Der US-Präsident drängt seinen ägyptischen Amtskollegen, den Weg zur Demokratie sofort freizumachen. Al-Baradei fordert Rücktritt bis Freitag.
Hamburg/Kairo. Die Lage in Ägypten bleibt angespannt. Nach einer Rede von Präsident Husni Mubarak am späten Dienstagabend wurden die Rufe nach seinem Rücktritt noch lauter. Seine Ankündigung, nicht erneut kandidieren zu wollen, zeigte keine beruhigende Wirkung. Die Proteste gegen sein Regime gingen weiter. Im Zentrum von Alexandria kam es zu kurzen Zusammenstößen. Viele Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo kündigten die Fortsetzung der Proteste bis zur Amtsaufgabe Mubaraks an.
In einer ersten Reaktion zeigte sich die Jugendbewegung 6. April enttäuscht vom Angebot des 82-Jährigen, im September nicht erneut zu kandidieren. „Wir lehnen das ab, weil es unsere Forderungen nicht erfüllt“, sagte ein Sprecher der Bewegung in Kairo. „Wir setzen die Proteste fort, bis unsere Forderungen erfüllt sind, besonders die Forderung nach dem Rücktritt Mubaraks und seines Regimes.“
Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei zeigte sich enttäuscht. „Wie immer hört er nicht auf sein Volk.“ In Kairo hatten tagsüber bis zu zwei Millionen Menschen demonstriert. In einer mit Spannung erwarteten Rede an die Nation verkündete Mubarak am Dienstagabend lediglich, dass er die noch verbliebenen Monate im Amt für eine „friedliche Machtübergabe“ nutzen wolle. Kurz zuvor hatten die USA erstmals Kontakt mit El Baradei aufgenommen, dem Hoffnungsträger der Opposition.
US-Präsident Barack Obama drängte Mubarak in einem persönlichen Gespräch, sofort den Weg zur Demokratie freizumachen. „Ein geordneter Übergang muss bedeutungsvoll sein, muss friedlich sein und muss jetzt beginnen“, sagte Obama am Dienstag in Washington. Er habe dies in einem Telefonat mit Mubarak nach dessen Rede verdeutlicht. „Er erkannte an, dass der gegenwärtige Zustand nicht aufrechterhalten werden kann.“
Der US-Präsident sagte nicht direkt, ob Mubarak sich sofort zurückziehen müsse, aber laut einem Bericht der „Washington Post“ würde es die amerikanischen Regierung vorziehen, wenn der Ägypter die Macht schon vor den angekündigten Wahlen an eine Interimsregierung abgeben würde.
Obama lobte das ägyptische Militär ausdrücklich dafür, sich während der Massenproteste professionell und patriotisch verhalten zu haben. Er forderte es nachdrücklich auf, sich auch weiterhin für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen einzusetzen. Bei der Vorbereitung freier und fairer Wahlen müsse gewährleistet sein, dass verschiedene Stimmen und Oppositionsgruppen zu Wort kämen, sagte Obama weiter.
Bereits vor der Äußerung des US-Präsidenten hatten Medien berichtet, dass Obama Mubarak aufgefordert habe, auf eine weitere Amtszeit zu verzichten. Der US-Sondergesandte Frank Wisner habe diese Botschaft persönlich in Kairo an Mubarak überbracht. Dies wäre seit Beginn der Revolte in Ägypten die erste konkrete Rückzugsforderung an Mubarak aus dem Weißen Haus. Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, warnte davor, das Angebot Mubaraks gleich vom Tisch zu fegen. „Ich glaube, dass da etwas angeboten wurde, über das man genau nachdenken sollte“, sagte er im US-Sender CNN. Mussa kündigte an, er werde möglicherweise selbst für das Präsidentenamt kandidieren.
Mubarak sagte in seiner Ansprache: „Ich werde nicht für eine neue Amtszeit kandidieren“. Bis zum Ende seiner Amtszeit im September wolle er den Weg für die geforderten freien Wahlen mit Änderungen der Verfassung bereiten. „Die Ereignisse der vergangen Tage verlangen von uns, dass wir zwischen Chaos und Stabilität wählen“, sagte Mubarak. Er schloss praktisch aus, ins Exil zu gehen. „Dies Land ist auch meine Heimat, und in diesem werde ich sterben“, sagte Mubarak.
Kurz vor der Mubarak-Rede hatte sein Stellvertreter Omar Suleiman erstmals Kontakt mit der Opposition aufgenommen. Nach Informationen des Senders Al-Arabija rief das Büro Suleimans Vertreter der Protestgruppen auf dem Tahrir-Platz an.
In Kairo verständigten sich Vertreter aller größeren Oppositionsparteien und -bewegungen auf eine gemeinsame Linie. Sie fordern den Rücktritt Mubaraks und eine „Regierung der nationalen Allianz“. Zu den Forderungen, die nach einem Treffen am Dienstag in Kairo erhoben wurden, gehört auch die Auflösung der beiden Parlamentskammern sowie der Regionalparlamente. Eine Arbeitsgruppe soll eine neue Verfassung ausarbeiten.
Die ägyptische Opposition lehnt Gespräche mit den Machthabern vor einem Rücktritt Mubaraks ab. „Wir erwarten, dass die Führung uns einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen“, hieß es. Für Ägypten gehen die Vereinten Nationen von deutlich mehr Todesopfern bei den Unruhen aus als bisher bekannt. „Unbestätigte Berichte sprechen von bisher 300 Toten und mehr als 3000 Verletzten“, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Bei der Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo zeigten die Streitkräfte Präsenz, ohne die Proteste zu behindern. Das Militär zog Unruhestifter und mutmaßliche Kriminelle aus dem Verkehr, hielt sich ansonsten aber im Hintergrund.
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Alle Straßensperren, Verkehrsblockaden und Internetunterbrechungen seitens des Regimes nützten nichts: Mit einer gigantischen Protestdemonstration hat die Opposition in Ägypten gestern den Druck auf Staatspräsident Husni Mubarak noch einmal erhöht. Nach Schätzungen sollen allein in Kairo bis zu zwei Millionen Menschen auf den Straßen gewesen sein. Auch in Alexandria und Ismailija protestierten Zehntausende. Auf Transparenten war zu lesen: "Mubarak - hau ab!" Die Menge skandierte: "Wir wollen Freiheit, wir wollen Demokratie." Die Stimmung in der Hauptstadt Kairo war aufgeheizt, wie Reporter berichteten. Das Militär war mit Panzern an wichtigen Knotenpunkten aufgefahren, zog zwar Unruhestifter und mutmaßliche Kriminelle aus dem Verkehr, griff ansonsten aber nicht ein. Die Bahnlinien waren komplett gesperrt, um die Anreise weiterer Demonstranten zu verhindern, auch wichtige Zufahrtsstraßen nach Kairo und eine Autobahn in die Hauptstadt waren gesperrt. Der öffentliche Nahverkehr wurde eingestellt. Hinzu kommt eine Benzinknappheit; an den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen.
Soldaten verteilten Flugblätter in der Menge am Tahrir-Platz; auf denen stand: "Ihr habt das Recht, eure Meinung in zivilisierter Art und Weise auszudrücken." Nach Meldung des Staatsfernsehens versuchten Provokateure, in der Menge Panik zu schüren. Rund 2000 Mubarak-Anhänger riefen "Ja zu Mubarak; nein zu Demonstrationen und Sabotage". Die Opposition einigte sich auf einen Forderungskatalog, der neben Mubaraks Rücktritt die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit enthält. Vertreter aller größeren Oppositionsgruppen erklärten sich zu einem Treffen mit dem neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman bereit - sofern Mubarak zurücktrete. Zudem forderten sie die Auflösung der beiden Parlamentskammern, der Regionalparlamente und eine neue Verfassung.
Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei forderte Mubarak ultimativ auf, bis Freitag zurückzutreten. "Wenn er seine Haut retten will, sollte er sich lieber zurückziehen", sagte der Oppositionspolitiker.
Doch der 82-jährige Mubarak lehnt einen sofortigen Rücktritt weiterhin ab. Er wolle bis zu den Parlamentswahlen im September Präsident bleiben, sagte er gestern Abend in einer mit Spannung erwarteten Fernsehansprache an die Nation. Dabei bereitete er allerdings auch seinen Rückzug vor. "Ich werde nicht für eine neue Amtszeit kandidieren", sagte er. Mubarak versprach, dass er bis dahin den Weg für die "friedliche Machtübergabe" mit den geforderten freien Wahlen und mit Änderungen der Verfassung bereiten wolle. Seinen Stellvertreter Omar Suleiman habe er angewiesen, den Dialog mit allen politischen Kräften zu suchen. Zuvor hatte Mubarak unter dem Druck der Massen bereits sein Kabinett umgebildet und politische Reformen versprochen.
"Die Ereignisse der vergangenen Tage verlangen von uns, dass wir zwischen Chaos und Stabilität wählen", sagte Mubarak. Er schloss praktisch aus, ins Exil zu gehen. "Dieses Land ist auch meine Heimat, und in diesem werde ich sterben", sagte er. "Der Husni Mubarak, der heute zu Ihnen spricht, ist stolz auf seine Leistungen im langjährigen Dienste Ägyptens und seiner Bevölkerung." Mubarak beendete seine Rede mit dem Satz: "Möge Gott dieses Land und sein Volk schützen."
In einer ersten Reaktion zeigten sich die meisten Demonstranten enttäuscht. "Wie immer hört er nicht auf sein Volk", sagte al-Baradei, zu dem gestern erstmals auch die USA Kontakt aufnahmen. "Wir setzen die Proteste fort, bis unsere Forderungen nach dem Rücktritt Mubaraks und seines Regimes erfüllt sind", sagte ein Sprecher der Jugendbewegung 6. April in Kairo. In Ankara sagte der im arabischen Raum sehr angesehene türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor dem Parlament, Mubarak solle der Forderung des Volkes nach demokratischem Wandel umgehend nachkommen. "Wir sind alle sterblich, keiner von uns wird ewig leben", sagte Erdogan. "Das Einzige, was zählt, ist, eine positive Erinnerung zu hinterlassen."
Das Auswärtige Amt in Berlin rät angesichts der Entwicklung am Nil und der "Unübersichtlichkeit der Gesamtsituation" inzwischen von Reisen nach Ägypten "dringend" ab. Der neue Sicherheitshinweis schließe "ausdrücklich die Touristengebiete am Roten Meer ein". Auch gestern organisierte die deutsche Botschaft in Kairo die Heimreise von Bundesbürgern. Die Vereinten Nationen gehen trotz des relativ gewaltarmen Verlaufs der Massenproteste von bislang rund 300 Todesopfern und 3000 Verletzten aus.
Experten räumen Mubarak kaum noch Chancen ein, seine Macht noch lange zu erhalten. Es gehe jetzt darum, dem Staatschef einen Abgang zu ermöglichen, bei dem dieser sein Gesicht wahren könne, sagte Steven Cook von der einflussreichen amerikanischen Denkfabrik "Council on Foreign Relations". In Kairo kursierten den Tag über Gerüchte, der Staatschef sei bereits in Scharm al-Scheich am Roten Meer, von wo er leicht per Boot in sein mögliches Asyl in Saudi-Arabien fliehen könnte. Ägypten ist in der Region immer noch von größter strategischer Bedeutung. Der frühere US-Botschafter in Israel, Martin Indyk, nannte das Land das "Epizentrum" - sowohl für die politischen Strömungen in der arabischen Welt als auch bezüglich der Fähigkeiten des Westens, mit diesen Strömungen umzugehen.