Der Präsident kommt vermutlich nur auf 47 Prozent. Der strenge afghanische Winter könnte einen zweiten Wahlgang jedoch erschweren.
Kabul/Washington. Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat bei der Wahl vor knapp zwei Monaten offensichtlich eine absolute Mehrheit verfehlt. Das berichteten US-Zeitungen mit Hinweis auf die Untersuchungen über Betrügereien bei der Wahl. Damit wäre laut Verfassung eine Stichwahl zwischen ihm und Ex-Außenminister Abdullah Abdullah notwendig.
Die „Washington Post“ meldete, die Analyse der Uno-unterstützten Beschwerdekommission (ECC) führe zu einem Abzug von Stimmen bei Karsai, der dann nur noch auf rund 47 Prozent komme. Die „New York Times“ berichtete, nach dem korrigierten Ergebnis gehe man davon aus, dass Karsai nur 48 Prozent der Stimmen gewonnen habe. Die ECC will ihre Untersuchung des Wahlbetrugs am Sonnabend der Wahlkommission in Kabul vorlegen und veröffentlichen.
Diese muss danach ein entsprechend angepasstes amtliches Endergebnis verkünden. Sie hat aber offengelassen, wie viel Zeit sie sich dafür nehmen wird. Nach dem Mitte September verkündeten vorläufigen Endergebnis hatte Karsai 54,6 Prozent der Stimmen und damit eine absolute Mehrheit bereits im ersten Wahlgang gewonnen. Sein Konkurrent Abdullah folgte mit 27,8 Prozent. Bei der Wahl am 20. August war es nach Angaben der Vereinten Nationen zu massivem Betrug gekommen.
Die meisten verdächtigen Stimmen waren von EU-Wahlbeobachtern Karsai angelastet worden. Die ECC überprüft die Vorwürfe stichprobenartig. Sollte kein Kandidat eine absolute Mehrheit haben, sieht Artikel 61 der Verfassung eine Stichwahl binnen zwei Wochen vor. Das gilt angesichts der knappen Zeit als schwierig umzusetzen.
Eine Verzögerung würde aber bedeuten, dass in Teilen des Landes der bevorstehende Wintereinbruch eine Abstimmung unmöglich machen könnte. Befürchtet wird zudem, dass sich an einer zweiten Wahlrunde wegen der schlechten Sicherheitslage und der Wahlmüdigkeit noch weniger Afghanen beteiligen als an der Abstimmung im August. Damals lag die Wahlbeteiligung nach afghanischen Angaben bei 38,7 Prozent.
„New York Times“ und „Washington Post“ berichteten, der afghanische Botschafter in Washington, Said Tayeb Jawad, halte eine Stichwahl für wahrscheinlich. Abdullah hatte gesagt, sollte Karsai keine absolute Mehrheit erlangen, „ist meine Präferenz, den zweiten Wahlgang abzuhalten“. Er hatte jedoch hinzugefügt: „Ich werde für Diskussionen nach der Verkündung (des Endergebnisses) offen sein.“
Gerüchte über Koalitionsverhandlungen mit Karsai entbehrten aber jeder Grundlage. Abdullah betonte, die Kernpunkte seines Programms – darunter der Wechsel von einem Präsidial- zu einem parlamentarischen System – blieben unverändert. „Das sind fundamentale Änderungen. Diese Änderungen könnten nicht mit ein paar Posten im Kabinett erreicht werden." (dpa/HA)