Kein Hausarrest und keine Kaution mehr für den ehemaligen IWF-Chef. Die Kronzeugin soll in einen Drogenhandel verstrickt sein.
New York/Paris. Der frühere IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn will sich trotz seiner Freilassung aus dem Hausarrest in New York vorerst nicht zu den Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn äußern. Sein Mandant werde erst öffentlich Stellung nehmen, wenn er freigesprochen und wieder in Frankreich sei, erklärte sein Anwalt Jean Veil am Freitag. Der 62-jährige Franzose muss sich in den USA wegen des Vorwurfs der versuchten Vergewaltigung und sexueller Nötigung einer Hotelangestellten vor Gericht verantworten. Wegen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin war er aus dem Hausaarrest entlassen worden, darf das Land aber nicht verlassen.
Strauss-Kahn trat am 19. Mai von seinem Posten als IWF-Chef zurück. Nachfolgerin ist die bisherige französische Finanzministerin Christine Lagarde. (rtr)
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Strauss-Kahn kommt frei
Sieben Wochen nach dem angeblichen sexuellen Angriff auf ein Zimmermädchen kommt der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, frei. Der New Yorker Supreme Court stimmte am Freitag der Aufhebung des scharfen Hausarrests zu. Auch die Kaution werde wieder ausgezahlt. Der Franzose darf die USA aber nicht verlassen. Und: Der Fall ist nicht vom Tisch, es kann immer noch zu einer Verhandlung wegen eines Vergewaltigungsversuchs kommen. Der nächste Gerichtstermin ist wie geplant am 18. Juli.
Strahlend und mit der rechten Hand auf der Schulter seiner Frau verließ Strauss-Kahn das Gericht. Zuerst bemühte er sich noch um einen ernsten Gesichtsausdruck, dann lächelte er aber doch. Der 62-Jährige lebte unter scharfem Hausarrest mit elektronischer Fußfessel, Überwachungskameras und einem bewaffneten Wachmann.
Hintergrund der Aufhebung des Haftbefehls sollen erhebliche Zweifel auch bei der Staatsanwaltschaft an der Kronzeugin sein, die ihm einen Vergewaltigungsversuch vorgeworfen hatte. Der Anwalt des angeblichen Opfers von Strauss-Kahn sieht den Fall der versuchten Vergewaltigung dagegen unverändert. "Die Tat hat stattgefunden", betonte Kenneth Thompson in New York unmittelbar nach der Freilassung des früheren Währungsfondschefs. "Dieser Tag hat nichts verändert."
Strauss-Kahn war am 14. Mai auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen in New York festgenommen worden, nachdem ein Zimmermädchen im Hotel Sofitel in Manhattan ihn der versuchten Vergewaltigung beschuldigt hatte. Gegen eine Kaution von einer Million Dollar in Freiheit erwartete Strauss-Kahn in Hausarrest in New York seinen Prozess. Es ist bemerkenswert, dass es nicht Ermittler der Verteidigung, sondern der Staatsanwaltschaft waren, die das Zimmermädchen, eine 2002 aus Guinea in die USA eingewanderte Asylantin, mehrfach der Lüge überführten. Laut Darstellung der "New York Times" bleibt das angebliche Opfer zwar bei den Beschuldigungen - und an der Authentizität der Samenspuren, die an der Kleidung der Frau festgestellt und über einen DNS-Vergleich Strauss-Kahn zugeordnet wurden, gibt es keine Zweifel. Der Angeklagte selbst hatte indes die Vorwürfe stets bestritten, "einvernehmlichen Sex" jedoch zugegeben.
Gelogen hat die Frau laut "New York Times" bei Aussagen zu ihrem Asylantrag. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hatte sie erklärt, sie sei in Guinea ein Opfer von Vergewaltigung und sexueller Verstümmlung geworden; auf dem Asylantrag selbst findet sich kein Wort davon. Schwerer wiegt, dass die Frau noch am Tag des angeblichen Angriffs von Strauss-Kahn in einem (von den Behörden aufgezeichneten) Telefonat mit einem Strafgefangenen die möglichen finanziellen Vorzüge einer solchen Beschuldigung besprach. Der Häftling sitzt ein, nachdem er mit 400 Pfund Marihuana festgenommen wurde.
Dieser Mann zählt zu einer Gruppe von Verdächtigen, die während der vergangenen beiden Jahre insgesamt 100 000 Dollar auf das Konto der Frau überwiesen haben. Die Einzahlungen wurden in vier verschiedenen US-Staaten getätigt, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Geldwäsche. Die Frau soll angegeben haben, die Zahlungen kämen von ihrem Verlobten und seinen Freunden, mehr wisse sie nicht. Der Lüge überführt worden sei sie angeblich, als sie angab, nur ein Telefon zu besitzen und eine Rechnung zu bezahlen. Es stellte sich aber heraus, dass sie jeden Monat Hunderte Dollar an fünf verschiedene Anbieter zahlte. Benjamin Brafman und William Taylor, die Verteidiger Dominique Strauss-Kahns, hatten früh klargestellt, dass sie ihre Strategie auf die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers ausrichten wollten. Umso überzeugter von der Schuld Strauss-Kahns hatte sich die Staatsanwaltschaft gegeben. "Das Opfer hat sich direkt nach dem Vorfall übereinstimmend gegenüber vielen Zeugen, Kollegen im Hotel wie Ermittlern geäußert. Auch eine Untersuchung im Krankenhaus erbrachte Übereinstimmung mit den Angaben und Befunden."
In Frankreich hatte bereits die Nachricht von der möglicherweise zusammenstürzenden Anklage gegen Strauss-Kahn am Freitagmorgen ein mittleres politisches Erdbeben ausgelöst. Schon im Morgengrauen meldeten sich erste Stimmen, die eine Aussetzung der sozialistischen Vorwahlen für die Präsidentschaftswahl forderten - um Strauss-Kahn noch die Teilnahme zu ermöglichen, falls die Vergewaltigungsvorwürfe tatsächlich fallen gelassen werden. Bis zu seiner Verhaftung am 14. Mai galt Strauss-Kahn als aussichtsreichster möglicher Herausforderer von Nicolas Sarkozy für die französische Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Verschwörungstheorien, Strauss-Kahn sei eine Falle gestellt worden, machten die Runde.
Am Dienstag erst hatte die sozialistische Parteivorsitzende Martine Aubry ihre Kandidatur angekündigt. Aubry hatte ursprünglich mit Strauss-Kahn einen "Pakt" geschlossen, nicht gegeneinander anzutreten. Der offizielle Bewerbungsschluss für die sozialistischen Vorwahlen ist der 13. Juli. Die PS-Politikerin Michèle Sabban, Vizepräsidentin im Regionalparlament von Ile-de-France, forderte als Erste die bereits nominierten Kandidaten auf, den Vorwahlvorgang vorübergehend "auszusetzen" und "Dominique die Zeit zu geben, das Wort zu ergreifen". Und auch Aubry hatte den Tränen nahe erklärt, sie hoffe "von ganzem Herzen", dass die amerikanische Justiz "ab heute Abend die Wahrheit feststellen wird und Dominique Strauss-Kahn gestattet, diesen Albtraum zu beenden".