Pekings militärischer und wirtschaftlicher Machtanspruch beunruhigt zunehmend den Westen - vor allem aber seine Nachbarn in der Region.
Hamburg. Wenn ein Staat sich gezwungen sieht, offiziell zu betonen, er stelle keine Bedrohung für seine Nachbarn dar, ist Vorsicht geboten. So hatte Chinas Verteidigungsminister Liang Guanlie vor einiger Zeit auf einer Sicherheitskonferenz in Vietnam genau dies behauptet und hinzugefügt, Pekings Politik sei von Natur aus defensiv. "Chinas Entwicklung auf dem Verteidigungssektor zielt nicht darauf ab, irgendwen zu bedrohen oder herauszufordern". Es ginge seiner Regierung ausschließlich um regionale Stabilität.
Chinas Nachbarstaaten fühlen sich dennoch zunehmend herausgefordert durch dessen explosive Aufrüstung - namentlich vor dem Hintergrund eines fast totalen Anspruchs auf das strategisch enorm bedeutende Südchinesische Meer. Etliche Inseln und Inselgruppen sind unter den Anrainern umstritten - wie die Spratly- und die Paracel-Inseln. China tritt zunehmend aggressiv in dieser Meeresregion mit ihren reichen Bodenschätzen auf, hat sich mit dem Marinestützpunkt Sanya auf der Insel Hainan eine Ausgangsbasis für Militäroperationen geschaffen und für die Zukunft eine massive Präsenz mit Flugzeugträgern und Atom-U-Booten angekündigt. Die militärische Herausforderung gilt allerdings in erster Linie der Supermacht USA.
Noch können die Chinesen ungeachtet ihrer 2,3 Millionen Soldaten starken Streitkräfte - den zahlenmäßig größten der Welt - nicht mit den USA mithalten, denen allein elf atomar bewaffnete Trägerkampfgruppen zur Verfügung stehen, während die chinesische Marine gerade erst einen alten sowjetischen Träger umrüstet. Aber Peking, dessen Verteidigungsetat in den vergangenen Jahren stetig zweistellig gewachsen war und inzwischen auf 150 Milliarden Dollar geschätzt wird, holt auf. Die Vorstellung des neuen Tarnkappenjägers J-20, dessen Heckleitwerk verblüffend dem US-Gegenstück F-22 "Raptor" gleicht, ist nur einer von vielen Aufrüstungsschritten. Auch eine neuartige Seezielrakete ist in der letzten Testphase, die von US-Experten als "Träger-Killer" etikettiert wird. "Bedrohung ist eine Kombination aus Fähigkeiten und Absichten", sagte Abraham Denmark, ein früherer China-Spezialist im Pentagon unter US-Verteidigungsminister Robert Gates, der "New York Times". "Die Fähigkeiten schälen sich mehr und mehr heraus, und sie sind mehr und mehr gegen amerikanische Fähigkeiten gerichtet." Aber völlig unklar seien die Absichten - die Frage, wozu dieses Militär eingesetzt werden soll.
China ist aber nicht nur militärisch auf dem Vormarsch; gerade hat Shanghai Singapur als größten Hafen der Welt abgelöst. 29 Millionen Container wurden 2010 in Shanghai umgeschlagen, eine halbe Million mehr als in Singapur, meldete die "Financial Times Deutschland". In Rotterdam, Europas größtem Hafen, waren es gut elf Millionen, Hamburg kam auf sieben Millionen. Im Oktober hatte China mit dem Rechner Tianhe-1A, der mit einer neuartigen Netzwerktechnologie arbeiten soll, einem Großcomputer im US-Bundesstaat Tennessee den Titel des schnellsten Supercomputers der Welt entrissen. Tianhe-1A arbeitet im Dienst der Verteidigungstechnologie.
Und vor wenigen Tagen erst meldete Chinas Staatsfernsehen einen aufsehenerregenden Durchbruch in der Atomtechnologie. Danach ist es chinesischen Forschern in der "Fabrik Nummer 404" in der Wüste Gobi gelungen, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem abgebrannte Uran-Brennstäbe größtenteils wiederverwertet werden könnten. Die Uran-Nutzung werde damit "60-mal effizienter" - und Chinas Vorräte könnten damit statt für 50 Jahre nun 3000 Jahre lang reichen.
China ist ein Zwitterwesen - auf einer raubkapitalistischen Wirtschaftsrealität sitzt ein stalinistischer Überbau. Die rasant wachsenden sozialen Unterschiede stellen eine Zeitbombe dar - den inklusive Hongkong bereits mehr als 100-Dollar-Milliardären stehen bis zu 250 Millionen bitterarme Wanderarbeiter gegenüber.
China ist zum Wachstum verdammt, und Bodenschätze sind für das Land mit dem ungeheuren Energiehunger von strategischer Bedeutung. Im rohstoffreichen Afrika tritt China bereits wie eine Kolonialmacht auf und sichert sich gegen Milliardenkredite Schürf- und Abbaurechte. Dabei verfügt China, mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichster Staat der Erde und hinter Russland, Kanada und den USA an vierter Stelle bezüglich der Fläche, selber über rund zwölf Prozent aller weltweiten Bodenschätze. Kaum ein anderes Land hat mehr. Eine absolut dominierende Stellung hat China bei den Metallen der Seltenen Erden, die für die Herstellung von Computern, Monitoren oder DVD-Spielern unabdingbar sind. Die größten Vorkommen dieser 17 Metalle befinden sich im Reich der Mitte; 2010 betrug Chinas Produktion 97 Prozent des Weltmarktes. Und die Regierung in Peking hat gerade bekannt gegeben, dass sie den Export massiv drosseln werde. Denn China fertigt drei Viertel aller DVD-Spieler und Fernsehgeräte sowie zwei Drittel aller Kopierer weltweit. Mit der künstlichen Verknappung will China die letzten Konkurrenten im Ausland schwächen. Auch auf diesem Gebiet ist ein Konflikt mit den USA programmiert.