Die Zerstörung der Kulturdenkmäler in Mali scheint noch lange nicht beendet. Auch Gewalt gegen Frauen und Kinder nimmt zu.
Kapstadt/Bamako. Die spektakuläre Zerstörung der prachtvollen Kulturdenkmäler in Mali scheint noch lange nicht beendet. Von niemandem aufgehalten wüten seit Wochen die Fanatiker der islamistischen Gruppe Ansar Dine gegen Jahrhunderte alte Mausoleen in Timbuktu, auch Stadt der 333 Heiligen genannt. Die der Terrororganisation al-Qaida nahe stehende Gruppe zertrümmert hemmungslos alles, was nach ihrer Ansicht eine Abweichung von der Lehre des Korans bedeutet. Die Verehrung von Heiligen gilt ihnen als Aberglaube. Schreckliches Vorbild sind die Taliban in Afghanistan, die früher Buddha-Statuen zerstört haben.
Augenzeugen in Timbuktu berichten, dass die Islamisten mit Schüssen in die Luft die fassungslosen Einwohner vom Ort der Verwüstung zurückschreckten. „Wir zerstören alles, selbst die Grabstätten innerhalb der Moscheen“, wurde ein Ansar Dine-Sprecher namens Ahmed vom arabischen Nachrichtensender Al Dschasira zitiert. Noch sind weitere Kulturgüter von unermesslichem Wert bedroht: In Timbuktu lagern – meist in privaten Bibliotheken – über 100 000 historische Schriften und Dokumente, die teilweise aus dem 12. Jahrhundert stammen; Sie legen auch Zeugnis ab von den Heiligen, die die Islamisten bekämpfen.
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„Diese Ereignisse zeugen von einer sehr dunklen Zukunft für die Menschen in Nordmali“, warnte der Kulturbeauftragte der Vereinten Nationen (UN), Farida Shaheed, jüngst in Genf. Dabei ist die Gegenwart schon erschreckend genug. Denn in dem Chaos werden nicht nur Kulturdenkmäler vernichtet. Kinder und Frauen sind zunehmend Opfer der aggressiven Islamisten und der Wirren in dem Wüstenstaat.
Tod, Verletzungen und Vergewaltigungen von Kindern gäben zu „großer Besorgnis“ Anlass, so die UN-Kinderhilfsorganisation Unicef vergangene Woche. Mindestens 175 Jungen zwischen zwölf und 18 Jahren seien von bewaffneten Kräften im Norden rekrutiert worden. Von acht Mädchen sei bekannt, dass sie vergewaltigt worden seien. Zudem seien mehrere Teenager von Minen getötet oder verletzt worden. „Das alles ist alarmierend“, sagte der Unicef-Vertreter in Mali, Theophane Nikyema. Denn seine Organisation kenne nur einen schmalen Ausschnitt der Wirklichkeit, der Zugang von Hilfsorganisationen im Norden sei sehr beschränkt.
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Zu den Bürgerkriegswirren komme die wachsende Gefahr einer Hungersnot in ganz Mali mit seinen 14 Millionen Einwohnern. In den kommenden Monaten seien etwa 560 000 Kinder und Jugendliche von Mangelernährung bedroht. Etwa ein Drittel von ihnen würde vermutlich ohne Hilfe von außen nicht überleben, so Unicef. Verschlimmert würde die Versorgungslage durch die Not von etwa 330 000 Menschen, die aus dem Norden – zum Teil in den Süden, zum Teil in die Nachbarländer - geflohen seien.
Auch die Situation der Frauen im Norden Mali hat sich verschlimmert. Ohnehin sind der Weltgesundheitsbehörde WHO zufolge 90 Prozent aller Frauen gemäß genitalverstümmelt. Nachdem nun die diversen Islamistengruppen – neben der Tuareg-Armee MNLA – im Norden das Sagen haben, trauen sich Zeugenberichten nach kaum noch Frauen ohne Vollverschleierung auf die Straße. In den wenigen Schulen, die noch geöffnet sind, werden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet. Der Norden Mali wandelt sich faktisch zu einem islamistischen Staat.
Die Zentralregierung in Mali und die regulären Streitkräfte scheinen tatenlos das Geschehen im Norden zu verfolgen. Seit dem Putsch am 22. März regiert eine schwache Übergangsregierung, die international nicht anerkannt ist. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hat Bamako aufgefordert, noch in diesem Monat eine „Regierung der nationalen Einheit“ zu etablieren. Zudem soll die Regierung die UN um die Entsendung von Friedenstruppen bitten. Dann könnte Ecowas mit einer Eingreiftruppe -die Rede ist von 3300 Mann – den Militärs in Mali zu Hilfe eilen. Damit soll die Spaltung Malis verhinderte und die Dominanz der Islamisten im Norden beseitigt werden. Das alles kann dauern – während die islamischen Fanatiker ihre Macht ausbauen. Manche Experten fürchten, dass sich die Krisen in Afrika weiter ausbreiten werden. Schon jetzt spricht der Hohe Flüchtlingskommissar der UN, António Guterres von „Leid epischen Ausmaßes“ in Afrika. Bisher habe der Kontinent mit dem Sudan-Südsudan, Somalia, der Demokratischen Republik Kongo und Nord-Mali vier große Krisenherde. Dort kämpften verschiedene Rebellengruppen, „regionale, säkulare Bewegungen, örtliche radikalislamische Gruppen, Boko Haram aus Nigeria. Ich sehe die Gefahr, dass wir dieselben Krisen haben werden von Libyen bis Nigeria, von Mauretanien bis Somalia“, warnte Guterres in einem Fernsehinterview.
( dpa/abendblatt.de )