Die Krise der Weltwirtschaft bedroht inzwischen die Zahlungsfähigkeit ganzer Staaten. Vor allem im Osten der EU ist der ökonomische Niedergang dramatisch. Jetzt muss die Gemeinschaft ihre innere Stärke beweisen.
Hamburg. Im Sprachgebrauch prägt sich das Bild ein, die Krise der Weltwirtschaft wirke wie ein Erdbeben. Das Bild ist richtig. Die Fundamente zittern, und an den Fassaden bröckelt der Putz. Danach sieht nichts mehr aus wie zuvor, wenn das Haus dann überhaupt noch steht.
Bislang pumpten die Staaten Milliardensummen in die Stützung und Rettung der Banken, weil die Finanzinstitute "systemrelevant" - unverzichtbar - für den Bestand des Gesamtsystems seien. Nun wird darüber gestritten, ob das Argument auch für die Rettung der schwer angeschlagenen Automobilbranche taugt, zum Beispiel bei Opel. Die Krise hat die "Realwirtschaft" erreicht.
Die nächste Eskalationsstufe steht schon bevor, und sie stellt das bisher Gesehene in den Schatten. Gelähmte Finanzmärkte, Kapitalflucht und Rezession könnten nun ganze Staaten in die Insolvenz treiben. Sind Staaten "systemrelevant" für die Wirtschaft? Die Antwort erübrigt sich. Es bleibt also die Frage, wer einspringt, wenn tatsächlich das Äußerste droht, zum Beispiel eine Reihe von Staatspleiten in Europa. Oder ob dann nur eines hilft, eine Währungsreform, um die Tausenden Milliarden Euro Schulden der öffentlichen Hand zu atomisieren - alles auf Anfang!
Das Erdbeben Weltwirtschaft legt gnadenlos die Schwächen und Versäumnisse der Staaten frei. Der Putz ist ab, nicht nur in den USA, auch in vielen anderen Teilen der Welt. Auch in Europa. Ob Landesbanken-Zockerei in Deutschland oder Immobilienblase in Spanien, ob Reformstau in Frankreich oder wirtschaftspolitischer Phlegmatismus in Italien - abgerechnet wird für die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre: jetzt.
Dramatisch steht es vor allem um verschiedene Staaten in Osteuropa. Vor 20 Jahren steuerte Europa, nach dem Ende des Kalten Krieges, auf die politische und wirtschaftliche Einheit zu. Die Staaten des Ostens entwickelten sich überwiegend zu einer ökonomischen Boom-Region. Die Furcht vor wirtschaftlicher Kannibalisierung des Westens durch den Osten erwies sich als unsinnig - vor allem das Wachstum im Osten verlieh Europa und der Europäischen Union wichtige Impulse. Ohne Osteuropa wäre die EU nicht zur wirtschaftlich stärksten Region der Welt aufgestiegen. Nun aber bricht die Wirtschaft vor allem im östlichen Teil der Gemeinschaft zusammen.
Betroffen vom Kollaps sind vor allem Ungarn, Rumänien und die Baltischen Staaten. In Mitleidenschaft werden von der Krise aber auch die übrigen Länder in Osteuropa gezogen. Es erweist sich, dass die jüngeren Mitglieder der EU noch längst keine differenzierte wirtschaftliche Struktur besitzen, keinen materiell starken Mittelstand, der über Anleihen zur Finanzierung der öffentlichen Hand beitragen kann. Finanziert wurde das Wirtschaftswunder im Osten vor allem mit Kapital aus dem Westen. Dieses Kapital ist nun auf der Flucht nach Hause.
Der erste westliche EU-Staat, der dafür womöglich bezahlen muss, ist Österreich. Kein anderes Land ist mit seiner Bankenwirtschaft im Osten der EU so stark engagiert - und so stark im Risiko. "Es bedarf einer gemeinsamen Kraftanstrengung", sagte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann gestern mit Blick auf die Freunde in der EU. Sein ungarischer Kollege Ferenc Gyurcsany will im Europäischen Rat darauf drängen, dass "alle Instrumente, die der EU zur Verfügung stehen, eingesetzt werden, damit sie jene Länder, die sie benötigen, auch abrufen können". Für alle Fälle - damit aus dem Albtraum möglicher Staatsbankrott kein böses Erwachen wird.