Bei einem Hungerstreik rettete eine Notoperation sein Leben. Fariñas ist einer der größten Regimekritiker in Kuba. Darf er zur Preisverleihung?
Brüssel/Havanna. Erst am Montag verließ Guillermo Fariñas das Krankenhaus in Santa Clara, wo er sich von seinem letzten Hungerstreik erholte. Der kubanische Dissident freute sich auf einen ruhigen Alltag als Journalist und Buchautor. Nun hat ihn die öffentliche Aufmerksamkeit wieder eingeholt: Das Europäische Parlament hat den 48-jährigen Psychologen mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.
Fariñas sei bereit gewesen, seine Gesundheit und sein Leben für einen politischen Wandel zu opfern und aufs Spiel zu setzen, hieß es zur Begründung. Der unabhängige Journalist sei ein wichtiges Symbol für alle Häftlinge in Kuba, sagte EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek.
Seine Hungerstreiks machten Fariñas über Kuba hinaus bekannt und ruinierten zugleich seine Gesundheit. 23,mal hat er seit 1995 die Nahrungsaufnahme verweigert, um gegen Repression und Einschränkung der Meinungsfreiheit im kommunistisch regierten Kuba zu protestieren. Insgesamt war er mehr als elf Jahre lang inhaftiert. Sein erfolgreichster und zugleich längster Hungerstreik währte 135 Tage, für die Freilassung von 26 erkrankten politischen Häftlingen. Als Fariñas ihn am 9. Juli dieses Jahres beendete, hatte er Präsident Raúl Castro zum Einlenken gezwungen.
Unter Vermittlung Spaniens und der katholischen Kirche ließ Castro bisher 39 politische Häftlinge frei, die nach Spanien ins Exil geflogen wurden. 13 weitere müssten demnächst freikommen – sie weigern sich allerdings, ins Exil zu gehen. Fariñas bezahlte dafür fast mit seinem Leben. Anfang September musste er sich einer gefährlichen Notoperation unterziehen, eine Folge des letzten Hungerstreiks.
Der gläubige Katholik sieht sich gerne als Speerspitze der kubanischen Opposition. Mehr als einmal betonte er seine Bereitschaft, als „Märtyrer“ für Kubas Freiheit zu sterben. Unterstützung erhält Fariñas von anderen Oppositionellen seines Landes. Und auch viele der kürzlich freigelassenen Häftlinge bedankten sich bei ihm. Doch seine radikale Haltung stößt auch auf Widerstand. Die Kirchenführung in Kuba erklärte noch im Juni, als Fariñas' Leben auf der Kippe stand, Suizid durch Hungerstreik sei kein legitimes Mittel des Widerstands. 30 Oppositionelle besuchten ihn damals, um ihm zum Abbruch des Hungerstreiks zu bewegen. Zuletzt schalteten sich sogar die Vereinten Nationen ein.
Fariñas sieht seine Hungerstreiks als einzige konsequente Antwort auf die Propaganda der Regierung . Diese wirft Oppositionellen regelmäßig vor, bezahlte Söldner der USA zu sein. Indem er seine Bereitschaft zeige, sein „Leben für Ideale zu geben“, beweise er, kein Söldner zu sein, schrieb Fariñas einmal.
Wie viele andere Oppositionelle unterstützte auch Fariñas einst die kubanische Revolution. Für seine Dienste als Soldat im Angolakrieg wurde er ausgezeichnet. Der Bruch mit dem Regime erfolgte 1995, als Fariñas, damals Beamter, einen Korruptionsfall denunzierte. Die Behörden gingen nicht der Anzeige nach, sondern begannen, Fariñas zu verfolgen.
Der Sacharow-Preis für Fariñas ist die dritte Auszeichnung des EU-Parlaments für die kubanische Opposition. 2002 erhielt sie der Christdemokrat Oswaldo Payá, der 2003 mit einer Unterschriftensammlung eine Demokratisierung Kubas erzwingen wollte. Doch dann verurteilte die Justiz 75 Oppositionelle im „Schwarzen Frühling“ zu langen Haftstrafen. Genau diese politischen Gefangenen kamen oder kommen demnächst frei.
Als Antwort auf die Verhaftungswelle entstanden die „Damen in Weiß“. Die Angehörigen der politischen Häftlinge erhielten den Menschenrechtspreis des EU-Parlaments 2005 für ihre Unerschütterlichkeit. Seit 2003 versammeln sie sich mit wenigen Unterbrechungen jeden Sonntag weiß gekleidet zu einem Schweigemarsch in Havanna.
Der Preis für Fariñas ist eine politische Botschaft zugunsten des radikalen Flügels der kubanischen Opposition. Denn Fariñas gehört zu denjenigen, die vor einer nachgiebigen Haltung der EU gegenüber Havanna warnen. Insbesondere gegenüber Spanien hat er eine zwiespältige Haltung. Zwar begrüßte er die Vermittlung durch Madrid bei der Freilassung der politischen Häftlinge. Zugleich warf er Spanien vor, es hole für die Gebrüder Castro die „Kastanien aus dem Feuer“.
Keiner der von Europa ausgezeichneten Kubaner konnte bisher den mit 50.000 Euro dotierten Preis persönlich entgegennehmen. Gut möglich, dass Kubas Regierung auch Fariñas verbietet, am 15. Dezember in Straßburg zu sein. Für diesen Fall kündigte der Psychologe bereits Widerstand an – nämlich einen weiteren Hungerstreik. Es wäre Nummer 24.