Die gemäßigt islamistische Ennahda-Partei hat die Wahlen in Tunesien voraussichtlich gewonnen und sucht nun nach Regierungspartnern.

Tunis. Die gemäßigt islamistische Ennahda-Partei hat nach ihrem voraussichtlichen Wahlsieg in Tunesien erste Gespräche mit möglichen Koalitionspartnern für die Bildung der Übergangsregierung geführt. Nach Auszählung von einem Drittel der Stimmen kam die Ennahda auf rund 45 Prozent der Sitze in der Verfassungsgebenden Versammlung, wie die Wahlkommission am Dienstag mitteilte.

„Wir werden keine Partei, unabhängige Persönlichkeit oder soziale Bewegung ausschließen“, sagte der Wahlkampfmanager von Ennahda, Abdel Hamid Dschelassi. Seine Partei habe bereits ein Maßnahmenpaket ausgearbeitet, das im November umgesetzt werden und sich den „drängenden Bedürfnissen des tunesischen Volkes“ widmen soll.

Von den bisher ausgezählten 82 Sitzen in der Versammlung gehen 37 an die Ennahda. Vorläufig zweitstärkste Kraft mit bisher 13 Sitzen war die Partei Kongress für die Republik des Menschenrechtsaktivisten Moncef Marzouki. Marzouki hatte in der Vergangenheit eine Koalition mit der Ennahda nicht ausgeschlossen.

Insgesamt sind für die neu gewählte Verfassungsgebende Versammlung 217 Sitze zu vergeben. Sie soll die Übergangsregierung bestimmen, eine Verfassung aufsetzen und den Weg zu regulären Wahlen ebnen.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse der Wahl vom Sonntag zog sich allerdings weiter hin. Vertreter der Wahlkommission machten das aufwändige Zählverfahren für die Verzögerung verantwortlich. „Der Mechanismus für die Stimmenzählung benötigt sehr viel Aufwand und Zeit, weil alle Stimmzettel eines Bezirks aus Sicherheitsgründen an einen Platz gebracht werden“, sagte der Generalsekretär der Wahlkommission, Boubaker Bethabet.

Vor dem Konferenzsaal in Tunis, wo am Dienstagnachmittag Ergebnisse veröffentlicht wurden, protestierten rund 200 Demonstranten gegen angeblichen Stimmenkauf durch die bei der Wahl erfolgreichen Parteien. Die Wahlkommission und internationale Wahlbeobachter haben hingegen nach eigenen Angaben keine Hinweise auf Wahlbetrug.

Expertin: Fundamentalisten haben in Tunesien keine Chance

In Tunesien haben religiöse Fundamentalisten nach Ansicht der Politologin Isabelle Werenfels auch nach der Wahl keine Chance. Die bei dem Urnengang siegreiche Ennahda-Partei unter ihrem Chef Rachid Ghannouchi sei dem Lager der „moderaten Islamisten“ zuzuordnen, sagte Werenfels der „Welt“ (Mittwoch). „Ich glaube, das Rad lässt sich in Tunesien nicht zurückdrehen“, so die Maghreb-Expertin der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.

Werenfels verwies darauf, dass Ghannouchi in wesentlichen Fragen offenbar einen liberalen Kurs fahren wolle. So habe er sich gegen die Einführung eines Alkoholverbots oder eines Kopftuchzwangs für Frauen ausgesprochen. Natürlich könne die Partei nach ihrem Wahlsieg einige Versprechen zurücknehmen. Aber was sie bisher gesagt habe, „klang vielverspechend“. Zudem seien die Ennahda-Wähler zwar wertkonservativ, aber nicht daran interessiert, durch eine rigorose Gesetzgebung beispielsweise Touristen zu vertreiben, von denen viele Menschen in Tunesien lebten.

Das Land wird Werenfels zufolge auch weiterhin eine Vorreiterrolle für die Demokratiebewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten spielen. Die innenpolitische Lage bezeichnete die Expertin als vergleichsweise stabil. Tunesien sei ein ethnisch homogenes Land mit einer breiten, gebildeten Mittelschicht. „Es gibt nicht das enorme Konfliktpotenzial wie etwa in Ägypten zwischen christlichen Kopten und Muslimen, das von Kräften, die den Demokratisierungsprozess stören wollen, ausgenutzt werden kann.“ (KNA/dapd)