Die Lage der Menschenrechte hat sich weltweit verschärft. Amnesty International kritisiert auch Deutschland wegen der Abschiebepraxis und der Duldung von Folter.
Berlin. Die Wirtschaftskrise wird nach Einschätzung von Amnesty International (AI) die Menschenrechtslage weltweit drastisch verschärfen. Die Krise werde voraussichtlich 50 bis 90 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut treiben und damit verwundbar für Menschenrechtsverletzungen machen, warnte AI-Europa-Chef Nicolas Beger zur Vorstellung des Jahresberichts der Menschenrechtsorganisation. Mit der Rezession verschärfe sich die Unterdrückung. Besonders auf dem ärmsten Kontinent Afrika könnten Unruhen und politische Gewalt zunehmen. In Europa sei eine stärkere Tendenz zu Ausgrenzung und Rassismus zu erwarten.
Als Beispiel nannte Beger die Lage im Senegal und in China. Im Senegal seien Proteste der Bevölkerung gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise unterdrückt worden. In China hätten die Behörden Demonstrationen von Wanderarbeitern niedergeschlagen, die in Massen von der Krise betroffen waren. Arme Menschen hätten kaum eine Chance, sich gegen Gewalt zu wehren oder ihre Rechte durchzusetzen. Schon heute hätten nach einer Uno-Schätzung vier Milliarden Menschen keinen Zugang zur Gerichtsbarkeit, also knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung.
In 81 der 157 untersuchten Staaten wird laut Amnesty die Meinungsfreiheit verletzt. In 50 Ländern säßen Menschen wegen ihrer Überzeugung hinter Gittern. 27 Staaten, auch Deutschland, würden unerwünschte Zuwanderer selbst dann abschieben, wenn ihnen Folter, Verfolgung oder die Todesstrafe drohten. In Deutschland kritisiert Amnesty besonders Bestrebungen der Behörden, Abschiebungen in Folterstaaten über „diplomatische Zusicherungen“ zu ermöglichen. Zwei Tunesiern drohe die Abschiebung, weil das Innenministerium eine Zusicherung der Tunesiens für ausreichend halte, um Risiken für die Männer bei der Rückkehr in die Heimat auszuschließen, bemängelte Amnesty. Die gerichtliche Überprüfung der Fälle dauere noch an.
Auch Verhöre durch deutsche Sicherheitsbeamte in Folterstaaten leisteten der Folter Vorschub. Ein Beispiel sei die Befragung eines Terrorverdächtigen in Usbekistan im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die sogenannte „Sauerland-Gruppe“, die Bombenanschläge in Deutschland geplant haben soll.
Auch in zahlreichen anderen Staaten der Europäischen Union (EU) prangerte Amnesty Menschenrechtsverletzungen an. Italien, Tschechien und Ungarn beschränkten den Zugang der Roma zu Bildung, Wohnraum, Arbeit und Gesundheitswesen dermaßen, dass es zuweilen an Apartheid grenze. Für Flüchtlinge sei es kaum möglich, in der EU Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu bekommen. 67 000 Menschen hätten 2008 versucht, auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen. Hunderte oder gar Tausende von ihnen seien ums Leben gekommen. Teils würden Zuwandererboote direkt nach Libyen gebracht, wo Flüchtlinge keinen Asylantrag stellen könnten. Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Ungarn, Litauen und Lettland verletzten die Meinungsfreiheit, indem sie gegen Schwulenparaden vorgingen.
Dem US-Präsidenten Barack Obama bescheinigte Amnesty eine gemischte Bilanz. Erst ein Gefangener sei aus dem Lager Guantánamo auf Kuba entlassen worden. Hunderte Gefangene seien unter ähnlichen Bedingungen und ohne Aussicht auf Besserung im US-Lager Bagram in Afghanistan eingesperrt. Das Land habe 2008 das blutigste Jahr seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban erlebt. Folter in der Haft sei dort an der Tagesordnung. Kritische Journalisten würden bedroht, inhaftiert oder ermordet. Für Frauen gehörten familiäre Gewalt, Vergewaltigungen und Zwangsehen zum Alltag. Amnesty forderte daher eine Intensivierung der Polizeiausbildung, an der sich auch Deutschland beteiligt.