Norwegen trauert um die mindestens 93 Toten des Doppelanschlags. Täter hatte Dumdum-Geschosse abgefeuert
Oslo. Im Osloer Dom hielten sich die Menschen an den Händen, vor der Kirche drängten sich Tausende, legten weinend Blumen nieder, zündeten Kerzen an: Mit einem zentralen Trauergottesdienst und Andachten im ganzen Land hat Norwegen gestern Abschied genommen von den mindestens 93 Todesopfern der Terroranschläge vom Freitag. Getrieben vom Hass auf alles Linke und Fremde hatte der 32-jährige Norweger Anders Behring Breivik sieben Menschen im Osloer Regierungsviertel mit einer Bombe getötet und anschließend mindestens 86 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendlagers auf der Ferieninsel Utøya kaltblütig erschossen. Auch am Sonntag wurden an beiden Tatorten immer noch etliche Menschen vermisst.
Sein Land sei von der schlimmsten Untat seit dem Krieg getroffen worden, sagte der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg während der Trauerfeier, an der auch König Harald V., Königin Sonja, Kronprinz Haakon und Kronprinzessin Mette-Marit teilnahmen. "Jeder und jede Einzelne, die von uns gegangen sind, ist eine Tragödie", sagte Stoltenberg. Er habe mehrere der Opfer gekannt - darunter den jungen Sozialdemokraten Tore Eikeland. "Jetzt ist er tot. Weg für immer. Es ist nicht zu begreifen."
Anders Behring Breivik will heute zu seiner Tat Stellung nehmen und seine Motive öffentlich darlegen, kündigte sein Anwalt Geir Lippestad gestern an. Breivik habe den Massenmord an den überwiegend jungen Leuten in einem Zeltlager nahe Oslo als "grausam, aber notwendig" bezeichnet.
Noch wenige Stunden vor der Tat hatte der rechtsextreme Fanatiker ein 1560 Seiten umfassendes anti-islamisches Pamphlet ins Internet gestellt. Darin äußerte er seinen Hass auf "Kultur-Bolschewisten" und rief zum "Kreuzzug" gegen die Verbreitung des Islam auf. "Wenn du zum Schlag entschlossen bist, ist es besser, zu viele als zu wenige zu töten, weil du sonst den gewünschten ideologischen Erfolg deines Schlags verringerst", heißt es in der Hass-Schrift. Darin soll Breivik auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie die SPD, Die Linke und die Grünen als mögliches Anschlagsziel genannt haben, berichtet die "Hamburger Morgenpost". Der Verfassungsschutz bestätigte dem Blatt, dass in dieser Sache ermittelt wird. Es gehe um "mögliche Kontakte" des Attentäters zur rechten Szene in Deutschland.
Breivik hatte am Freitag zunächst einen Bombenanschlag auf den Amtssitz von Ministerpräsident Stoltenberg verübt. Kurz darauf griff er, in eine Polizeiuniform gekleidet, das Zeltlager der jungen Sozialdemokraten auf der gut eine Autostunde von Oslo entfernten Insel Utøya an und erschoss kaltblütig mindestens 86 Jugendliche und junge Erwachsene. Dabei hat er nach Angaben eines Chirurgen Dumdum-Geschosse eingesetzt - spezielle Projektile, die im Körper des Getroffenen zerplatzen. "Diese Projektile fügten inneren Schaden zu, der absolut entsetzlich ist", sagte Colin Poole, Chefarzt der Chirurgie am Ringriket-Krankenhaus in der nordwestlich von Oslo gelegenen Stadt Honefoss.
Nach Berechnungen der Polizei hatte der Attentäter bis zu seiner Festnahme fast 90 Minuten Zeit, das Massaker zu begehen. Der Beinahe-Untergang eines Polizeibootes und die Entscheidung, auf die Anti-Terror-Einheit aus dem 45 Kilometer entfernten Oslo zu warten, hätten den Zugriff der Sicherheitskräfte verzögert, verteidigten sich die Behörden. Breivik hatte sich zwei Minuten nach Ankunft der Elitepolizisten festnehmen lassen.
Weltweit löste der Doppelanschlag Trauer und Bestürzung aus. Papst Benedikt XVI. sprach von einem "Akt sinnloser Gewalt", Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Gewalttaten ebenso wie Kreml-Chef Dmitri Medwedew. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Verbrechen eine "hasserfüllte Tat".
Der Hamburger Bürgermeister und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Olaf Scholz rief im Abendblatt-Interview zur Stärkung demokratischer Werte auf. Diese seien "nicht von alleine da. Man muss sich um sie bemühen. Das ist der beste Schutz gegen solche Täter." Weltoffenheit und die Bereitschaft, mit unterschiedlichen Kulturen umzugehen, seien sozialdemokratische Grundüberzeugungen. "Daher ist es auch ein Anschlag auf sozialdemokratische Werte und Vorstellungen", sagte Scholz.