“New York Post“-Reporter sollen Opfer des 11. September ausspioniert haben. Ob Murdochs News Corp amerikanische Gesetze verletzte ist unklar.
Washington. Mit der Forderung führender US-Politiker nach Untersuchungen, ob Rupert Murdochs News Corp amerikanische Gesetze verletzte, hat der britische Skandal den Sprung über den Atlantik geschafft. Vier demokratische Senatoren, Jay Rockefeller, Barbara Boxer, Frank Lautenberg und Robert Menendez haben in Briefen an die Bundespolizei FBI, das US-Justizministerium, die Börsenaufsicht (SEC) und die Bundesmedienbehörde (FCC) gefordert zu ermitteln, ob News Corp, ein amerikanisches Unternehmen mit Stammsitz im Staat Delaware, das gesetzliche Verbot brach, ausländische Beamte - in diesem Fall Polizisten Scotland Yards - zu bestechen.
Zudem, so die Senatoren, bestehe der Verdacht, dass die Privatsphäre von US-Bürgern verletzt worden sei. Offenbar stützen sich die Senatoren hier auf einen Bericht der britischen Zeitung "Daily Mail", wonach "News of the World" versuchte, von einem New Yorker Kriminalbeamten Aufzeichnungen von Telefonaten britischer und amerikanischer 9/11-Opfer im World Trade Center in den Minuten vor ihrem Tod zu erhalten. Noch gibt es keine weitere Quelle für die Behauptungen.
Anders als für die Bestechlichkeit von Beamten Scotland Yards in den USA. Der U.S. Foreign Corrupt Practices Act verbietet bei Strafandrohung amerikanischen Firmen solche Praktiken. Zu den vier Senatoren gesellte sich als erster Republikaner der New Yorker Abgeordnete Peter King, Vorsitzender des Ausschusses für Heimatschutz im Repräsentantenhaus. Kings Beteiligung an dem Vorstoß gegen News Corp, das Amerikas rechtskonservative Politik und Politiker unterstützt, ist von besonderer Bedeutung. Der Skandal hat gute Chancen, sein Gift in den US-Präsidentschaftswahlkampf zu tragen.
In Rupert Murdochs US-Imperium steht das angesehene "Wall Street Journal" neben der wollüstig schmuddeligen "New York Post". Unter den 27 Fernsehkanälen spielt der Kabelsender Fox News die Rolle des Propagandasprachrohrs für die politische Agenda des Medienmoguls. Nicht einmal die Bewunderer von Fox News kaufen dem Sender seinen Slogan "fair and balanced" ab: Der erfolgreichste News-Kabelsender hält sich potenzielle Präsidentschaftskandidaten der Republikaner als bezahlte Kolumnisten: Sarah Palin ist ihr Star, Mike Huckabee hat eine eigene Show, Newt Gingrich spielt hier den Professor. Alte Meister wie George W. Bushs Chefberater Karl Rove haben ständig das Wort in dem Kanal, in dem Präsident Obama nur als Beelzebub auftritt. Eine Million Dollar spendete Murdoch im vergangenen Jahr der Vereinigung republikanischer Gouverneure; es ist kein Zufall, dass republikanische Politiker bisher den britischen Abhörskandal weitgehend ignorieren, wie auch Fox News selbst.
Pikanter und komplizierter ist das Verhältnis von New Yorker Politikern zu Murdoch und seinem Boulevardblatt "New York Post". Bürgermeister Michael Bloomberg, ein aufgeklärter Konservativer, und New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, ein liberaler Demokrat, haben sich um ein gutes Einvernehmen mit dem Blatt bemüht. Wie Bloomberg und Cuomo zu den Vorwürfen gegen News Corp stehen werden, wenn sie sich äußern müssen, ist noch unklar. Noch heikler ist die Position Rudy Giulianis, des ewigen Helden von 9/11. Der ehemalige Bürgermeister und (2008 gescheiterte) Präsidentschaftskandidat hatte in der "New York Post" eine treue Hauspostille. Sollte an den Vorwürfen etwas dran sein, dass Murdochs Reporter die Angehörigen von 9/11 abhören wollten oder belästigt haben, wäre Giuliani in schwerer Bedrängnis.
Carl Bernstein, neben Bob Woodward Aufklärer des Watergate-Skandals, vergleicht den britischen Abhörskandal, der Politiker, Prominente aller Art und die Krone traf, mit dem Tsunami von Watergate.
Murdochs enormer Einfluss auf die Meinungsbildung in den USA sollte sein Geschäftsgebaren auch für die Amerikaner interessant machen. Timothy Garton Ash verglich in einem Meinungsstück für die "Los Angeles Times" das intime Zusammenspiel von Politik, Polizei und Boulevardpresse mit "einer Krankheit, die in den vergangenen 30 Jahren die Herzkranzgefäße des britischen Staates verstopft hat". Ash mokierte sich über das gespielte Desinteresse von Fox News an dem Skandal. Christopher Bancroft, Mitglied der Familie, die 2007 das "Wall Street Journal" und den Dow Jones an Rupert Murdoch verkaufte, bekannte Reue: "Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich mich viel heftiger gegen das Angebot gewehrt." Ein anderes Familienmitglied, Lisa Steele, glaubt, der Verkauf wäre wohl unmöglich gewesen; was sie im "Journal" über den Skandal lese, sei "schrecklich, wenn nicht kriminell". Beide sorgen sich um den Ruf des "Journal", dessen Meinungsseite allerdings ohnehin Narrenfreiheit genießt und das übrige Blatt mit Rechts-außen-Tiraden in Verlegenheit bringt.
Wenig Aussicht auf Erfolg haben die Vorstöße von (überwiegend linksliberalen) Medien-Aufsichtsgruppen, die auf die US-Lizenzgesetze verweisen. Diese machen für das Betreiben eines TV-Senders einen "guten Charakter" zur Bedingung; dies, sagen die Aktivisten, könne man wohl kaum mehr von Murdoch behaupten. Nun hat die zuständige Federal Communication Commission erst einmal in ihrer Geschichte eine Lizenz entzogen. Man ahnt, welch eine Welle von Prozessen auf die FCC zurollte, wenn die Kommission die charakterliche Eignung Murdochs auch nur in Zweifel zöge. Meinungs- und Pressefreiheit sind fast allheilig in den USA; eher kann ein Bürger in SS-Uniform umhermaschieren oder den bewaffneten Marsch auf Washington organisieren, als dass man seiner Freiheit zu nahe träte. Es ist diese amerikanische Priorität, die den Australier Murdoch einst mit bewog, US-Bürger zu werden und sein Imperium in den USA aufzubauen.