Das Assad-Regime zeigt Auflösungserscheinungen: Ein hohes Mitglied der Regierung flieht nach Kairo und erklärt sich solidarisch mit Regimegegnern.
Kairo/Dubai/Beirut. Das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad gerät zunehmend in Schwierigkeiten: Nun ist der oberste Finanzkontrolleur des Verteidigungsministeriums und des Ministerpräsidenten-Büros, Mahmud al-Hadsch Hamad, nach Kairo geflohen. Er erklärte sich zudem solidarisch mit den Regimegegnern und sagte, die Verantwortung der Gewalt liege nicht bei der Regierung, sondern beim MIlitärgeheimdienst. Unterdessen hat der Ministerpräsident Katars, Mitglied der Arabischen Liga, erstmals Fehler bei der Überwachung des Friedensplans eingeräumt.
+++Syrische Opposition wirft dem Westen Versäumnisse vor+++
Der ehemalige hochrangige Regierungsbeamte Hamad kritisierte das Assad-Regime in einem Interview, das am Donnerstag von mehreren arabischen Fernsehsendern ausgestrahlt wurde, massiv: „Die Verantwortung für die Gewalt gegen Demonstranten liegt bei den Sicherheitskräften, und zwar konkret beim Militärgeheimdienst, bei der Direktion des Allgemeinen Geheimdienstes und beim Geheimdienst der Luftwaffe." Die Regierung hat nach Darstellung von Al-Hadsch Hamad damit nichts zu tun. Die Mitglieder des Kabinetts seien „Gefangene, die ohne Begleitung der Sicherheitskräfte keinen Schritt mehr machen dürfen“. Viele Minister wollten sich vom Regime lossagen, sie harrten aber aus, weil sie Angst hätten, dass ihren Angehörigen dann etwas angetan werden könnte. Das Gleiche gelte für viele führende Offiziere. Der Finanzkontrolleur sagte, die sogenannten Schabiha-Miliz verübten einen großen Teil der Gräueltaten in Syrien. Sie würden aus dem Etat des Verteidigungsministeriums bezahlt. Wie sich Al-Hadsch Hamad mit seiner Familie nach Kairo absetzen konnte, wurde nicht gesagt.
Unabhängige Beobachter in Damaskus beschreiben die aktuelle Stimmung in Regierungskreisen mit „Alle misstrauen allen“: Viele Funktionäre hielten die Strategie von Präsident Assad, die Proteste mit Gewalt zu bekämpfen, für falsch und aussichtslos. Sie wagten aber meist nicht, mit anderen Regierungsmitgliedern darüber zu sprechen. Schließlich verdächtige jeder Funktionär den anderen der Kooperation mit dem Geheimdienst.
Erstmals seit Beginn des Beobachtereinsatzes in Syrien hat ein Mitglied der Arabischen Liga unterdessen Fehler bei der Überwachung des Friedenplans eingeräumt. „Wir machen das zum ersten Mal und ich habe erklärt, dass wir die verschiedenen Fehler analysieren werden“, sagte der Ministerpräsident vom Golfstaat Katar, Scheich Hamad bin Jassim al-Thani am Donnerstag nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. „Keine Frage, es sind Fehler gemacht worden.“ Allerdings sei das Ziel des Einsatzes nicht gewesen, die Gewalt in Syrien zu stoppen, sondern die Lage zu beobachten.
Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Regimegegner hat die Arabische Liga Syriens Mitgliedschaft ausgesetzt und mit der Regierung in Damaskus einen Friedensplan ausgehandelt. Er sieht einen Rückzug der Armee aus den Städten, die Freilassung Tausender Häftlinge sowie Gespräche mit der Opposition vor. Zur Überwachung des Plans hat die Arabische Liga Beobachter nach Syrien entsandt. Die Opposition wirft der Organisation bei dem Einsatz Versagen vor und verweist unter anderem darauf, dass in den vergangenen Tagen zahlreiche weitere Regierungskritiker getötet wurden. Den Beobachtern wird auch angekreidet, dass sie aus logistischen Gründen teilweise mit den syrischen Behörden zusammenarbeiten, was ihre Unabhängigkeit in Frage stelle. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass die Sicherheitskräfte Gefangene in Militäreinrichtungen vor den Beobachtern verstecken. Zudem sollen immer noch gepanzerte Fahrzeuge in Wohngebieten gesichtet worden sein.
Das syrische Staatsfernsehen berichtete dagegen von weiteren Fortschritten bei der Umsetzung des Friedensplans. Die Regierung erklärte, am Donnerstag seien 552 Gefangene freigelassen worden. Diese waren den Angaben zufolge „im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen“ inhaftiert worden. Die Freilassung der politischen Gefangenen ist Teil der Forderungen der Arabischen Liga an die syrische Regierung.
Regimegegner berichteten, am Donnerstag hätten die Sicherheitskräfte bis zum Nachmittag 17 Menschen getötet. Die meisten Todesopfer habe es in Deir as-Saur nahe der irakischen Grenze gegeben. Unter den Toten sei ein Polizist, der aus Protest gegen die Schüsse auf Demonstranten den Dienst quittiert habe. Die Menschenrechtsorganisation "medico international" kritisierte am Donnerstag, das syrische Regime würde systematisch Ärzte und Gesundheitspersonal verfolgen. In den vergangenen fünf Monaten seien dort mindestens 17 Ärzte verhaftet worden, erklärte die Menschenrechtsorganisation in Frankfurt. Ziel sei es, eine Versorgung verletzter Demonstranten zu verhindern. Das syrische Regime missachte jede Humanität. An die Bundesregierung appellierte „medico“, umgehend Druck auf die Arabische Liga und deren Beobachterdelegation in Syrien auszuüben, damit es endlich zu den vorgesehenen Besuchen von Gefängnissen in dem Land komme. Die verhafteten Ärzte müssten sofort freigelassen werden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden seit Beginn der Proteste gegen Assad im März mehr als 5000 Menschen getötet.
Mit Material von dpa/rtr/kna