SPD-Außenexperte Rolf Mützenich sagte, es müsse alles für eine politische Lösung getan werden. Gaddafis Ex-Minister Kussa bleibt in Katar.
Berlin/Dubai/Doha. Einen Tag nach der Libyen-Kontaktgruppe kommen heute die Nato-Außenminister in Berlin zusammen, um über das weitere Vorgehen gegen das Regime von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu beraten. Angesichts andauernder Kämpfe in Libyen wird innerhalb des Militärbündnisses eine härtere Gangart gegen Gaddafi gefordert. Alle vorhandenen militärischen Mittel müssten zur Verfügung gestellt werden, hieß es am Mittwochabend nach einem Treffen zwischen Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister David Cameron. Beide Länder seien sich einig, dass der Druck auf das Regime in Tripolis erhöht werden müsse, hieß es aus dem Élyséepalast. Gaddafi führe weiter einen Krieg gegen das eigene Volk.
SPD-Außenexperte Rolf Mützenich hofft auf eine Beilegung der Kontroverse über Libyen beim Treffen der Nato-Außenminister. Vor Beginn der Frühjahrstagung der 28 Chefdiplomaten ermahnte er die einzelnen Mitgliedsstaaten der Allianz, Eitelkeiten zurückzustellen und eine Einigung zu finden. Wichtig sei eine Beruhigung der Debatte. Eine kritische Auseinandersetzung untereinander sei zwar notwendig, öffentlicher Streit aber kontraproduktiv, sagte Mützenich der Nachrichtenagentur dapd.
In dem Bündnis gibt es einen Dissens über den Umfang des internationalen Militäreinsatzes in dem nordafrikanischen Land. Frankreich und Großbritannien machen die Nato für die festgefahrene Lage im Libyen-Krieg verantwortlich und fordern stärkere Angriffe gegen die Stellungen von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Kritisiert wird auch die Zurückhaltung Deutschlands.
Der SPD-Abgeordnete sagte, es müsse alles für eine politische Lösung getan werden. Auch eine Feuerpause sei dringend notwendig, um die humanitäre Versorgung der Menschen zu gewährleisten. Eine Klarstellung verlangte Mützenich auch darüber, welcher Beitrag von Deutschland erwartet wird.
Seiner Einschätzung nach hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle nach der deutschen Enthaltung bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat über eine Flugverbotszone nur noch wenige Mitbestimmungsmöglichkeiten. Er forderte den FDP-Politiker auf, künftig bei der Suche nach einem gemeinsamen Vorgehen „behutsamer“ aufzutreten und sich nicht vorzudrängeln. Ohnehin wäre es gut, wenn der eine oder andere in der Debatte „die persönliche Betroffenheit“ über Bord werfe, betonte er.
Derweil ist dem ehemaligen libyschen Außenminister Mussa Kussa der Boden in London zu heiß geworden, weil ihn dort Hinterbliebene der Opfer des libyschen Staatsterrors vor Gericht bringen wollen. Der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete am Donnerstag, der Ex-Diplomat und frühere Geheimdienstchef wolle vorerst in Katar bleiben.
Kussa hatte sich Ende März – rund sechs Wochen nach Beginn des Aufstandes in Libyen – nach London abgesetzt und von Gaddafi losgesagt. Er hatte wohl zunächst gehofft, er könne auch im „neuen Libyen“ eine wichtige Rolle spielen. Doch die meisten Oppositionellen misstrauen ihm und auch die westlichen Regierungen sind wegen seiner Geheimdienstvergangenheit eher an Informationen von ihm interessiert als an einer Zusammenarbeit.
Nach seiner Ankunft in London war Mussa zum Lockerbie-Anschlag von 1988 befragt worden, den Gaddafi angeordnet haben soll. Er wurde jedoch nicht inhaftiert. Kussas Vorgänger im Außenministerium, Abdurrahman Schalgam, hat Kussa als „Black Box“ des Regimes bezeichnet. Schalgam riet den Aufständischen dazu, von Kussas Informationen zu profitieren.
Kussa durfte Großbritannien diese Woche verlassen, um am Mittwoch an dem Treffen der Libyen-Kontaktgruppe in dem Golfemirat Katar teilzunehmen. Das war von einigen Menschenrechtsgruppen und von den Hinterbliebenen der Terroropfer kritisiert worden.
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Staatengemeinschaft besteht auf Rücktritt Gaddafis in Libyen
Angesichts der anhaltenden Kämpfe in Libyen drängt die internationale Gemeinschaft auf eine politische Lösung. Die neu gegründete Libyen-Kontaktgruppe forderte Machthaber Muammar al-Gaddafi auf, mit einem sofortigen Waffenstillstand und seinem Rücktritt den Weg für einen Dialog freizumachen. Zugleich will sie prüfen, ob der Nationale Übergangsrat der Aufständischen Geld von beschlagnahmten Konten des Gaddafi-Regimes bekommen kann.
Am ersten Treffen der Kontaktgruppe in Katars Hauptstadt Doha nahmen die Vertreter von mehr als 20 Staaten und internationalen Organisationen teil, darunter auch Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. Auch der international wenig anerkannte Übergangsrat war mit einer Delegation dabei. Heute werden die Libyen-Gespräche bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Berlin fortgesetzt. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, von der Kontaktgruppe gehe eine klare Botschaft an Gaddafi aus: "Das Spiel ist aus. Das gegenwärtige libysche Regime hat keine Zukunft." Auch er plädierte jedoch für einen "politischen Prozess". "Es ist offensichtlich, dass es keine militärische Lösung gibt." Kritik aus Frankreich, das von der Nato eine härtere Gangart gegen Gaddafi verlangt hatte, wies er zurück.
Deutschland, das sich am Militäreinsatz nicht beteiligt, war durch Außenminister Guido Westerwelle vertreten. Der scheidende FDP-Chef wies Kritik zurück, Berlin habe sich durch die Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat ins Abseits begeben. Deutschland sei "alles, aber nicht international isoliert". "Mehr und mehr Länder - auch diejenigen, die für das militärische Engagement eingetreten sind - sehen, dass es keine militärische Lösung geben wird." Die Kontaktgruppe sprach sich dafür aus, die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Rebellen zu prüfen. Darin könnte Geld aus Öl-Einnahmen aus den Rebellengebieten sowie aus dem eingefrorenen Milliardenvermögen des Gaddafi-Regimes fließen. Unterschiedliche Meinungen gab es in Doha darüber, ob Gaddafi vor Beginn eines politischen Dialogs abtreten muss. Die Gruppe bestand aber auf dem Rücktritt Gaddafis.
Unterdessen weist Deutschland fünf libysche Diplomaten aus. Der Schritt gilt als äußerst ungewöhnlich. Als Grund gab das Auswärtige Amt an, dass die Betreffenden Druck auf libysche Staatsangehörige in Deutschland ausgeübt hätten. Die Gesandten müssen das Land nun innerhalb von sieben Tagen verlassen. Westerwelle ließ offen, ob auch der Botschafter, den er einbestellt hatte, ausgewiesen werde. Er warb zudem für eine Prüfung, wie die eingefrorenen Gelder der libyschen Bevölkerung zugutekommen können. (HA/dapd/dpa)