Rechtspopulist lehnt das Sparprogramm der Minderheitsregierung ab. Neuwahlen drohen. Diskutiert wird auch über Mehrwertsteuererhöhung.
Den Haag. Die niederländische Minderheitsregierung steht vor dem Aus. Bereits heute Abend könnte Ministerpräsident Mark Rutte (Liberale) zurücktreten und den Weg zu Neuwahlen frei machen. Seine Koalition mit den Christdemokraten ist im Parlament auf die Stimmen der rechtspopulistischen Freiheitspartei PVV angewiesen. Doch deren Führer Geert Wilders lehnt die vom Kabinett geplanten Kürzungen im Staatshaushalt zur Einhaltung des EU-Stabilitätspaktes strikt ab. Am Wochenende brach die PVV die wochenlangen Verhandlungen über die Haushaltskürzungen ab.
Rutte werde seine Minister heute zu einer Krisensitzung zusammenrufen, berichten holländische Medien. In Regierungskreisen wird erwartet, dass der Chef der erst vor eineinhalb Jahren gebildeten Mitte-rechts-Minderheitsregierung Königin Beatrix den Rücktritt des Kabinetts anbietet. Die Monarchin könnte das entweder akzeptieren oder Rutte beauftragen, sich erneut um die Zustimmung der Opposition zu bemühen. Allerdings ist die Bildung einer Regierung in den Niederlanden traditionell schwierig, weil keine der größeren Parteien eine deutliche Stimmenmehrheit auf sich vereint.
Bei den Haushaltsgesprächen war über die Wege zur Senkung des Etatdefizits verhandelt worden. Rutte will die Ausgaben um bis zu 16 Milliarden Euro kürzen. "Im letzten Moment zeigte sich die PVV schockiert über die Konsequenzen von bereits zuvor getroffenen Vereinbarungen", sagte Rutte nach Abbruch der Gespräche. Der Euro-Skeptiker Wilders habe sich nicht dem "Diktat aus Brüssel" beugen wollen. "Wahlen sind jetzt der logische nächste Schritt", sagte Rutte. Auch Wilders forderte Neuwahlen. "Der Bruch ist endgültig", erklärte er laut der Internetseite seiner Partei. Er könne nicht hinnehmen, dass die niederländischen Rentner für "nutzlose Forderungen" aus Brüssel bezahlen sollen.
Bei den Budgetverhandlungen war es unter anderem um die Streichung von Steuererleichterungen für Hauskredite, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Kürzungen von Sozialleistungen sowie um ein Einfrieren der Löhne gegangen. Der Haushaltsplan für die Jahre 2013 bis 2015 sollte bis Ende April in Brüssel vorgelegt werden. Die Niederlande drohen die Defizit-Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes 2013 zu verfehlen.
+++ Streit um Sparpaket: Niederländische Regierung in der Krise +++
In einer nach dem Scheitern der Verhandlungen gemachten Umfrage legte Ruttes Liberale Partei zu. Sie käme demnach nun auf 33 der 150 Parlamentssitze, zwei mehr als zuvor. Ruttes Koalitionspartner, die Christdemokraten, und auch Wilders' Freiheitspartei büßten in der Gunst der Wähler ein. Die oppositionellen Sozialisten, die Euro-Rettungshilfen ablehnen, legten in der Erhebung dagegen zu. Eine große Mehrheit der Niederländer hält laut der Umfrage die Sparforderungen der EU für übertrieben. Besonders die geplante Einführung einer Rezeptgebühr und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer stoßen auf Ablehnung.
Die Einschnitte sollen auch sicherstellen, dass die Niederlande ihre Top-Bewertung AAA bei den Rating-Agenturen behält. Ein schlechteres Rating würde die Kreditaufnahme für das Land verteuern. Die Agentur Fitch hatte die Niederlande in dieser Woche wegen der anziehenden Staatsverschuldung vor einem Verlust der Spitzenbonität gewarnt.
Die Regierungskrise werde an den Finanzmärkten zu Unruhe führen, erklärten Volkswirte. Es sei nun nicht klar, ob die dringend erforderlichen Einsparungen in den Niederlanden umgesetzt werden könnten, hieß es. "Diese Situation ist sehr schlecht", sagte Professor Jaap Koelewijn, Volkswirt an der Universität Nyenrode. "Das ist das Worst-Case-Szenario."
Für Deutschland brächten Neuwahlen in den Niederlanden eine weitere Unsicherheit auf europäischer Ebene. Bisher galt die Regierung in Den Haag als enger Verbündeter bei der Durchsetzung einer strafferen Haushaltsdisziplin. Rutte plante, eine Ratifizierung des Fiskalpakts bis Ende 2012 durchzusetzen und den dauerhaften Rettungsschirm spätestens im Juni zu beschließen. Sollten europakritische Kräfte in Den Haag an Einfluss gewinnen, könnte die Verabschiedung beider Projekte schwieriger werden. Falls aber eine integrationsfreundlichere Koalition die Minderheitsregierung ablöst, könnte die Kooperation mit den Niederlanden einfacher werden.