Drei Frauen der Punkband Pussy Riot müssen wegen Rowdytums zwei Jahre in Haft. Hamburger Anwältin war für Human Rights Watch im Gerichtssaal.
Moskau. Die Richterin Marina Syrowa hält eine dicke braune Ledermappe in der Hand. Ein goldener Adler, Russlands Wappen, schmückt die Vorderseite, darin liegt ein Urteil auf mehr als 100 Seiten. "Tolokonnikowa, Samutsewitsch und Alechina sind schuldig", liest sie vor. Die drei Frauen aus der Punkband Pussy Riot stehen im braunen Kasten hinter Panzerglas. Als sie das hören, lächeln sie nur ironisch, als ob sie nichts anderes erwartet hätten. Die Verlesung dauert drei Stunden, erst am Schluss wird das Strafmaß genannt: zwei Jahre Haft für jede, die Zeit in der Untersuchungshaft wird mit eingerechnet. "Schande!", ruft jemand im Saal.
Die drei Frauen, zwei von ihnen sind Mütter, standen seit Ende Juli vor Gericht. Sie hatten im Februar mit einem sogenannten Punkgebet in der russisch-orthodoxen Erlöser-Kathedrale in Moskau gegen Wladimir Putin demonstriert, der damals für das Präsidentenamt kandidierte. Die Staatsanwaltschaft hatte für diesen Protest drei Jahre Haft beantragt.
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Drei Stunden lang mussten sie in Handschellen stehen. Nadeschda Tolokonnikowa, in ihrem blauen T-Shirt, auf dem "No Pasarán!" (Sie werden nicht durchkommen), die Parole der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg, steht, hat die Hände vor der Brust gekreuzt. Maria Alechina, im schwarzen Kleid, versucht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen. Jekaterina Samutsewitsch, im karierten Hemd, tauscht ein verschwörerisches Lächeln mit ihren Freundinnen aus. Während der Verlesung des Urteils darf man wie in einer orthodoxen Kirche nicht sitzen. Der Saal ist voll mit VIP-Unterstützern: Der Blogger Alexej Nawalny ist da. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck schreibt bei Twitter: "Im Gericht stehen sich das schöne moderne und das muffige alte SU Russland gegenüber." In der Begründung muss Richterin Syrowa die Argumente der Anklage und Verteidigung wiedergeben und bewerten. Sie zitiert ausführlich die Anklage. Pussy Riot hätten "Rowdytum aus religiösem Hass begangen" und Gläubige tief beleidigt.
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"Dieses Urteil ist eine persönliche Rache von Putin. Das Urteil ist von Putin geschrieben worden", sagt der Blogger Nawalny. "Das, was im Gericht passierte, ist wild, das ist das heutige Russland, aber es wird nicht immer so bleiben." Die Opposition werde weitere Aktionen zur Unterstützung von politischen Gefangenen organisieren. Der Mann von Nadeschda Tolokonnikowa sagt: "Ich habe nur einen Kommentar: Wir brauchen eine Revolution in Russland." Die Mehrheit der Russen sieht allerdings in diesem Prozess nichts Außergewöhnliches. Laut der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum glauben 44 Prozent, dass das Gericht im diesem Fall "gerecht, objektiv und unvoreingenommen" handelt. Nur 18 Prozent sind der Meinung, dass das Urteil "von oben" kommt.
Unter chaotischen und zum Teil dramatischen Bedingungen hat die Hamburger Anwältin Ulrike von Criegern, 47, das Urteil verfolgt. Sie ist offizielle Beobachterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, zu deren Hamburger Gruppe unter anderem die Unternehmer Nikolaus Broschek und Ian Karan angehören.
Von Criegern berichtete dem Abendblatt, dass Digitalkameras konfisziert wurden, dass es Proteste und Verhaftungen rund um das Gericht gab. Es habe großes Gelächter im Gericht gegeben, als die Richterin erklärte, die Musikerinnen seien offenbar verrückt, psychisch gestört. "Was hier abläuft, ist wirklich abenteuerlich." Dabei hätten die drei Verurteilten einen gefassten, beinahe lässigen Eindruck auf die Hamburger Juristin gemacht. Während der stundenlangen Urteilsverkündung habe es in der brütenden Hitze weder für Beobachter noch die Angeklagten Wasser gegeben. "Aber die Solidarität mit den Mädchen hier in Moskau ist sagenhaft", sagte von Criegern.
Die Reise nach Moskau war für die Anwältin heikel. Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen gelten nach einem neuen russischen Gesetz als ausländische Agenten. Noch während der Urteilsverkündung hat die Polizei etwa 30 Anhänger der drei jungen Frauen festgenommen, darunter den Kremlkritiker und früheren Schachweltmeister Garri Kasparow sowie Sergej Udalzow, einer der Oppositionsführer.
In Hamburg demonstrierten etwa 100 Sympathisanten von Pussy Riot mit Masken und Transparenten am Tschaikowskyplatz an der russisch-orthodoxen Kirche (St. Pauli). Eine Veranstalterin kritisierte das Urteil als "brutal" und sprach von einem Zeichen gegen die Anti-Putin-Bewegung. In Berlin kamen 200 Menschen vor der russischen Botschaft Unter den Linden zusammen. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), beteiligte sich an der Kundgebung. Löning forderte eine Begnadigung der Musikerinnen: "Das Urteil ist unverhältnismäßig hart."
Fotogalerie und Hintergründe zu den Protesten in Moskau, Hamburg und Berlin unter www.abendblatt.de/pussy