungen zu al-Qaida zu unterhalten, haben inzwischen in den von ihnen kontrollierten Gebieten - rund zwei Dritteln des malischen Territoriums - eine Terrorherrschaft angetreten. Sie zerstören systematisch antike Kultstätten, die zum Weltkulturerbe zählen - wie dies die Taliban in Afghanistan getan haben - und setzen das islamische Recht der Scharia mit grausamen Körperstrafen durch. Die Milizen verdienen Geld mit Frauen- und Kinderhandel sowie Zwangsprostitution, wie der stellvertretende Uno-Generalsekretär für Menschenrechte, der kroatische Rechtsprofessor Ivan Simonovic, klagte. Massenhinrichtungen, Auspeitschungen, Amputationen und Vergewaltigungen seien an der Tagesordnung. Rund 1,5 Millionen Menschen sind bereits auf der Flucht. Es ist eine humanitäre Katastrophe, denn Mali mit seinen knapp 15 Millionen Einwohnern ist ohnehin ein bitterarmes Land; und Nahrung in der von Dürren geplagten Sahelzone ist äußerst knapp. Auch im Nordosten Malis, das mit gut 1,2 Millionen Quadratkilometern Fläche dreieinhalbmal so groß wie Deutschland ist, herrscht Ansar Dine inzwischen. Die Miliz überrannte den schwachen Militärposten in der Stadt Aguelhok, richtete kurzerhand alle 82 Armeesoldaten der Basis hin und ließ ein Paar steinigen, das Kinder hatte, ohne verheiratet zu sein. Der neue starke Mann in Mali ist Iyad Ag Ghali, ein malischer Tuareg und Führer von Ansar Dine. Mit Politikern werde er nicht verhandeln, hat Ghali umgehend erklären lassen. Denn die erließen Gesetze - und das stehe allein Gott zu. Er will gar keine staatliche Unabhängigkeit für die islamistisch kontrollierten Gebiete, er will die Scharia für ganz Mali.
Dennoch wird er nicht umhinkommen, Gespräche zu führen. Denn die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat im Uno-Sicherheitsrat eine Resolution durchgebracht, die es angesichts der bedrohlichen Lage erlaubt, militärisch in Mali einzugreifen. Allerdings zeigen bislang weder die Europäer noch die militärisch ausgelasteten Amerikaner große Neigung, dies selber zu tun. Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hat sich bereit erklärt, mehr als 3000 Soldaten nach Mali zu entsenden. Die Europäer sagten Unterstützung in Form von Militärausbildern zu. Auf die Bundeswehr könnte also ein neuer Auslandseinsatz zukommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte gestern schon einmal die grundsätzliche Bereitschaft Deutschlands, sich an einer Ausbildungs- und Unterstützungsmission der EU im Kampf gegen radikale Islamisten in Mali zu beteiligen. "Freiheitliche demokratische Staaten können nicht akzeptieren, dass der internationale Terrorismus im Norden des Landes ein Rückzugsgebiet erhält", sagte Merkel auf einer Bundeswehrtagung in Strausberg bei Berlin. Die Streitkräfte Malis seien zu schwach und benötigten daher Unterstützung.
Doch eine stringente Strategie zur Vertreibung der Islamistenmilizen zeichnet sich bislang nicht ab, wie ein internationales Expertentreffen in Bamako am vergangenen Wochenende zeigte. Die Zeit drängt, denn der Sicherheitsrat hatte in seiner Resolution am 13. Oktober 45 Tage Zeit für eine Intervention gegeben. Die Soldaten der Ecowas sind allerdings in Mali nicht sehr willkommen, wie Demonstrationen gegen eine ausländische Militärintervention zeigten. Die Bürger Malis fürchten einen Bürgerkrieg und eine mögliche Teilung des Landes. "Ich bin der Präsident eines Landes in der Krise", sagte Malis Interimsstaatschef Dioncounda Traoré in Bamako vor den westlichen Teilnehmern des Treffens, "und ich bin mir der Tragödie meines Landes voll bewusst." Wahlen sind unter diesen Umständen verschoben worden.