Der britische Premierminister David Cameron etwa will den deutsch-französischen Plan einer EU-weiten Steuer auf Finanztransaktionen weiter blockieren. “Wenn man die jetzt in Betracht zieht, dann ist das einfach Wahnsinn. Das sollte man nicht weiter verfolgen“, sagte Cameron gestern in Davos.
Davos/Berlin. Umweltzerstörend, ausbeuterisch, auf Kosten der Südhalbkugel und künftiger Generationen: Der Kapitalismus der 80er- und 90er-Jahre konnte sich solche Eigenschaften noch ungestraft erlauben. Doch die Kritik wird lauter. Selbst die versammelte Wirtschaftselite in Davos diskutiert jetzt offen die Frage: Funktioniert der Kapitalismus des 20. Jahrhunderts weiterhin? Wie lässt sich die Krise überstehen und wie kann der Euro gerettet werden? Die 42. Ausgabe des prestigeträchtigen Treffens steht unter dem Motto: "Die große Transformation - neue Modelle gestalten."
Doch darüber, wie die großen Vorhaben im Detail aussehen sollen, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Der britische Premierminister David Cameron etwa will den deutsch-französischen Plan einer EU-weiten Steuer auf Finanztransaktionen weiter blockieren . "Wenn man die jetzt in Betracht zieht, dann ist das einfach Wahnsinn. Das sollte man nicht weiter verfolgen", sagte Cameron gestern in Davos.
Er verwies auf die britische Lösung einer Bankgebühr und einer Stempelsteuer auf Aktiengeschäfte: "Das sind Maßnahmen, die andere Länder auch einführen sollten." Eine Finanztransaktionssteuer könne die EU bis zu 200 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung und bis zu 500 000 Arbeitsplätze kosten, sagte er und verwies auf Berechnungen der EU-Kommission.
Cameron griff auch das von Deutschland geführte Euro-Krisenmanagement an. Man dürfe sich in der Euro-Krise "nicht von Versagensangst leiten lassen", Europa müsse Führungsqualitäten zeigen. "Da und dort rumzubasteln reicht nicht mehr. Wir müssen kühn und mutig sein und nicht ängstlich und zögerlich." Doch noch immer sei es dringend nötig, kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen: "Die Ungewissheit in Griechenland muss endlich aufhören. Und, wie der IWF sagte: Die Brandmauer muss hoch genug sein, um Angriffe auch abzuwehren."
+++ David Cameron legt Bekenntnis zur EU ab +++
Als Europas "wirtschaftliche Achillesferse" nannte Cameron mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Großbritannien dagegen habe einen "aggressiven Plan" entwickelt, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Sein Land mache eine radikalliberale Geldpolitik: "Wir fluten das Bankensystem mit Geld." "Genauso kühne und mutige Maßnahmen brauchen wir auf europäischer Ebene."
Die Förderung von Wachstum und Beschäftigung soll auch im Mittelpunkt des EU-Gipfels am Montag in Brüssel stehen, das auf lediglich vier Stunden angesetzt ist. Dort sollen nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur Sparbeschlüsse gefällt werden. Solide Haushalte und Wachstum in der EU seien keine Gegensätze, sagte die CDU-Vorsitzende gestern in Berlin. Niemand in Europa setze einseitig aufs Sparen, versicherte sie nach einem Treffen mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Deshalb ist es aus Sicht der Kanzlerin richtig, beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel einerseits den geplanten Fiskalpakt zum Schuldenabbau zu schmieden, zugleich aber auch Wege für mehr Wachstum zu finden. Hintergrund sind Befürchtungen vieler Experten, wonach die Euro-Zone außer Deutschland 2012 in eine Rezession abrutscht.
Auf dem EU-Gipfel steht auch Arbeitslosigkeit auf der Agenda
Die zäh verlaufende Umschuldung Griechenlands steht laut Merkel am Montag nicht auf der Tagesordnung. Hauptgrund sei, dass der neue Bericht der "Troika" aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EZB nicht rechtzeitig fertig werde.
Die Beratungen mit den privaten Gläubigern über den Schuldenschnitt dauerten an. Ob sich die Europäische Zentralbank beteiligt, wurde in Berliner Regierungskreisen offengelassen. Nach dem Troika-Bericht müsse aber "sehr schnell" entschieden werden. Das griechische Programm sei derzeit "nicht ganz in der Spur". Zur Umwidmung von EU-Fördergeldern hieß es aus den Regierungskreisen, der Plan sei nicht als Konjunkturprogramm gedacht. Doch seien in manchen Ländern die EU-Fördermittel nur zu 30 Prozent ausgeschöpft. Profitieren soll demnach zum Beispiel Italien, wo es bereits konkrete Projekte gebe. Auch Spanien und Portugal solle so geholfen werden. Für Griechenland waren die Kofinanzierungsanforderungen bereits Ende 2011 gesenkt worden.
Wie die Arbeitslosigkeit bekämpft werden könne, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, werde ebenfalls besprochen. Hier werde es einen Austausch "unangenehmer Wahrheiten" zu Reformen geben, die in einem "europäischen Geleitzug" besser national durchgesetzt werden könnten, hieß es in Regierungskreisen. Auch sollten der Binnenmarkt gestärkt und die bürokratischen Lasten von kleinen und mittleren Firmen erleichtert werden. Diese Unternehmen brauchten auch einen besseren Zugang zur Finanzierung.
Weiter hieß es von hohen Regierungsvertretern, nur wer den Fiskalpakt mit seiner Schuldenbremse ratifiziere und umsetze, könne später auch in den Genuss von Hilfen aus dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM kommen. Die Frist dafür betrage zwei Jahre: ein Jahr für die Ratifizierung, ein weiteres für die Umsetzung in nationales Recht. Der Fiskalpakt mit schärferen Sanktionen gilt aus deutscher Sicht als zentrales Element, um zu verhindern, dass sich Euro-Staaten erneut übermäßig verschulden. An ihm nehmen neben den 17 Euro-Staaten auch etliche Nicht-Euro-Länder der Union teil. Auch hier hatte sich Großbritannien ausgeklinkt.
Bundestag hat Bankenrettungsfonds Soffin gestern reaktiviert
Noch sei offen, ob in diesem Jahr eine zweite Tranche für das ESM-Kapital eingezahlt werden müsse. Wer sich nicht an die Schuldenbremse halte, solle beim Europäischen Gerichtshof verklagt werden können - aber laut derzeitigem Stand nicht von der Kommission, wie dies die Bundesregierung wünsche, sondern nur von Einzelstaaten.
In Kommissionskreisen hieß es weiter, im Februar werde eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Ungleichgewichte der EU-Staaten vorgelegt. Das betreffe zum Beispiel die Leistungsbilanz, die Lohnstückkosten, die Immobilienpreise sowie die Verschuldung der privaten und öffentlichen Haushalte. Ziel sei es, ein Zurückfallen der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes frühzeitig zu bemerken.
Deutsche Banken können in diesem Jahr notfalls auch mithilfe des Staates die höheren Kapitalanforderungen erfüllen. Der Bundestag beschloss gestern gegen die Stimmen der Opposition, den 2010 stillgelegten Bankenrettungsfonds Soffin im Umfang von 480 Milliarden Euro zu reaktivieren. Die Neuauflage im Zuge der Euro-Staatsschuldenkrise ist bis Ende 2012 befristet.
Aus Sicht von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) werden die großen deutschen Banken die staatliche Hilfe voraussichtlich gar nicht nutzen müssen. Sie müssten die Kapitallücken bis zum Sommer zunächst aus eigener Kraft stemmen: "Es sieht danach aus, dass die deutschen Banken das auch schaffen." Mit dem Soffin II werde auch Vorsorge getroffen, um die gemeinsame Währung stabiler zu machen.
Die europäischen Banken müssen bis Ende Juni 2012 einen zusätzlichen Risikopuffer aufbauen und ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent anheben. Die Kapitallücke bei sechs deutschen Banken wurde von der Europäischen Bankenaufsicht auf 13,1 Milliarden Euro beziffert.