Kommission fordert von neuem Premierminister Mario Monti rasche Sparzusagen. EFSF-Hebel beschlossen
Brüssel. Die EU-Kommission fordert ein entschiedenes Reformtempo vom neuen italienischen Premier- und Finanzminister Mario Monti. In einem Dokument, das Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn für das Treffen der Finanzminister der Euro-Zone gestern vorbereitet hatte, drückt er seine Sorge um den desolaten Zustand der italienischen Staatsfinanzen aus. Die Gefahr eines Zahlungsausfalls könne schnell zunehmen, wenn nicht rasch "zusätzliche, ... angebrachte Gegenmaßnahmen" getroffen würden, heißt es in dem Dokument, das die "Welt" einsehen konnte.
Rehn fordert konkret zwei Dinge: einmal ein Reformpaket, das das Budget 2012 um elf Milliarden Euro entlastet. Und zweitens: einen ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2013.
Die Sorge um Italien ist in Brüssel weit größer als die um Griechenland, allein der Dimension des Schuldenbergs wegen. Griechenlands Verschuldung dürfte bis Jahresende bei 163 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, die Italiens bei 120 Prozent. In der drittgrößten Volkswirtschaft Europas macht das allerdings eine Summe von 1,9 Billionen Euro aus - viel zu viel für die bestehenden Rettungsinstrumente der Euro-Zone.
Nachdem in Athen mittlerweile alle Regierungsparteien die von den europäischen Regierungen geforderte Erklärung abgegeben haben, dass sie zu den Sparzusagen des Landes stehen, gaben die Finanzminister am Abend weitere acht Milliarden Euro Hilfskredite für Griechenland frei. Sie hatten zuvor auf Eis gelegen, weil Athen eine Volksabstimmung angekündigt hatte. Montis parlamentarische Bewährungsprobe in Italien steht hingegen in entscheidenden Teilen noch aus. Am kommenden Montag soll sein Kabinett den Plänen zustimmen, deren Grundzüge er den Finanzministern gestern in Brüssel vorstellen wollte.
Erst vergangenen Montag hatte Monti seine Regierungsmannschaft verstärkt. Der 68-Jährige ernannte einen neuen Sonderminister, drei Vizeminister und zahlreiche Staatssekretäre. Damit zählt Montis Kabinett - ihn selbst dazugerechnet - nun insgesamt zwölf ordentliche Minister sowie sechs Sonderminister ohne Geschäftsbereich.
Neuer Sonderminister für öffentliche Verwaltung und Gesetzesvereinfachung wird der gebürtige Neapolitaner Filippo Patroni Griffi, bisher Staatsratsmitglied und Richter.
Vittorio Grilli soll eng mit Monti zusammenarbeiten, der das Amt des Wirtschafts- und Finanzministers selbst übernommen hat. Grilli, seit 2005 Generaldirektor im Wirtschaftsministerium, war vom ehemaligen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti als Kandidat für das Amt des italienischen Notenbankchefs favorisiert worden, das dann aber dem Außenseiter Ignazio Visco übertragen wurde.
Dass sich Italien an Reformen wagen muss, machten auch die Finanzmärkte deutlich. Eine Anleihenauktion der Regierung in Rom war insofern erfolgreich, dass die Staatskasse 7,5 Milliarden Euro einspielte und damit fast so viel wie als Höchstmaß angesetzt. Allerdings muss das Land Investoren eine hohe Risikoprämie zahlen. Für dreijährige Papiere etwa wurden 7,89 Prozent fällig.
Nach mehreren Anleiheauktionen, bei denen die Zinssätze jeweils bei sieben Prozent lagen, hatten sowohl Griechenland als auch Irland und Portugal es aufgegeben, sich allein über die Finanzmärkte finanzieren zu wollen, und waren unter die Rettungsschirme Europas geschlüpft.
Daher soll die Schlagkraft des Euro-Rettungsfonds EFSF nach dem Willen der Finanzminister mindestens verdreifacht, möglicherweise sogar verfünffacht werden. Dies sehen die Leitlinien über den sogenannten Hebel vor, die die Minister am späten Abend beschlossen, sagte Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Die EFSF soll demnach Kredite privater Anleger absichern und deren Ausfallrisiko teilweise übernehmen. Damit könnten Staatsanleihen von Euro-Staaten mit schlechter Bonität für private Anleger attraktiver werden.
Dem ursprünglich 440 Milliarden Euro schweren Rettungsfonds EFSF stehen noch 250 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese Summe soll auf mindestens 750 Milliarden Euro verdreifacht werden. Erhofft wird sogar eine Verfünffachung auf 1,25 Billionen Euro. Jedoch halten Diplomaten inzwischen nur noch eine Verdreifachung für realistisch, weil potenzielle Investoren auf die Hebel-Pläne skeptisch reagieren.
Deshalb wächst die Sorge, dass der Hilfsfonds nicht das geeignete Mittel gegen die Krise sein könnte. Frankreich wirbt daher trotz der Ablehnung der Bundesregierung für Gemeinschaftsanleihen der sechs kreditwürdigsten Euro-Länder. Man erwäge einen entsprechenden Vorschlag als Teil eines Maßnahmenpakets zur Eindämmung der Krise, sagte ein französischer Diplomat. Darüber werde in Vorbereitung des EU-Gipfels Ende kommender Woche gesprochen. Dabei läuft Frankreich Gefahr, seine Topbewertung zu verlieren. Derzeit liegt sie bei "AAA" mit stabilem Ausblick. Die Rating-Agentur Standard & Poor's aber könnte diesen Ausblick bald von "stabil" auf "negativ" herabstufen, will die französische Wirtschaftszeitung "La Tribune" erfahren haben.
Europa hat in den vergangenen beiden Jahren gelernt, sich schon über kleine Erfolge zu freuen. Und so nährten Zahlen eines weiteren gefährdeten Staates die Hoffnung darauf, dass die Krise tatsächlich unter anderem auch mit den Mitteln gelöst werden könnte, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin und Brüssel propagiert: durch eine sparsame Ausgabenpolitik.
So konnte Spanien erste Erfolge dabei verkünden, sein Haushaltsdefizit zu drücken. Das Defizit schrumpfte im Oktober im Vergleich zum Vorjahreszeitraum immerhin um 17 Prozent, und zwar nicht wegen höherer Steuereinnahmen, sondern wegen gekürzter Leistungen an die Regionen. Das Haushaltsdefizit für das laufende Jahr soll dennoch bei sechs Prozent liegen, doppelt so hoch wie im Stabilitätspakt der Euro-Zone zugelassen.