Konkurrenz für A320-Maschinen aus Hamburg. Erstflug im Jahr 2014 geplant. Experten sehen gute Chancen für den neuen Wettbewerber.
Hamburg. Zumindest von vorne sieht er schon aus wie ein ausgewachsener Passagierjet: Auf einer Luftfahrtmesse in Zhuhai präsentierte Chinas Flugzeugbauer Comac ein Kabinenmodell der neuen C919, die in den nächsten Jahren Airbus und Boeing herausfordern soll. Dabei konnten die Chinesen demonstrieren, dass auch sie etwas von Marketing verstehen: Die Bugpartie und die Cockpitfenster der neuen Maschine erinnern stark an die ultramodernen Langstreckenflieger A350 und 787 "Dreamliner" der westlichen Konkurrenten.
Zwar ist die C919 wesentlich kleiner und fliegt nicht so weit. Doch mit seiner Auslegung für rund 160 Fluggäste zielt der fernöstliche Neuling auf das nach Stückzahlen stärkste Marktsegment der etablierten Anbieter und greift damit die Verkaufsschlager von Airbus und Boeing, die A320-Familie und die 737-Typenreihe, frontal an.
Vor allem aber bewies der Herausforderer gestern, dass die Marketinganstrengungen erste Erfolge zeigen: Laut Comac liegen nun Aufträge über 100 Maschinen vor. Außer mehreren einheimischen Kunden orderte auch die Flugzeugleasing-Sparte des amerikanischen Technologiekonzerns General Electric den neuen Jet, der im Jahr 2014 erstmals abheben und 2016 in den Liniendienst gehen soll.
+++ Dreikampf bei kleinen Linienjets +++
Aus gutem Grund verfolgt man in Hamburg die Fortschritte der Asiaten mit großem Interesse - in der Hansestadt wird rund jeder zweite Jet der A320-Familie endmontiert. "Es wird bunter am Himmel", sagt Uwe Gröning, Vorsitzender des Zuliefererverbands Hanse-Aerospace. "Der Markt wird schwieriger für Airbus und Boeing." Im Vergleich zu früheren Ansätzen, Flieger für deutlich mehr als 100 Passagiere zu entwickeln, gingen die Chinesen diesmal wesentlich professioneller zu Werke, erklärt der Experte. So beziehe man viele wichtige Komponenten von Zulieferern aus Europa und den USA. Zwei Beispiele: Das Triebwerk kommt von dem amerikanisch-französischen Anbieter CFM, der seit vielen Jahren die führenden Jet-Hersteller beliefert, die Verantwortung für die komplette Passagierkabine liegt bei dem österreichischen Spezialisten FACC, der allerdings im vorigen Jahr von einem Konzern aus China übernommen wurde. Gebaut "mit westlichem Know-how und chinesischem Fleiß" habe die C919 gute Voraussetzungen, erfolgreich zu sein, sagt Gröning.
"Dieses Flugzeug wird auf jeden Fall ein Produkt sein, das ankommt", meint auch Michael Hessenbruch, Branchenexperte bei der Unternehmensberatung Deloitte. Nach seiner Einschätzung ist das allerdings eine Frage der Zeit, denn zunächst würden sich die meisten westlichen Fluggesellschaften noch zurückhaltend zeigen und abwarten wollen, wie sich die Maschine bewährt. "Doch Comac hat den Vorteil eines sehr großen Heimatmarktes und kann daher schnell Erfahrungen sammeln", so Hessenbruch.
Bevor die Chinesen aber bei internationalen Kunden im größeren Stil landen können, müssen sie noch einige Herausforderungen bewältigen. Dazu gehört der Aufbau eines weltweiten Wartungsnetzes. "Wichtig ist zudem die Pflege der Kundenkontakte", sagt Hessenbruch - und hier gibt es noch reichlich Skepsis, wie gut ein chinesischer Staatsbetrieb dies beherrscht. Klar ist aber: Schon der Inlandsmarkt bietet enormes Potenzial. Laut einer Comac-Prognose werden chinesische Fluggesellschaften bis zum Jahr 2029 mindestens 3750 Passagierflugzeuge für insgesamt 450 Milliarden Dollar kaufen, was immerhin 13 Prozent des weltweiten Umsatzes entspräche.
Angesichts solcher Aussichten hatte sich Airbus entschieden, im "Reich der Mitte" ein Endmontagewerk für Jets der A320-Familie aufzubauen. Seit gut zwei Jahren ist das Werk, das nach dem Vorbild der Montagelinie in Hamburg errichtet wurde, in Betrieb. Entgegen anfänglicher Befürchtungen sehen Branchenexperten zwar keine Anzeichen dafür, dass die Chinesen Airbus-Technologien für ihren eigenen Flieger kopiert haben. "Aber durch das Werk in Tianjin wurden sie mit Fertigungsverfahren vertraut gemacht, die sie sonst selber hätten entwickeln müssen", sagt Hessenbruch. Auch Gröning meint, dass die Ausbildung des Personals durch Airbus nun zweifellos auch Comac zugutekomme.
Bei Airbus ist man sich der Herausforderung durch neue Wettbewerber nicht nur aus China durchaus bewusst. Der Flugzeugmarkt sei ohnehin schon kein Duopol mehr, sagte Airbus-Chef Thomas Enders kürzlich. Er wolle das eigene Geschäft jedoch "mit allen Kräften verteidigen". Für die Zulieferer dagegen ist das Aufkommen neuer Flugzeugbauer eine gute Nachricht, wie Gröning weiß: "Es gibt Unternehmen, die haben nicht mehr wie bisher zwei oder drei, sondern plötzlich fünf Abnehmer." Wie schnell sie aber tatsächlich vom C919 profitieren können, sei noch unklar: "Bisher ist noch jeder Erstflug verschoben worden."