Führende Politiker der EU warten auf die nächsten Schritte von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch jeder verfolgt eine eigene Strategie.
Hamburg/Berlin. Sie sitzen in Berlin, Athen, Frankfurt, Paris und Brüssel: Die Lösung der Euro- und Finanzkrise hängt an wenigen Akteuren. Auf ihr Zusammenwirken kommt es an. Eine Übersicht von Angela Merkel bis Mario Draghi.
Angela Merkel tut zurzeit das, was ihre Anhänger an ihr bewundern und ihre Gegner zur Weißglut treibt: Die deutsche Kanzlerin wartet. Erst am 12. September entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob der "European Stability Mechanism", kurz ESM, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dieser auf Ewigkeit angelegte Riesen-Rettungsschirm für Euro-Pleite-Länder muss erst aufgespannt sein, bevor Weiteres möglich ist. Wobei die Möglichkeit einer kompletten Ablehnung des ESM im Kanzleramt nur als theoretisches Szenario erwogen wird. Merkels Leute rechnen eher mit neuen Auflagen zur Euro-Rettung. Und Merkel will den Bericht der Troika über Griechenland abwarten, bevor sie Entscheidungen trifft. Ebenfalls scharf beobachtet wird im Kanzleramt der Machtkampf zwischen Bundesbankchef Jens Weidmann und Mario Draghi, den Chef der EZB, der Krisenländer durch den Ankauf ihrer Anleihen unterstützen will.
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Wolfgang Schäuble gilt als der überzeugteste Europäer im Bundeskabinett. Für den Finanzminister ist die Rettung der Gemeinschaftswährung erklärtermaßen eine Frage von Krieg und Frieden. Mit Verve kämpfte er zu Beginn der Krise dafür, Griechenland mit Rettungspaketen vor einer Staatspleite zu bewahren und später weitere Wackelkandidaten zu unterstützen. Pöbeleien gegen Brüssel oder die Griechen sind ihm ein Gräuel. Sein Credo lautet "mehr Europa". Die Währungsunion soll durch eine politische Union ergänzt werden. Auch einen europäischen Finanzminister hält der Christdemokrat in absehbarer Zeit für möglich. Aber: Im Zuge der Krise hat die Kanzlerin die Entscheidungshoheit mehr und mehr an sich gezogen.
Antonis Samaras geißelte noch auf dem Höhepunkt der griechischen Krise die Hörigkeit der damals noch "sozialistischen" Regierung gegenüber der "kolonialistischen" EU. Er kritisierte die Sparbeschlüsse als Zerstörung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft. In Berlin und Brüssel wurde man deswegen so nervös, dass man ihn mehr oder minder zwang, eine Selbstverpflichtung zu unterschreiben: Er werde sich auch dann an die Sparpolitik halten, wenn er an die Macht kommen sollte. Da ist Samaras jetzt, und es ist auf den ersten Blick schwer zu erkennen, wo er wirklich steht. Immer noch ist viel davon die Rede, dass Griechenland mehr Zeit braucht, also mehr Geld. Als er kürzlich Berlin besuchte, war Kanzlerin Angela Merkel positiv von Samaras beeindruckt. Samaras war als liberaler Modernisierer aufgetreten. Er will Griechenland auf eine gesündere wirtschaftliche Basis zu stellen. Die Gefahr ist, dass der Volkszorn der immer ärmer werdenden griechischen Gesellschaft sich irgendwann gegen ihn wendet, denn Samaras entstammt der "alten" politischen Klasse.
François Hollande war ein glücklicher Amtsbeginn als französische Präsident verwehrt: Kaum hatte er auch in der Wahl zur Nationalversammlung eine belastbare Mehrheit für seine sozialistische Partei erreicht, da kam eine schlechte Nachricht nach der anderen. Ganz frisch ist der Hilferuf einer strauchelnden Hypothekenbank, die der Staat mit 20 Milliarden Euro auffangen soll. Frankreich droht die Defizitgrenze im kommenden Jahr zu reißen, wenn der Staatshaushalt nicht schrumpft. 33 Milliarden Euro muss Hollande im Jahr 2013 einsparen, um eine Mahnung zu vermeiden. Die ersten Maßnahmen, mit denen der Präsident das Budget sanieren will, tragen nur einen kleinen Teil dazu bei: gut zwei Milliarden über eine Reichensteuer, rund eine weitere über eine Sonderabgabe für Banken und Energiekonzerne. Der Mann, der im Wahlkampf gegen die Sparpolitik deutscher Machart gewettert hatte, wirbt für die Ratifizierung des Fiskalpakts: Hollande ist angekommen im Leben eines Staatschefs.
Jean-Claude Juncker sagt gern: "Ich bin nur Premierminister eines kleinen Landes." Der Regierungschef von Luxemburg ist in der EU einflussreicher als die Regierungschefs weit größerer Mitgliedstaaten. Juncker ist einer der drängendsten Fürsprecher, wenn es um eine Vertiefung und Verstärkung der europäischen Integration geht, wenn es darum geht, die Euro-Zone beisammen zu halten. Er fuhr auch schon einmal aus der Haut ob der Verzögerungen der griechischen Reformen. Juncker ist als Chef der Euro-Gruppe bei allen wichtigen Beratungen dabei. Sein Vorteil: Er kennt buchstäblich jeden wichtigen EU-Politiker. Er leitete die entscheidende Verhandlungsrunde über den griechischen Schuldenschnitt im Frühjahr, und er bereitet mit den Präsidenten anderer großer EU-Institutionen den Weg zu einer "wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion" vor. Auf den Gipfeln im Oktober und Dezember soll darüber beraten werden.
Herman Van Rompuy hat ein mehr als gutes Verhältnis zur Bundeskanzlerin, sagt man in Brüssel. Merkel schätzt Belgiens ehemaligen Premierminister. In der schwersten Krise, die die Europäische Union seit ihrer Gründung durchstehen muss, ist der überzeugte Katholik als EU-Ratspräsident wohl der richtige Mann an der richtigen Stelle. Seine jahrzehntelange Erfahrung im Chaos-Alltag belgischer Politik hat ihn Verhandlungsgeschick gelehrt. Jetzt steht der Flame mit Kommissionschef José Manuel Barroso, EZB-Präsident Mario Draghi und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker vor der größten Herausforderung: Er soll den "Weg zu einer wirklichen Wirtschafts- und Währungsunion" formulieren.
Mariano Rajoy rollt schon vor der Ankunft von Angela Merkel am Donnerstag den roten Teppich aus. "Frau Merkel hat eine Führungsrolle bei der Lösung der drängenden Probleme beim Euro", preiste Spaniens Regierungschef die deutsche Kanzlerin im Gespräch mit "Bild am Sonntag". Rajoy sieht bereits in drei Jahren die Chance für Euro-Bonds. Und die Europäische Zentralbank ist für den Konservativen das Instrument, um Madrid von der drückenden Zinslast zu befreien. Die Begriffe "Bedingungen" oder "Auflagen" hört man von dem Spanier allerdings nicht. Noch mehr Einschnitte will Rajoy den Spaniern nicht zumuten. Ihm steht das Wasser bis zum Hals. Merkels Visite kommt für das Land in einem entscheidenden Moment.
Mario Draghi wurde nach seiner ersten Zinssitzung als Präsident der Europäischen Zentralbank gefragt, ob er in der Tradition der Bundesbank stehe. Das war im November 2011. "Ich bewundere die Tradition der Bundesbank", antwortete der italienische Notenbanker lächelnd. Zehn Monate, drei Zinssenkungen und zwei Notkredite für Banken später ist klar: Die Tradition der Bundesbank - allen voran ihr Credo der Unabhängigkeit von der Politik - spielt für den Krisenmanager Draghi keine besondere Rolle. Der frühere Harvard-Professor hat ein klares Ziel: die Gemeinschaftswährung zu erhalten - koste es, was es wolle. Die Konfrontationslinie verläuft heute mitten durch den EZB-Rat, wo sich Bundesbank-Chef Jens Weidmann als erbitterter Gegner des Draghi-Kurses etabliert hat.