Die Uno will sich nicht von militanten Islamisten davon abbringen lassen, Medikamente und Lebensmittel auch nach Somalia zu liefern.
Nairobi/Genf/Hannover. Einige durch die Hungerkatastrophe bedrohte Regionen sind aufgrund der schlechten Sicherheitslage nur schwer zu erreichen. Die Vereinten Nationen wollen sich durch Drohungen der islamistischen Al-Shabaab-Bewegung aber nicht von ihren Hilfsaktionen in Somalia abhalten lassen. Die Uno will Medikamente und Lebensmittel in „beispielloser Menge“ ans Horn von Afrika bringen, um vor allem die hungernden Kinder vor dem Tod zu retten. Mehrere UN-Hilfswerke erklärten am Freitag in Genf und Nairobi, die Einsatzpläne würden durch islamistische Drohungen nicht beeinträchtigt. Derweil steigt die Zahl der Hunger-Toten. Die beiden großen Kirchen in Deutschland riefen zu Spenden auf. Die Bundesregierung erwägt, die bisher gewährte 15,5 Millionen Euro Nothilfe weiter aufzustocken.
„Wenn wir Leben retten wollen, dann müssen wir jetzt handeln, so schnell wie möglich massive Mengen an Medizin, Impfstoffen und angereicherten Nahrungsmitteln in die Region bringen und diese an die notleidenden Kinder verteilen“ sagte die Direktorin der Abteilung für Nachschubbeschaffung des Kinderhilfswerks Unicef, Shanelle Hall, am Freitag.
Die Organisation arbeite bereits mit Partnern vor Ort, um die bereits bestehenden Operationen auszuweiten. „Es gibt keine Alternative zu unserem Ziel, Kinder und ihre Familien am Leben zu erhalten“, sagte der Regionaldirektor für das östliche und südliche Afrika, Elhadj As Sy. „Jedes Leben muss zählen und wir können in dieser Krise nicht noch mehr Leben verlieren.“
Die Organisation will auch per Luftbrücke Moskitonetze gegen Malaria und Medizin in die betroffenen Gebiete bringen. Groß angelegte Impfkampagnen seien geplant, um den Ausbruch von ansteckenden Krankheiten zu vermeiden. „Wir sind dankbar für die Großzügigkeit der internationalen Gemeinschaft, und diese hat auch schon Wirkung gezeigt“, sagte Sy. Es würden aber weiter dringend Spenden benötigt: „Jede Minute, die diese Menschen ohne lebensrettende Unterstützung sind, kann den Unterschied ausmachen zwischen Leben und Tod.“
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass mehr als die Hälfte der Somalier dringend humanitäre Hilfe braucht. Die WHO-Beauftragte für Somalia, Marthe Everard, schätzt die Zahl am Freitag in Genf auf 3,7 Millionen Menschen. Zu Beginn des Jahres seien es noch 2,4 Millionen gewesen. In Teilen der beiden besonders von der Dürre betroffenen Regionen sei inzwischen die Hälfte der Bevölkerung unterernährt. Die tägliche Todesrate liege bereits bei über 6 je 10.000 Menschen. Im Süden Somalias seien 554 000 Kinder unterernährt, was einem von drei Kindern entspreche. Weitere Probleme bereitet laut Everard die steigende Zahl von Masern-Erkrankungen in der Hauptstadt Mogadischu.
UNICEF: Islamisten werden unsere Arbeit nicht beeinflussen
Die Islamisten der Al-Schabaab-Bewegung, die große Teile Somalias kontrollieren, hatten am Donnerstagabend in der somalischen Hauptstadt Mogadischu die Hungersnot als Propagandalüge bezeichnet. Ein Sprecher nahm zuvor gemachte Zusagen, allen Hilfsorganisationen freien Zugang zu gewähren, zurück.
Der für Ostafrika zuständige UNICEF-Regionaldirektor Elhadj As Sy erklärte dazu am Freitag in Nairobi, derzeit gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die neue Erklärung der Al Schabaab die Arbeit beeinflussen werde. „Wir werden aber natürlich wachsam beobachten, dass unsere Hilfe die Bedürftigen erreicht und unsere Mitarbeiter sicher sind.“
Ähnlich äußerte sich das Welternährungsprogramm in Genf. Al Schabaab sei keine einheitliche Organisation. Widersprüchliche Aussagen zum Zugang für Hilfsorganisationen habe es bereits früher gegeben, sagte ein Sprecher. Die UN-Organisation plant den Aufbau einer Luftbrücke nach Mogadischu, um 2,2 Millionen Menschen im Süden Somalias zu versorgen. Dort ist die Not am schlimmsten. Islamisten hatten ausländische Hilfsorganisationen von dort vertrieben. In anderen Teilen Somalias versorgt die UN-Organisation bereits 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln.
Täglich kommen 1.000 neue Flüchtlinge nach Mogadishu
Vor Hunger und Krieg flüchten weiter Tausende Somalier über die Grenze. Oft sind sie völlig erschöpft und ausgezehrt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR starben allein am Dienstag im äthiopischen Lager Dollo Ado, in dem 11.000 Flüchtlinge leben, 15 Menschen. Auch in Dadaab im Norden Kenias, wo sich rund 400.000 Flüchtlinge aufhalten, sterben mehr Menschen, vor allem Kinder.
Seit Anfang des Jahres wurden in Kenia 100.000 somalische Flüchtlinge registriert, in Äthiopien 78.000. Auch in der somalischen Hauptstadt Mogadischu treffen täglich mindestens 1.000 Hilfe-Suchende ein, die aus den besonders schlimm betroffenen Dürreregionen kommen.
In einem eindringlichen Appell baten die evangelische und die katholische Kirche die Bundesbürger um Solidarität mit den Bedürftigen. „Bitte nehmen Sie sich ihre Not zu Herzen: Schließen Sie die Menschen in Ostafrika in Ihr Gebet ein und unterstützen Sie die Hungernden mit Ihrer Spende“, erklärten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch.
Die Bundesregierung erwägt angesichts der Dürre am Horn von Afrika die Aufstockung ihrer Hilfe für die Hungernden. „Die internationale Gemeinschaft setzt alles daran, diese Katastrophe noch abzuwenden“, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) der „Saarbrücker Zeitung“. Die Regierung prüfe derzeit, „welche weiteren Mittel wir bereitstellen können“.
Entscheidungen seien aber noch nicht gefallen, sagte eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums am Freitag. Die Bundesregierung hatte erst vor einer Woche ihre Soforthilfe erhöht. Nach offizieller Lesart sind es jetzt 15,5 Millionen Euro. Nach Kritik von SPD und Grünen forderten auch die beiden Unions-Abgeordneten Sibylle Pfeiffer und Helmut Heiderich eine rasche Aufstockung.
Aus dem Topf des Entwicklungsministerium waren bereits vier Millionen Euro an Not- und Übergangshilfe bereitgestellt. Angesichts der Notlage in Kenia und Somalia wurde diese Summe um 5,34 Millionen Euro aufgestockt. Aus dem Auswärtigen Amt kamen 2011 bisher 6,1 Millionen Euro hinzu.
Das sind aber nicht die einzigen Hilfszahlungen der Bundesregierung. Deutschland ist im Welternährungsprogramm bilateral der fünftgrößte Geber. Der Topf des zweitgrößten Gebers, der EU, wird nochmals zu 20 Prozent aus Deutschland gespeist. Doch dem Programm, das die Hilfeleistung in Ostafrika koordiniert, fehlt noch eine dreistellige Millionensumme: Je nach Berechnung sind es zwischen 350 und 550 Millionen Euro.
Die Vereinten Nationen schätzen den Hilfe-Bedarf für die Hungernden in Ostafrika auf 1,6 Milliarden US-Dollar (1,1 Milliarden Euro). Davon hat die internationale Gemeinschaft erst etwa die Hälfte bereitgestellt. Neben Somalia sind auch Äthiopien, Kenia und der Sudan von der schwersten Dürre in der Region seit 60 Jahren betroffen.
Mit Material von dpa/epd/dapd