Die Waffenruhe im Gazastreifen wird zunehmend brüchig. Nach einem tödlichen Anschlag am Rande des Küstenstreifens hat Israel heute am frühen Morgen Tunnelanlagen im Süden des Palästinensergebiets angegriffen.
Tel Aviv/Kairo/New York. Dies berichteten arabische Medien unter Berufung auf Augenzeugen. Durch diese Tunnel bei Rafah werden nach israelischer Darstellung aus Ägypten Waffen in den Gazastreifen eingeschmuggelt.
Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete unter Berufung auf Mitglieder der radikal-islamischen Hamas-Bewegung, Einwohner von Rafah seien in Panik aus ihren Häusern gerannt. Ein Flugzeug habe dreimal angegriffen. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht.
Ein Hauptziel der dreiwöchigen israelischen Militäroffensive, die am Morgen des 18. Januar mit einer einseitigen Waffenruhe beendet worden war, war die Unterbindung des Waffenschmuggels aus Ägypten. Bei den Angriffen waren etwa 1300 Palästinenser ums Leben gekommen.
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Ein israelischer Berufssoldat wurde nördlich von Kissufim bei einer Patrouillenfahrt getötet, als auf der israelischen Seite der Grenze zum Gazastreifen unter seinem Fahrzeug ein Sprengsatz explodierte. Die Bombe war von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen gelegt und von dort aus gezündet worden. Drei weitere israelische Soldaten erlitten Verletzungen.
Der scheidende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hatte daraufhin eine weitere Reaktion Israels angekündigt. Olmert sagte nach israelischen Medienberichten, ein Raketenangriff der Luftwaffe bei Chan Junis sei zunächst nur eine "operative Reaktion" gewesen. "Die Reaktion auf den Vorfall selbst wird noch kommen", sagte Olmert bei einem Treffen mit Regierungsvertretern in Jerusalem.
Israelische Panzer feuerten als Antwort auf den Anschlag Granaten auf Häuser im Palästinensergebiet ab. Dabei kam nördlich von Chan Junis ein Landwirt ums Leben. Später tötete eine von einem israelischen Flugzeug abgeschossene Rakete einen militanten Palästinenser, der bei Chan Junis auf einem Motorrad unterwegs war.
"Nicht umsonst haben wir gesagt, dass die Waffenruhe brüchig ist", sagte Olmert. Man habe absichtlich eine einseitige Waffenruhe erklärt und keine Vereinbarung mit der im Gazastreifen herrschenden radikal-islamischen Hamas-Organisation geschlossen. "Dies ermöglicht uns die notwendige militärische Bewegungsfreiheit, um auf solche Vorfälle zu reagieren."
Ungeachtet der neuen Eskalation zeigte sich Ägyptens Außenminister Ahmed Abul Gheit zuversichtlich, dass Israel und die radikalislamische Hamas schon bald eine dauerhafte Waffenruhe vereinbaren. Kairo tritt bei den indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der von der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas als Vermittler auf.
Nach einem Treffen mit dem EU-Chefdiplomaten Javier Solana sagte der ägyptische Außenminister Abul Gheit in Kairo, Israel und die Hamas könnten bereits in der ersten Februarwoche eine dauerhafte Waffenruhe vereinbaren. Die diesbezüglichen Anstrengungen der ägyptischen Vermittler würden dann auch zu einer Öffnung des Grenzübergangs Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen führen. Bisher haben Israel und die Hamas nur jeweils voneinander unabhängige Waffenruhen ausgerufen.
Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Unter- Generalsekretär John Holmes, verglich den Gazastreifen nach den israelischen Angriffen mit einem "riesigen Freilicht-Gefängnis ohne Normalität und Menschenwürde". Holmes berichtete dem Weltsicherheitsrat am Dienstagabend über seine Eindrücke bei einem Besuch in dem Gebiet in der vergangenen Woche. Demnach brauchen die Palästinenser "massive humanitäre Hilfe" zum Überleben und zum Wiederaufbau ihrer Wohnhäuser. "90 Prozent der 1,3 Millionen Menschen im Gazastreifen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen", sagte Holmes.
Er appellierte an den Sicherheitsrat, mit dafür zu sorgen, dass alle Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen geöffnet werden, damit die angemessene Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden könne. Derzeit könnten durch die Beschränkungen der Israelis lediglich 120 Lastwagen mit Hilfsgütern pro Tag in das zerstörte Gebiet. Gebraucht würden aber wenigstens 500 Ladungen pro Tag, erklärte der Nothilfekoordinator dem höchsten UNO-Gremium. Seinen Angaben nach häuften sich in Ägypten bereits Hilfsmittel, die im Gazastreifen dringend benötigt werden.