Zehntausende bei Massenprotesten vor griechischem Parlament in Athen. Der Ausstand legt das öffentliche Leben weitgehend lahm.
Athen. Ein Generalstreik und Straßenschlachten haben gestern das öffentliche Leben im schuldengeplagten Griechenland lahmgelegt. Vor dem Parlament in Athen, das am Abend in erster Lesung weitere harte Einschnitte für die Bevölkerung auf den Weg gebracht hat, setzte die Polizei massiv Tränengas gegen gewalttätige Demonstranten ein. Sie hatten die Sicherheitskräfte mit Steinen und Brandsätzen beworfen und zeitweilig zum Rückzug gezwungen. Auch an anderen Orten kam es vereinzelt zu Zwischenfällen. Der Generalstreik, zu dem die beiden größten Gewerkschaften aufgerufen hatten, soll 48 Stunden dauern.
Läden, Ämter, Ministerien und Schulen blieben geschlossen. Die Gewerkschaften hofften auf die größte Massenbeteiligung an den Protesten seit Beginn der Schuldenkrise vor zwei Jahren. Die Stimmung unter den Zehntausenden Demonstranten war aufgeheizt. Die Polizei, deren Beamte von den geplanten Einsparungen ebenso wie andere Beschäftigte der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes betroffen sind, hatte mehr als 5000 Kräfte im Einsatz. Sie sollten schwere Ausschreitungen wie im Juni verhindern.
Dennoch gelang es Demonstranten erstmals, bis zu den Stufen am Fuß des Parlamentsgebäudes vorzudringen. Über dem zentralen Syntagma-Platz, an dem auch die Volksvertretung ihren Sitz hat, stand dicker Rauch. "Wir haben hier keine Zukunft. Alle jungen Leute wollen ins Ausland, und sie haben recht", sagte die 17-jährige Anastasia Kolokotsa. "Es gibt keine Jobs, hier gibt es nichts." Viele der jungen Demonstranten trugen Helme. Auch abseits der Hauptversammlung vor dem Parlament warfen schwarz gekleidete Jugendliche Molotowcocktails auf Polizisten, die mit Tränengas reagierten.
Auch der Flugverkehr von und nach Griechenland kam durch den Streik der Fluglotsen zeitweilig zum Erliegen. Am Athener Flughafen fielen bis zum Mittag 150 Flüge aus. Auch die Deutsche Lufthansa und Air Berlin waren betroffen. In Hamburg und Hannover mussten wie auf anderen deutschen Airports Flüge gestrichen werden. Der Ausstand der Fluglotsen dauerte nur zwölf Stunden, da sie den Luftverkehr nicht zu sehr belasten wollten.
Erstmals beteiligten sich auch kleinere Läden wie Bäckereien an dem Ausstand. Am Morgen versammelten sich rund 400 Hafenarbeiter vor den Toren von Piräus, dem größten Seehafen des Landes. Vor dem Justizministerium trafen sich etwa 1000 Strafvollzugsbeamte. Viele Demonstranten forderten den Rücktritt der Regierung. "Wir wollen sie nicht mehr, denn sie bringen uns nur Unglück", sagte ein 46-jähriger Beschäftigter des öffentlichen Dienstes.
Alle Appelle von Ministerpräsident Giorgos Papandreou an sein Volk sind bislang verpufft. Er wandte sich zuletzt am Dienstagabend eindringlich an die Griechen und verglich die Lage des Landes mit einem Krieg. "Wir müssen durchhalten in diesem Krieg als Volk, als Regierung, als parlamentarische Gruppe, für das Land, um ihn zu gewinnen", sagte der sozialistische Regierungschef. "Wir werden für das Land siegen, wir werden durchhalten."
Finanzminister Evangelos Venizelos sagte im Parlament, Griechenland befinde sich in einem lähmenden, aber nötigen Kampf. "Von jetzt bis Sonntag kämpfen wir die Schlacht der Schlachten." Beim EU-Gipfel am Sonntag in Brüssel soll eine Strategie für das weitere Vorgehen in der Schuldenkrise beschlossen werden. Griechenland muss im Gegenzug für Hilfen von EU und Internationalem Währungsfonds harte Spar- und Reformauflagen erfüllen. Ohne fremde Hilfe kann das Land seine Schulden nicht mehr bedienen. Ein Zahlungsausfall aber könnte die gesamte Euro-Zone in eine tiefe Krise stürzen. Das Land steckt das dritte Jahr in Folge in der Rezession. Die Staatsverschuldung beläuft sich auf 162 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Regierung steckt in einer Zwickmühle: Die internationalen Gläubiger fordern immer härtere Reformen, die Wirtschaftslage verschlechtert sich, und der Protest der Bevölkerung wächst. "Wir werden eine laute Botschaft an die Regierung und das politische System senden", sagte der Chef der Gewerkschaft Adedy, Costas Tsikrikas. Auf den Transparenten der Demonstranten war "Die Macht dem Volk" oder "Die Regierung muss stürzen" zu lesen. Wer im Zentrum seinen Lebensunterhalt verdient, weiß nicht, wem er die Schuld an der Situation geben soll: der Regierung, die keine Alternative sieht zu Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen? Oder den Bürgern, die die Politiker satthaben? Bei jeder Demonstration lassen Läden und Cafés schleunigst die Rollläden herunter, die nach unzähligen eingeschlagenen Schaufenstern eingebaut wurden. "Bei einem Streik oder einer Demonstration verlierst du 1000 Euro am Tag", sagt ein Café-Betreiber, doch: "Wir machen weiter, ohne Hoffnung."
Trotz der explosiven Lage fand Papandreou aber auch markige Worte für die Streikenden: "Wenn Sie das Land zersetzen, dann wird es kein Geld für die Renten und Löhne geben." Und ein Problem bleibt, dass sich die Politikerkaste des Landes mehr mit sich selbst als mit den drängenden Problemen des Landes beschäftigt. Von Eintracht keine Spur, wie sich wieder einmal zeigte. Papandreou traf sich mit dem konservativen Oppositionschef Antonis Samaras. Die Mienen waren versteinert. Samaras war beleidigt, weil Papandreou bei einer Rede die gegnerische Partei Nea Dimokratia für einen Teil der Krise verantwortlich gemacht hatte. Kalten Blickes gab er Papandreou die Hand und erklärte, er könne nicht mit jemanden zusammenarbeiten, der ihn schlechtmache.
Aber auch Papandreou leistete seinen Teil zur miesen Stimmung. Er hatte Samaras fast zwei Stunden warten lassen, weil er es vorzog, eine Rede vor Abgeordneten seiner Partei zu halten.
Neuwahlen würden wahrscheinlicher, meinen politische Kommentatoren. Vielleicht gebe es nach Wahlen eine Chance, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Griechen keiner Partei die Mehrheit geben. Dann müssten auch politische Erzfeinde zusammenarbeiten - im Interesse des Landes.
Auch im hoch verschuldeten Portugal steht aus Protest gegen den Sparkurs der Regierung ein Generalstreik bevor. Die größte Dach-Gewerkschaft des Landes, CGTP, will den Streik am 24. November abhalten, wie sie gestern ankündigte. Die Entscheidung sei gefallen, nachdem die Regierung ihren Haushaltsentwurf für 2012 vorgestellt habe. Die Mitte-rechts-Regierung will unter anderem Urlaubsgeld und Sonderzahlungen zum Jahresende für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst für zwei Jahre aussetzen. "Zu diesem Zeitpunkt rechtfertigen die Verarmung des Landes, das Ausmaß der Rezession und der Arbeitslosigkeit sowie die Ungerechtigkeiten, die wir sehen, den Streik", sagte CGTP-Chef Manuel Carvalho da Silva vor Journalisten. "Wir müssen kämpfen, ohne zu zögern, und tun, was nötig ist", fügte er hinzu.
Am selben Datum vor einem Jahr hat es in Portugal bereits einen Generalstreik gegeben. Die Protestaktionen haben sich bislang anders als in Griechenland aber in Grenzen gehalten.
So verlief der Streik im September