Der Erfolg der islamistischen Ennahdha-Partei stellt die tunesische Demokratie bereits kurz nach ersten freien Wahlen vor eine Bewährungsprobe.

Tunis/Paris. Die junge tunesische Demokratie steht bereits kurz nach den ersten freien Wahlen vor einer riesigen Bewährungsprobe. Der Erfolg der islamistischen Ennahdha-Partei spaltet die Bevölkerung in zwei Lager. Dabei gilt vor allem gesellschaftlicher Konsens als wichtige Voraussetzung, um das nordafrikanische Mittelmeerland nach der Revolution in eine bessere Zukunft zu führen.

Maßgeblich dominiert wird der erbittert geführte Streit von Glaubensfragen. Zum einen geht es darum, ob es eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion geben sollte oder nicht. Zum anderen vor allem darum, ob man der Ennahdha-Bewegung über den Weg trauen kann. Viele westlich orientierte Tunesier tun dies nicht. Sie fürchten um ihre Bürger- und Freiheitsrechte und den Ruf ihres Landes.

Gleichberechtigung von Mann und Frau, gute Investitionsbedingungen und nicht zuletzt die Unterdrückung von religiösen Extremisten: In Europa galt Tunesien in den vergangenen Jahrzehnten als arabisches Musterland und beliebtes Urlaubsziel. Die Sorge ist nun, dass mit dem Erfolg der Islamisten dieses Bild bröckeln könnte, mit möglicherweise katastrophalen Folgen für die Wirtschaft.

Wer allerdings das Wahlprogramm der Ennahdha flüchtig durchblättert, sieht auf den ersten Blick keine besorgniserregenden Passagen. Ausdrücklich wird betont, dass man das Recht von Frauen auf Arbeit und die Kleidungsfreiheit wahren werde. Viel ist von Gleichbehandlung, individuellen Freiheiten und dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit die Rede. „Es ist Ihnen überlassen, ob sie an Gott glauben. Sie können Alkohol trinken und ihr eigenes Leben leben“, sagte der 70-jährige Parteiführer Ghannouchi kurz vor der Wahl an die Adresse liberaler Tunesier.

Für Ennahdha-Gegner sind all diese Äußerungen nur Fassade. Sie weisen auf die feinen Zwischentöne im Parteiprogramm hin, wo beispielsweise geschrieben steht, dass der „Missstand“ der späten Heirat und der vielen Scheidungen behoben werden müsse. „Wie soll das gehen ohne die Frauenrechte einzuengen“, fragen manche. Für Zündstoff sorgten auch die gewaltsamen Proteste gegen die Ausstrahlung des von einigen als gotteslästerlich eingestuften Animationsfilms „Persepolis“. Niemand habe das Recht, den Glauben der Mehrheit anzugreifen, sagte Ghannouchi dazu und sprach sich damit indirekt für Medienzensur aus.

Die Nähe des Islamistenführers zum Extremismus belegen nach Meinung von Kritikern seine Äußerungen zum Nahost-Konflikt. Das Middle East Media Research Institute (MEMRI) hat Aussagen aus einer Fernsehdiskussion mit Ghannouchi im Jahr 2001 dokumentiert. Dort sagte er zu Selbstmordattentaten junger Palästinenser: „Ich segne die Mütter, die im gesegneten Palästina den Samen dieser Jugendlichen gepflanzt haben, die dem internationalen System und den von den USA unterstützten arroganten Israelis eine wichtige Lehre erteilt haben.“