Moskau. Sicherheitskräfte brachen ihr die Nase, doch sie lässt sich nicht unterkriegen: Nana Malashkhia wird zur Galionsfigur der georgischen Opposition.
Das Foto ging um die Welt: Kraftvoll schwenkt Nana Malashkhia mitten in der georgischen Hauptstadt Tiflis die EU-Flagge. Das war im März des vergangenen Jahres, bei den ersten Demonstrationen gegen die Politik der Regierung. Damals arbeitete die 48-Jährige noch im Bürgermeisteramt. Inzwischen hat sie gekündigt – und mehr noch: Mit 200 ehemaligen Kollegen hat sie einen offenen Brief veröffentlicht, die antiwestliche Politik der Regierungspartei „Georgischer Traum“ hart kritisiert.
„Mit zwei der Unterzeichner habe ich noch Kontakt, aber generell bekomme ich viel Unterstützung aus der Beamtenschaft“, sagt Nana Malashkhia unserer Redaktion, als wir sie auf der abendlichen Demonstration vor dem Parlamentsgebäude treffen. Heute führt Nana eine Oppositionsliste an, ist gewählte Abgeordnete – und tritt ihr Amt im Parlament nicht an. Aus Protest. Von „zivilgesellschaftlicher Haltung“ spricht sie. Und: „Die Regierung hat die Wahlen gefälscht. Der Weg aus dieser Krise könnte nur Neuwahlen mit einer neuen, unabhängigen Wahlkommission und der politischen Neutralität der Strafverfolgungsbehörden sein.“
Georgien: Ein Land zerrissen zwischen EU und Russland
Wahlfälschung – stimmt dieser Vorwurf? Internationale Organisationen kritisieren die Parlamentswahl im Oktober. Doch beweisbar sind bis jetzt nur einzelne, kleinere Unregelmäßigkeiten. Manipulativ war allerdings der Wahlkampf der Regierungspartei. Der „Georgischen Traum“ pflasterte die Hauptstadt mit zweigeteilten Plakaten zu: Links waren Zerstörungen aus der Ukraine zu sehen, rechts moderne Schulen und Autobahnen in Georgien. Suggeriert werden sollte: Wählt ihr die EU, dann droht eine russische Invasion, droht Krieg.
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Sicher ist: Die Regierungspartei eskaliert die Situation in einem Land, zerrissen zwischen EU und Russland. Nun mischt sich auch der georgische Geheimdienst ein, warnt vor angeblich gewalttätigen Umsturzplänen, spricht von „Organisatoren destruktiver und krimineller Aktivitäten“. Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili sieht die Warnung vor der offiziellen Präsidentschaftswahl am Samstag als gezielte Angstmache, die nicht belegt sei. Sie warf der Behörde vor, Menschen psychologisch zu terrorisieren. „Die heutige Äußerung des Geheimdienstes sollte als Menschenrechtsverletzung betrachtet werden“, sagt Surabischwili.
„„Ich mag keine Öffentlichkeit. Das ist die größte Unbequemlichkeit in der Rolle eines Politikers für mich. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich am falschen Ort bin. Ganz im Gegenteil.““
Die Polizei geht mit brutaler Härte vor
Nana Malashkhia ist inzwischen eine Art „Galionsfigur“ der Opposition in Georgien. Auf den Demonstrationen wird sie erkannt. „Ich mag keine Öffentlichkeit“, sagt sie. „Das ist die größte Unbequemlichkeit in der Rolle eines Politikers für mich. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich am falschen Ort bin. Ganz im Gegenteil.“
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„Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“, steht auf den Plakaten der Demonstranten. Nana ist mittendrin. Die Polizei geht auch in dieser Nacht mit brutaler Härte vor. Über 500 Menschen wurden bislang festgenommen. Tränengas, es wird geprügelt. Hunderte Verletzte, darunter auch Nana. „Ich wurde bei den Protesten verletzt – ich half einem am Boden liegenden jungen Mann, und die Spezialeinheiten brachen mir die Nase.“ Regierungschef Irakli Kobachidse hatte am vergangenen Samstag angekündigt, per Gesetz ein Verhüllungsverbot für Demonstranten erlassen zu wollen. Es solle Protestierenden untersagt werden, „ihr Gesicht wie auch immer zu verhüllen“, sagte er bei einer Pressekonferenz. Die Demonstranten schützen derzeit ihr Gesicht oft mit Stoffen oder Masken gegen das Tränengas der Polizei.
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EU droht mit Sanktionen – doch Ungarn könnte Veto einlegen
Unterdessen droht die EU mit Sanktionen. Man werde beim nächsten Außenministertreffen am kommenden Montag mögliche Maßnahmen prüfen, teilte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas in Brüssel mit. Denkbar ist unter anderem, Verantwortliche für die jüngsten Ereignisse mit EU-Einreiseverboten zu belegen und in der EU vorhandene Vermögenswerte einzufrieren.
Dagegen droht Ungarn mit einem Veto. „Die ungarische Regierung hält die diesbezüglichen Vorschläge für unsinnig und unbegründet“, sagte Außenminister Peter Szijjarto. Der Politiker war zuvor in Budapest mit seiner georgischen Amtskollegin Maka Botschorischwili zusammengetroffen. Unter seinem rechtspopulistischen Regierungschef Viktor Orban pflegt Ungarn gute Beziehungen zu Russland.
Früherer Fußballprofi könnte Präsident werden
An diesem Samstag waren in Georgien Präsidentschaftswahlen. Gewählt wurde nicht mehr direkt vom Volk, sondern von einer Wahlversammlung, die aus 150 Parlamentsabgeordneten sowie Lokal- und Regionalvertretern besteht. 2017 hatte der „Georgische Traum“ das neue Wahlverfahren per Verfassungsreform durchgesetzt. Es galt bereits im Vorfeld als sicher, dass das neue Staatsoberhaupt auf der Linie von Regierungschef Irakli Kobachidse liegen wird. Nominiert hat der „Georgische Traum“ Michail Kawelaschwili, früher Profifußballer bei Manchester City. 224 Mitglieder eines Wahlgremiums stimmten schließlich für ihn, eine abgegebene Stimme war ungültig, wie georgische Medien unter Berufung auf die Zentrale Wahlkommission berichteten. Gegenkandidaten gab es nicht.
Kawelaschwili sagt, er werde „alles tun, um die georgische Gesellschaft hinter unseren nationalen Interessen, unserer nationalen Identität, unseren Werten und der Idee der georgischen Unabhängigkeit zu vereinen“. Die amtierende Präsidentin Surabischwili allerdings will im Amt bleiben. Es gebe kein legitimes Parlament, „und deshalb kann ein illegitimes Parlament keinen neuen Präsidenten wählen“.
Gibt es für Georgien irgendeine eine Chance auf Versöhnung? Vielleicht sogar einen dritten Weg, gute Beziehungen zur EU und zu Russland? Darauf hoffen viele im Land. Für Nana Malashkhia aber ist die Sache klar: „Es gibt nur zwei Wege: entweder mit Europa oder mit Russland.“
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