Jetzt versucht der Linke Alexis Tsipras eine Koalition zu bilden. Die Aussichten sind jedoch schlecht. Tsirpas fordert ein Ende der Sparpolitik.
Athen. Bis zur Wahl hatte er sich als der große Staatsmann und selbstgewisse Sieger gegeben, der er nicht ist: Antonis Samaras, Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND), musste schon nach einem Tag seine Versuche aufgeben, eine Regierung zu bilden. Seine Partei war zwar der "Wahlsieger", aber mit einem erniedrigend schlechten Ergebnis von weniger als 19 Prozent (statt der erhofften 25). Zu einer Mehrheit selbst mit den bisherigen mitregierenden Sozialisten (Pasok) reichte es nicht, und alle anderen Parteien sagten: nicht mit Samaras.
Seit gestern Nachmittag und für drei Tage ist nun der Chef des zweitplatzierten Linksparteien-Bündnisses Syriza an der Reihe, Alexis Tsipras. Dass überhaupt eine andere Partei als die traditionell regierenden ND und Pasok mit der Regierungsbildung beauftragt wird, ist ein historisches Novum.
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Tsipras wird sich mehr Zeit lassen als Samaras, er baut auf Übertritte aus den Reihen der ND und der Pasok. "Wir werden auf keinen Fall mit Pasok oder ND koalieren, denn die haben das Memorandum (das EU-Sparpaket, die Red.) unterschrieben", sagte der Syriza-EU-Parlamentarier Mikos Choundis der "Welt". "Wir hoffen auf Übertritte aus ND und Pasok und versuchen die Kommunisten zu überzeugen."
Es ist eine sehr wackelige Arithmetik. Wirklich verhandeln will Syriza nur mit den Kommunisten, der von ihr selbst abgespaltenen Demokratischen Linken (DL) sowie den Unabhängigen Griechen (Anel). Die DL ist bereits an Bord, Anel hat Übereinstimmung bekundet. Wenn die Kommunisten (KKE) auch mitmachen, fehlen Tsipras noch 18 Mandate zur Mehrheit. Doch die KKE signalisiert, dass sie nicht interessiert ist. Ohne sie wären schon 45 Übertritte von den 149 ND- und Pasok-Abgeordneten erforderlich, um auch nur eine hauchdünne Mehrheit zu erreichen. Sehr wahrscheinlich ist das nicht.
Inhaltlich hat Syriza kein wirklich belastbares Wahlprogramm vorgelegt. Man will ein Ende der Sparpolitik und souveräne Entscheidungen treffen; aber die Antwort auf die Frage, wie man Gehälter und Renten bezahlen will, wenn die Notkredite aus Brüssel versiegen, beschränkt sich auf eine Formel: Griechenland erwirtschaftet nur wegen seiner Zinsverpflichtungen Defizite. Wenn man die stoppt, hat man genug Geld. Was aber dann mit den Banken passiert, mit den Unternehmen, die keine Kredite mehr bekommen, mit der Wirtschaft, wenn die Kapitalflucht sich weiter verschärft - all das sind Fragen, die die Linken bislang nicht wirklichbeschäftigen.
Es ist Syriza-Chef Alexis Tsipras selbst, der jenseits aller Inhalte das größte Kapital der Partei darstellt. Jung, sympathisch, überzeugend trat er im Wahlkampf auf. Nun muss sich zeigen, ob die Griechen erkennen, dass Tsipras für ein streitanfälliges Bündnis linker Parteien ohne realistische Politikvorstellungen steht.
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Weder Syriza noch die bisherigen Regierungsparteien sind bereit, die rechtsextreme Partei Goldene Morgendämmerung salonfähig zu machen, indem man sie in eine Koalition einbindet. Deren 21 Mandate fallen also ausallen Berechnungen heraus. Dass die als neofaschistisch bezeichnete Partei eine wirkliche Gefahr darstellt, zeigt sich daran, dass sie eine führende Journalistin der Tageszeitung "Kathimerini" bedroht. Xenia Kounalaki hatte geschrieben, dass die Medien die Goldene Morgendämmerung ächten sollten. Daraufhin erschien auf der Webseite der Gruppe ein Beitrag über das Privatleben der Journalistin, ihre Gewohnheiten, ihre Tochter. Am Ende des Artikels stand, auf Deutsch: "Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat".
Falls Syriza keine Regierung bilden kann, gibt es noch Alternativen zu einer Neuwahl: Samaras opfern (die ND scheint dazu bereit zu sein) und dann umgekehrt auf Übertritte zu ND und Pasok hoffen. Zusammen bräuchten sie nur drei zusätzliche Mandate. Oder - ebenfalls ohne Samaras - eine Koalition mit Anel oder Abtrünnigen aus dieser Partei. Einige ihrer führenden Anhänger würden lieber koalieren, als dieRegierungskrise zu verlängern. Viel Zeit scheint das Land nicht zu haben. Bald sind weitere Überweisungen aus Brüssel nötig, um die Gehälter und Renten zahlen zu können. Dennoch deutet vieles auf eine Neuwahl hin.
Nur: Auch sie bietet keine Garantie, dass es danach eine regierungsfähige Mehrheit gibt. Denn selbst wenn Syriza zur stärksten Kraft aufsteigen sollte, würde ihr das Wichtigste fehlen: der50-Mandate-Bonus, der nach griechischem Wahlrecht der stärksten Partei zugeschlagen wird. Das soll die Herausbildung stabiler Regierungsmehrheiten erleichtern. Doch ist Syriza gar keine Partei. Sie ist offiziell ein Bündnis mehrerer Linksparteien und bekäme daher den Bonus wohl nicht. Eine Neuwahl könnte also nichts weiter bringen als noch mehr gescheiterte Koalitionssondierungen - und weitere Wahlen. Eine neue Regierung würde es dann wohl erst im Herbst geben.
In Athen ist bereits ein leichter Stimmungsumschwung zugunsten der Partei zu beobachten, die am Sonntag mehr als zwei Drittel ihrer Stimmen eingebüßt hatte: Pasok-Chef Evangelos Venizelos ist der Einzige, der konkrete Politikziele in einer sinnvollen zeitlichen Abfolge benennt, der Einzige, der derzeit so etwas wie Seriosität und Verlässlichkeit ausstrahlt.