Wen Jiabao spricht mit Angela Merkel: Die Themen reichen von geplanten Wirtschaftsabkommen in Milliardenhöhe bis zu Menschenrechten.
Berlin. Die Themen, die Deutschland und China in ihren ersten Regierungskonsultationen angehen werden, reichen von Airbus über Tibet bis Euro und Marktwirtschaft. Die Forderung von Amnesty International, Menschenrechtsverletzungen in China offen anzusprechen, wird die Kanzlerin jedoch kaum erfüllen. Dafür steht zuviel Kooperation auf dem Spiel. Bei dem Treffen von Angela Merkel (CDU) und Chinas Ministerpräsident werden 14 Wirtschaftsabkommen unterzeichnet. Auch brisante Themen wie den Umgang Chinas mit den Menschenrechten sollen nicht ausgespart werden, allerdings hinter verschlossener Tür. „Wenn man ein Ergebnis erzielen will, ist es nicht angemessen, wenn man die Fälle öffentlich und individuell anspricht“, sagte ein ranghoher deutscher Diplomat am Montag in Berlin.
Wen ist nach seinen Besuchen in Ungarn und Großbritannien mit einer 13 Minister umfassenden Delegation in Berlin eingetroffen. Von deutscher Seite sitzen ihm Kanzlerin Merkel und zehn Ressortchefs gegenüber, darunter Außenminister Guido Westerwelle und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (beide FDP). Auch die deutsche Wirtschaft ist mit einer großen Delegation dabei. Ganz vorne BASF, Siemens, Daimler, VW.
Wirtschaftsabkommen in Milliardenhöhe
Wie am Montag aus Regierungskreisen verlautete, sollen 14 Wirtschaftsabkommen mit einem Volumen in Milliardenhöhe unterzeichnet werden. Details wurden nicht bekannt, es wurden in den Kreisen aber nicht ausgeschlossen, dass es beim Thema Airbus „zu einer Vereinbarung“ kommt. Auch die Frage der Euro-Entwicklung werde eine Rolle spielen, hieß es.
„Nachholbedarf“ sieht die Bundesregierung bei Chinas Investitionen in Deutschland. Die belaufen sich den Angaben zufolge auf bislang nur 600 Millionen Euro, während Deutschland in China 20,7 Milliarden Euro investiert hat. Ein wunder Punkt für China wiederum ist, dass Deutschland und die Europäische Union dem Land – der zweitgrößten Volkswirtschaft mit einem Wirtschaftswachstum von 10,3 Prozent im vorigen Jahr – nicht den Status einer Marktwirtschaft einräumen wollen. Grundsätzlich sei Deutschland dazu bereit, wenn China einige Bedingungen erfülle, heißt es in Berlin. Es müsse seine Marktzugangsbeschränkungen für ausländische Firmen aufgeben. Deutschland ist innerhalb der EU Chinas wichtigster Handelspartner.
Auf der Tagesordnung soll zudem die Reform des internationalen Währungssystems stehen. China wird vom Westen zu einer Aufwertung seiner Währung gedrängt, damit seine Exporte nicht überborden. Außerdem will China mehr Einfluss im Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem in den kommenden Tagen der Posten des Geschäftsführenden Direktor neu besetzt wird.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler traf bereits am Montag mit mehreren chinesischen Regierungsvertretern zusammen und zog eine positive Bilanz. „Das Wachstum des chinesischen Marktes bietet für deutsche Unternehmen enorme Chancen“, erklärte der FDP-Politiker. China konkurriere zwar auf vielen Märkten mit der deutschen Wirtschaft. „Aber im Wettbewerb stehen unsere Unternehmen hervorragend da.“
Die ersten Regierungskonsultationen gelten auf beiden Seiten als großer Fortschritt in den Beziehungen. Deutschland unterhält nur noch mit sieben anderen Ländern solche Treffen. China habe kaum vergleichbare Konsultationen, heißt es auf deutscher Seite. Auch an diesem Dienstag werden große deutsche Unternehmen davon profitieren.
Menschenrechte im Fokus
Die Freilassungen des chinesischen Künstlers Ai Weiwei und des Dissidenten Hu Jia kurz vor den Konsultationen bezeichnete Regierungssprecher Steffen Seibert als positive Entwicklung. Zwischen beiden Ländern gebe es aber noch einige Unterschiede, was Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit angehe. „Wir sind verlässliche Partner“, sagte Seibert. Deutschland suche aber den kritischen Austausch, allerdings im "Vier-Augen-Gespräch".
Denn was China davon hält, öffentlich auf Menschenrechtsfragen angesprochen zu werden, machte Ministerpräsident Wen Jiabao kurz vor seiner Ankunft in Berlin deutlich. In London sagte er bei einem Auftritt mit Großbritanniens Premierminister David Cameron am Montagnachmittag: „Mit Blick auf die Menschenrechte sollten China und das Vereinigte Königreich sich gegenseitig akzeptieren, die Fakten berücksichtigen, einander als Gleiche behandeln.“ Unstimmigkeiten sollten im Dialog geklärt werden, sagte Wen.
Er sprach sich bei seinem Besuch in Großbritannien aber auch für mehr Freiheit und Demokratie in seinem Land aus. „Ohne Freiheit gibt es keine wirkliche Demokratie und ohne die Garantie auf wirtschaftliche und politische Rechte gibt es keine wirkliche Freiheit“, sagte Wen. In China gebe es nach wie vor zuviel Korruption und Einkommen seien nicht gerecht verteilt. Dies und andere Unzulänglichkeiten würden die Interessen des chinesischen Volkes verletzen. Um diese Probleme zu lösen, müssten Reformen des politischen Systems entschlossen angegangen werden, sagte Wen, dessen Amtszeit 2013 ausläuft. Er ist seit fast zehn Jahren im Amt und gilt unter der regierenden Elite Chinas am ehesten als Politiker mit Reformtendenzen.
Dialog zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit
Zwischen Deutschland und China gibt es einen Menschenrechtsdialog und einen Rechtsstaatsdialog. Das sind Treffen, bei denen deutsche und chinesische Diplomaten über schwierige Themen und über Lösungen etwa für Inhaftierte sprechen.
Den Menschenrechtsdialog hatte China vorrübergehend gestoppt, als Merkel 2007 den Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter, im Kanzleramt empfangen hatte. China, das Tibet seit 1951 besetzt hält, empfand das als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ und sprach erst einmal nicht mehr. Merkel hatte mit dem Empfang des Dalai Lama China klargemacht, dass sie sich ihre Gäste nicht vorschreiben lässt. Und sie hat nicht einmal groß Menschenrechtsverletzungen in China anprangen müssen. Der Dalai Lama im Kanzleramt war Symbol genug.
Das Verhältnis zwischen Merkel und Wen hat sich über die Jahre wieder verbessert. Ihr Besuch im vorigen Jahr in Peking und Xi'an gilt als eine Wegmarke. Wen, immerhin Regierungschef eines Milliarden-Volkes, nahm sich sehr viel Zeit für die Kanzlerin der vergleichsweise kleinen Bundesrepublik.
Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck forderte, die Menschenrechte „als zentralen Bestandteil der deutsch-chinesischen Beziehungen“ in allen hochrangigen Regierungsgesprächen zu thematisieren.
Der deutsche Tibet-Experte Klemens Ludwig hat indes wenig Hoffnung, dass Ministerpräsident Wen während seines Deutschlandbesuchs Bewegung in der Tibet-Frage signalisieren könnte. Die „zarten Anzeichen einer Liberalisierung“ der Politik Pekings gegenüber Tibet Ende letzten Jahres seien wieder zurückgenommen worden, sagte Ludwig der Nachrichtenagentur dapd. China hat die Grenzen Tibets zuletzt bis Ende Juli abermals für Ausländer geschlossen.
Bereits am späten Montagabend wollten sich Merkel und Wen am Wannsee in der Liebermann-Villa treffen, dem einstigen Sommerhaus des 1935 gestorbenen Impressionisten Max Liebermann. Nach einem deutsch-chinesischen Wirtschaftsforum kommen die beiden Kabinette an diesem Dienstag im Kanzleramt zusammen. Merkel wird Wen mit militärischen Ehren begrüßen. Vor seiner Abreise trifft er am Nachmittag noch Bundespräsident Christian Wulff.
Mit Material von dpa/dapd