Trotz Differenzen zeigen sich die Teilnehmer entschlossen, die Zockerei in den Banken und an den Börsen zu beenden.
Kurz vor Beginn des Gipfels kam Post aus Rom. Adressiert war der Brief zwar an den britischen Premier, aber der darin enthaltene Appell war unüberhörbar an alle Damen und Herren gerichtet, die sich gestern in London einfanden. Benedikt XVI. schrieb nämlich, dass der Weg aus der Krise nur gemeinsam gefunden werden könne und dass "nationaler Egoismus" jetzt unbedingt vermieden werden müsse!
Benedikts Wort in Gottes Ohr, möchte man sagen, denn von Einigkeit konnte im Vorfeld dieses Megatreffens ja nicht gerade die Rede sein. Egal, ob es um Konjunkturpakete, Steueroasen oder Protektionismus ging - immer zeigte einer auf den anderen. Bis zum letzten Moment. "Ich denke, es gibt Länder, die die Bedeutung einer fiskalischen Mobilisierung verstehen, und es gibt andere Länder, die das nicht verstehen", dozierte Japans Ministerpräsident Taro Aso in der gestrigen Ausgabe der "Financial Times" und zielte damit auf die Deutschen, die ja immerhin 80 Milliarden Euro zur Sicherung ihres Arbeitsmarktes und zur Belebung der Binnennachfrage ausgelobt haben. Was der Mann aus dem Land der aufgehenden Sonne offenkundig dürftig findet. Warum, das versteht man allerdings nicht ganz, denn er selbst hat ja bisher nur 95 Milliarden lockergemacht, obwohl es bekanntlich 128 Millionen Japaner gibt und nur 82 Millionen Deutsche. Pi mal Daumen hätte Herr Aso also schon mal 120 Milliarden Euro herausrücken müssen. Mindestens.
Selbstverständlich spielten auch die unterschiedlichen Temperamente eine Rolle. Während Brasiliens Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva vor dem Gipfel wetterte, "weiße Menschen mit blauen Augen" hätten die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise angezettelt, und sich mit dieser rassistischen Bemerkung selbst ins Abseits stellte, drohte Nicola Sarkozy bereits vor seiner Anreise mit vorzeitiger Abreise. Der Franzose will in London seine Vorstellungen von einer stärkeren Regulierung der internationalen Finanzmärkte durchboxen. Klappt das nicht, "stehe ich auf und gehe". Obwohl die bisherigen Erfahrungen mit Weltwirtschaftsgipfeln nicht unbedingt zu Optimismus ermutigen, könnte ausgerechnet London ein Erfolg werden. Es klinge paradox, hieß es aus Berlin, "aber das Gute ist, dass wir noch mitten in der Krise stecken. Das hat die Handlungsbereitschaft aller Beteiligten erhöht." Zwischen Moskau und Washington, Tokio und Djakarta, Seoul und Mexiko-City hat sich offenbar endlich herumgesprochen, dass man einem Boot sitzt. In dem man dringend die Lecks stopfen muss, wenn man nicht riskieren will, gemeinsam unterzugehen.
Über die Methode herrschte bis zum Schluss allerdings noch Uneinigkeit. Saudis und Chinesen wollen den Internationalen Währungsfonds kräftig aufgestockt sehen, Südkorea will ein Freihandelsabkommen mit der EU, Indien die Beseitigung protektionistischer Hürden, die bis über die Ohren verschuldeten Argentinier werden einfach die Hand aufhalten, die Indonesier werden verlangen, dass man in den Industriestaaten auf Subventionen für die heimische Wirtschaft verzichtet. Amerikaner und Briten sähen es gerne, wenn die Europäer ihre Konjunkturpakete noch einmal kräftig aufstocken würden. Frankreich und Deutschland lehnen das kategorisch ab. In Washington hat man sich angehört, dass die Europäer ihre Sozialausgaben - zu Recht - zu den Konjunkturhilfe hinzurechnen, in Großbritannien ist man aus anderen Gründen zurückgerudert: London war ja das europäische Mekka der Banker und Broker, die sich gestern nur im Freizeitlook zu ihren Arbeitsplätzen wagten. Wenn überhaupt. Viele blieben aus Angst vor Prügel lieber gleich zu Hause. Tatsächlich werden 70 Prozent der internationalen Bonds, die Hälfte des weltweiten Aktienvolumens und ein Drittel aller Devisen in London gehandelt. Da mussten die Demonstranten nach ihren Buhmännern nicht lange suchen.
Jenseits aller Differenzen sind die Gipfel-Teilnehmer aber offenbar entschlossen, die Zockerei in den Banken und Börsen zu beenden. Bereits im November, beim G20-Gipfel in Washington, haben sie ein umfassendes Programm mit 47 "Aktionspunkten" zur Regulierung der Finanzmärkte verabschiedet, die in der Zwischenzeit geprüft wurden und jetzt "lückenlos umgesetzt" werden sollen. Dass man es ernst meint, hat die Schweiz im Februar schmerzlich erfahren müssen. Als die Amerikaner eine der beiden Großbanken zwangen, Kontodaten von Amerikanern herauszugeben, die ihr Kapital in der Schweiz versteckt und Steuern in großem Stil hinterzogen hatten. Damit war das Bankgeheimnis geknackt, und eine der sichersten Steueroasen war plötzlich keine mehr. Dann gab Liechtenstein auf, ein bis dato anderes "unkooperatives Territorium", wie es im Jargon der G20-Staaten heißt.
Nach der großen Finanzmarktreform soll es "keinen Markt, keinen Akteur und kein Produkt" mehr "ohne Aufsicht" geben. Ratingagenturen, "systemisch wichtige" Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften sollen einer direkten staatlichen Kontrolle unterworfen werden. Transnational tätige Banken sollen "Risikopuffer" aufbauen müssen und sollen künftig von international besetzten Aufsichtskollegien überwacht werden. Managergehälter sollen an die langfristige Firmenentwicklung gekoppelt werden, entsprechende Gesetzgebungsverfahren laufen bereits in mehreren G20-Staaten. Zudem will der Gipfel den Internationalen Währungsfonds stärken, indem er dessen Mittel mindestens verdoppelt. Indien und China sollen dort in Zukunft mehr Mitspracherecht erhalten.
Bleibt noch nachzutragen, dass Afrika auch in London wieder dramatisch unterrepräsentiert ist. Nur die Südafrikaner sitzen mit am Tisch. Rom ist das nicht entgangen. Papst Benedikt XVI., der gerade erst von seiner Reise durch Kamerun und Angola zurückgekehrt ist, hat die Gipfel-Teilnehmer in seinem Brief gemahnt, sich vor Augen zu halten, dass diejenigen, deren Stimme am wenigsten politisches Gewicht habe, am schwersten von der Krise betroffen seien, für die sie nicht verantwortlich seien.