Qualm über dem AKW Fukushima löst neue Sorge vor dem GAU aus. Japan reagiert auf verstrahlte Lebensmittel
Berlin/Tokio. Der graue Rauch kam plötzlich, und er hielt sich über Stunden. Es war kurz vor 16 Uhr Ortszeit, als sich der Zwischenfall im havarierten Atomkraftwerk Fukushima 1 ereignete und zur sofortigen Evakuierung der Arbeiter auf dem Gelände führte. Nachdem der Qualm über dem Abklingbecken an der Südostseite von Block 3 nachgelassen hatte, sah man neue Schwaden über Block 2. Diesmal waren sie weiß. Erst am Abend war der Rauch verschwunden. Doch seine Ursache blieb zunächst unbekannt.
Sicher scheint derzeit nur eines: Der japanische Energiekonzern Tepco bekommt sein Katastrophenkraftwerk nicht in den Griff. Mehr als eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben waren gestern zwar alle sechs Reaktorblöcke wieder an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen, doch die Sicherungsarbeiten waren geprägt von Rückschlägen wie diesem. Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) bezeichnete die Lage in Fukushima als "sehr ernst". Die Krise sei noch nicht beigelegt. Letztendlich aber werde das asiatische Land sie meistern, zeigte sich der aus Japan stammende Behördenchef Yukiya Amano überzeugt.
Das größte Problem besteht weiter in der Kühlung der ausgebrannten Brennstäbe. Am Wochenende und in der Nacht zu Montag hatten Helfer in die Abklingbecken der Blöcke 2 und 3 Wasser gesprüht, um die dort lagernden benutzten Brennstäbe vor ihrer drohenden Überhitzung zu bewahren. In beiden Blöcken sind Reaktorkern und Brennstäbe beschädigt, das Kühlsystem ist ausgefallen. In den Blöcken 1, 4, 5 und 6 stellt sich die Situation unterschiedlich bedrohlich dar. Ob in Block 1 die Kühlwasserpumpen noch funktionieren, ist unbekannt. Auch hier sind Reaktorkern und Brennstäbe beschädigt und das Kühlsystem nicht mehr funktionsfähig. Der Sicherheitsbehälter ist jedoch intakt. Im Kern von Block 4 lagerten zum Zeitpunkt des Erdbebens keine Brennstäbe. Dessen Abklingbecken enthält jedoch nur noch wenig Kühlwasser. Einzig die Blöcke 5 und 6 haben am Sonntag den Status "kalt und unkritisch" erhalten. Sie wurden heruntergefahren. Auch steht ihre Stromversorgung, und die Abklingbecken sind ausreichend gekühlt. Die japanische Regierung mahnt in dieser Lage stoisch zur Ruhe: Die radioaktive Belastung auf dem Gelände habe sich "kaum erhöht", beschwichtigte Regierungssprecher Yukio Edano im staatlichen Fernsehen NHK nach dem Zwischenfall in den kritischen Blöcken. Dennoch musste auch Japans Regierung zugeben, dass ausgerechnet die in Block 3 verwendeten Brennelemente besonders gefährlich sind, weil es sich dabei um sogenannte Plutonium-Uran-Mischoxide (MOX) handelt. Plutonium ist giftig, hochradioaktiv und zerfällt zudem nur sehr langsam.
Wie bekannt wurde, hatte der Betreiber des Atomkraftwerks nur knapp zwei Wochen vor dem verheerenden Erdbeben gegenüber der Aufsichtsbehörde eingeräumt, in Fukushima regelmäßige Kontrollen unterlassen zu haben. Insgesamt 33 Ausrüstungsgegenstände seien nicht untersucht worden. Zu den nicht inspizierten Teilen gehörten ein Motor und ein Notstromaggregat im Reaktorblock 1 der Anlage. Der Ausfall der Notstromversorgung gilt als Ursache für das Reaktor-Unglück. Die Atomaufsicht gab daraufhin Tepco bis zum 2. Juni Zeit, einen Korrekturplan auszuarbeiten.
Unterdessen häufen sich Meldungen über verstrahltes Wasser und andere Lebensmittel. Über ein ganzes Dorf in der Fukushima-Region wurde ein Leitungswasser-Verbot verhängt. Für vier Präfekturen verhängte die Regierung ein Lieferverbot für Milch und mehrere Gemüsesorten. Ein komplettes Dorf in der AKW-Region darf kein Leitungswasser mehr trinken. Messungen im Trinkwasser des Dorfes Iitatemura rund 30 Kilometer vom AKW Fukushima entfernt hatten einen deutlich erhöhten Wert von 965 Becquerel Jod pro Liter Leitungswasser ergeben. Der Grenzwert liegt bei 300 Becquerel. In der kommenden Woche sind für die Bevölkerung Strahlungstests geplant. Spuren von radioaktivem Jod wurden in dem Trinkwasser von neun Provinzen gemessen - auch in Tokio. Cäsium wurde in zwei weiteren Provinzen festgestellt. Die Behörden versicherten, die Werte seien nicht gefährlich. Der Verkauf und Export von Milch, Spinat und dem Blattgemüse Kakina wurde in vier Provinzen jedoch verboten.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betrachtet die Strahlenwerte als ungefährlich. Der betroffene Spinat stelle auf kurze Sicht keine Gefahr für die Gesundheit dar, sagte der Sprecher für die WHO im Asien-Pazifik-Raum, Peter Cordingley. Das Gleiche gelte für die Milch. "Aber höchstwahrscheinlich sind einige kontaminierte Produkte aus der verseuchten Region herausgekommen", sagte Cordingley weiter. China und Südkorea reagierten mit Vorsicht und kündigten an, die Kontrollen japanischer Lebensmittelimporte zu verschärfen.