Ex-Außenminister Joschka Fischer spricht über die Folgen des 11. Septembers. Auf der ganzen Welt wird heute der Opfer des Terrors gedacht.
New York /Hamburg. Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer hat die Bedeutung des 11. September 2001 für den Verlauf der Weltgeschichte relativiert. Fischer sagte in einem Interview mit "Bild am Sonntag": "Der 11. September hat die USA sehr verändert. Die eigentliche ,Zeitenwende' ist aber der Aufstieg der Schwellenmächte. Ich meine zum Beispiel den Aufstieg Chinas. Das markiert eine neue Epoche." Hier müsse er sich inzwischen selbst ein Stück weit relativieren, so Fischer.
Der Grünen-Politiker glaubt, dass der islamistische Terror überwunden werden kann: "In der Regel besiegt man Terrorismus nicht, sondern er erledigt sich. Wenn sich die Bedingungen und das Umfeld verändern, schwindet der Terror dahin. Wir müssen widerstehen, auch wenn es lange dauert." In diesem Zusammenhang verwies Fischer auf den Umbruch in der arabischen Welt: "Es ist ja etwas Neues aufgetaucht - die Demokratiebewegung in den arabischen Ländern. Das ist für die Terroristen, aber auch für Länder wie den Iran eine bedrohliche Herausforderung. Wenn sich diese Demokratiebewegung durchsetzt, wird sich die Lage im Nahen und Mittleren Osten sehr verändern. Die islamischen Parteien werden zwar eine bedeutende Rolle spielen, aber nicht in Richtung eines Gottesstaates."
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Zugleich plädierte Fischer dafür, die offene Gesellschaft aus Angst vor Terrorismus nicht aufzugeben: "Der Terror erstickt unsere offene Gesellschaft mit Sicherheitsmaßnahmen nur, wenn wir das zulassen. Offene Gesellschaften müssen auch den Mut zur Offenheit haben und zu ihren Werten stehen. Uns kann nicht der Terrorismus besiegen. Uns kann nur unsere Furcht besiegen!"
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Die Anschläge vom 11. September habe er damals, so Fischer, als "eine Kriegserklärung an uns alle" verstanden. "Ein kalt geplanter Terroranschlag, perfekt gemacht und in der Wirkung genau kalkuliert. Die USA militärisch anzugreifen war ja nicht möglich. Es ging darum, den Elefanten mit Moskitostichen so zu reizen, dass er durchdreht." Fischer weiter: "Der psychologische Schock für die USA war vielleicht noch größer als bei dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941. Damals wurde eine Militärbasis im Pazifik attackiert. Hier ging es um Downtown Manhattan! Es ging um den Mythos New York!"
Er selbst habe an jenem Tag keine Hilflosigkeit gespürt, sondern Wut, so Fischer. "Wut auf die, die dieses Verbrechen zu verantworten haben. Es waren doch keine Kampfhandlungen. Die Terroristen wollten Unschuldige töten. Es wurden Piloten, Stewardessen, Passagiere, Köche und Kellner ausgelöscht, eine ganze Restaurant-Crew. Symbole des Kapitalismus? Nichts da. Ganz normale Menschen, Putzkräfte, Klofrauen, technisches Personal, Feuerwehrleute. Es war kein Angriff auf die ,Herrschenden'."
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Unterdessen wird heute - zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September - weltweit der Opfer des Terrors gedacht. Am frühen Sonntagmorgen (MESZ) begannen im Pazifikraum erste Gedenkfeiern, bei denen sich Politiker und Angehörige der Toten versammelten. Von Sydney bis New York finden Zeremonien statt, die an die beinahe 3.000 Menschen aus mehr als 90 Ländern erinnern sollen, die bei den Anschlägen ums Leben gekommen sind.
Bei einem Gottesdienst in New Plymouth in Neuseeland kamen am Sonntag (Ortszeit) hunderte Menschen zusammen, unter ihnen auch die Mitglieder des amerikanischen Rugby-Teams, das derzeit für die Weltmeisterschaft im Land ist. US-Botschafter David Huebner, dessen Bruder den Anschlag auf das World Trade Center überlebt hatte, verurteilte bei der Veranstaltung den "brutalen Mord an 3.000 Menschen", lobte aber auch einen "Triumph der menschlichen Güte" nach den Attacken.
Auch in Malaysia und Australien gedachten Familien ihrer Angehörigen, die bei den Anschlägen auf das World Trade Center getötet worden waren. In den USA wird US-Präsident Barack Obama an allen drei Anschlagsorten der Opfer gedenken: In New York, in Washington und in der Nähe von Shanksville in Pennsylvania. Am Abend soll der US-Präsident bei einer Gedenkveranstaltung im Kennedy Center in Washington sprechen.
Angesichts "glaubhafter aber unbestätigter“ Berichte über neue Angriffspläne der Extremisten-Organisation al-Qaida befanden sich die Sicherheitskräfte in New York und Washington in höchster Alarmbereitschaft. In Manhattan sind die Sicherheitsvorkehrungen besonders streng: Die Polizei nimmt an Zufahrtsstrßen Autokontrollen vor.
Neben Präsident Barack Obama wird auch sein Vorgänger George W. Bush bei einer Gedenkveranstaltung an dem als Ground Zero bekannten ehemaligen Standort der Zwillingstürme erwartet. Dort sollen im Tagesverlauf in Anwesenheit von Hinterbliebenen die Namen der Opfer verlesen werden. In der ganzen Stadt sollen die Kirchenglocken läuten.