Schwedens Reichstag hat den Mord an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft. Die Türkei reagierte empört.
In dem Streit um die Bewertung der Massenmorde an Armeniern im Osmanischen Reich wird es für die Türkei immer enger. Nach einem Ausschuss des US-Kongresses hat nun auch Schwedens Reichstag eine Resolution verabschiedet, in der der Massenmord an Armeniern und anderen ethnischen Gruppen 1915 im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft wird. Nun haben bereits 20 Staaten die Gräuel als Völkermord anerkannt, rechnet die türkische Seite vor. Auf 22 Länder kommen die Armenier in ihrer Zählung.
Wie schon bei der Resolution des US-Kongresses löste die Entscheidung des Stockholmer Reichstages in der Türkei Empörung aus. In Ankara bestellte der Außenminister den schwedischen Botschafter Christer Asp ein. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte einen für nächste Woche geplanten Besuch in Schweden ab.
Ankara will, dass sich Historiker mit den Geschehnissen befassen, während Politiker „Lehren für eine bessere Zukunft“ ziehen sollen. „Es ist die Türkei die dazu aufruft, sich ehrlich mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, erklärt Erdogan.
Diese Argumentation aber überzeugt international ganz offensichtlich immer weniger. „Deutschland hat die Verantwortung für den Holocaust akzeptiert“, hatte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Kongress, Howard Berman, in der vergangenen Woche argumentiert. „Für die Türkei ist es jetzt Zeit, die Realitäten des Genozids an den Armeniern zu akzeptieren.“
Es sind verbündete Staaten, die die Türkei unter Druck setzen. „Unser ,Freund’ Schweden sticht uns mit einer Stimme Mehrheit das Messer in den Rücken“, schrieb die türkische Tageszeitung „Sabah“. Und die auflagenstärkste Zeitung „Hürriyet“ stellte fest, mit Schweden habe ein erklärter Unterstützer der Türkei dafür gestimmt, die Taten als Völkermord zu bewerten.
Ausgerechnet wir, könnte Schwedens Außenminister Carl Bildt über die Entscheidung des Stockholmer Reichstages gedacht zu haben. Denn die Skandinavier haben sich in den letzten Jahren innerhalb der EU als unerschrockene Verfechter eines türkischen Beitritts profiliert.
Diese Verknüpfung stellte Bildt nach außen nicht her, distanzierte sich aber scharf von der Haltung des eigenen Parlamentes: „Die Entscheidung des Reichstages beeinflusst nicht die Regierungspolitik. Unsere Regierung sitzt nicht zu Gericht über die Geschichte.“ Dabei hat Bildt sonst wenige Probleme mit großen historischen Vergleichen und Urteilen. So verglich er das russische Vorgehen im Krieg gegen Georgien mit Hitlers Einmarsch im Sudetenland.
Gegenüber der Türkei aber hält der Schwede alles für unverzeihlich, was die Annäherung des Landes an die EU gefährden könnte. Während ihrer Ratspräsidentschaft letztes Jahr stemmten sich Bildt und sein Regierungschef Fredrik Reinfeldt immer wieder gegen zunehmende Skepsis gegenüber der Türkei in vielen anderen EU-Ländern, darunter auch Deutschland. Sie verteidigten stets die Reformanstrengungen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Und mussten nun die Absage eines nächste Woche geplanten Erdogan-Besuchs in Stockholm aus Protest gegen den Reichstags-Beschluss schlucken.