Moskau/Tiflis. Seit Tagen demonstrieren Tausende gegen die Regierung in Tiflis und werden zum Teil brutal niedergeknüppelt. Die EU ist besorgt.
Georgien kommt nicht zur Ruhe. Nacht für Nacht demonstrieren Tausende gegen die anti-europäische Politik der frisch wiedergewählten Regierungspartei Georgischer Traum. Die Gewalt von beiden Seiten nimmt zu. Wiederholt setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Die Demonstranten errichteten Barrikaden, beschossen die Sicherheitskräfte mit Feuerwerkskörper. Insgesamt wurden bislang rund 300 Menschen festgenommen, darunter auch führende Oppositionspolitiker. Ihnen wird vorgeworfen, „Gewalttaten organisiert und angeführt zu haben“.
Warum gehen die Menschen in Georgien auf die Straße?
Die Demonstranten fühlen sich um ihre Hoffnung auf einen Beitritt des Landes in die Europäische Union betrogen. Das Streben nach Europa ist eigentlich in der Verfassung Georgiens verankert. Doch Regierungschef Irakli Kobachidse hat weitere Verhandlungen über einen EU-Beitritt bis 2028 ausgesetzt. Geld aus Brüssel würde man keines mehr annehmen. Bereits zuvor hatte die EU den Beitrittsprozess von sich aus eingefroren.
Welche Politik verfolgt die Regierungspartei Georgischer Traum?
Der Georgische Traum ist eher prorussisch. Gründer und Mastermind der Partei ist der Multimilliardär Bidsina Iwanischwili, der diskret die Fäden der Macht in Georgien zieht. Iwanischwili werden Verbindungen in den Kreml nachgesagt, was seine Partei bestreitet. Ursprünglich versprach der Georgische Traum Demokratie und Annäherung an die EU. Heute befürchten viele, Georgien könne sich in einen autoritären Staat nach dem Vorbild Russlands verwandeln. Noch vor den Parlamentswahlen im Oktober verabschiedete der Georgischen Traum umstrittene Gesetze, die die Arbeit von NGOs im Land behindern und Homosexuelle diskriminieren. Jetzt will Ministerpräsident Kobachidse angesichts der anhaltenden Proteste „den liberalen Faschismus in Georgien vollständig auszulöschen.“ Ähnliche Formulierungen verwendet auch Russland.
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Warum unterstützt die georgische Präsidentin Surabischwili die Protestbewegung?
Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili erklärte am ersten Protesttag: „Heute hat die illegitime Regierung ihrem eigenen Volk den Krieg erklärt.“ Die Parlamentswahl Ende Oktober bezeichnet sie als gefälscht. Am 14. Dezember sind in Georgien Präsidentschaftswahlen. Gewählt wird erstmals nicht mehr direkt vom Volk, sondern von einer Wahlversammlung, die aus 150 Parlamentsabgeordneten sowie Lokal- und Regionalvertretern besteht. 2017 hatte der Georgische Traum das neue Wahlverfahren per Verfassungsreform durchgesetzt. Es gilt als sicher, dass das neue Staatsoberhaupt auf der Linie von Regierungschef Kobachidse liegen wird. Surabischwili allerdings will im Amt bleiben. Sie sagt, es gebe kein legitimes Parlament, „und deshalb kann ein illegitimes Parlament keinen neuen Präsidenten wählen“.
War die Parlamentswahl im Oktober, die der Georgische Traum gewonnen hat, wirklich manipuliert?
Das Verfassungsgericht in Georgien hat einen Antrag auf Annullierung des Resultats der Parlamentswahl zurückgewiesen. Doch internationale Organisationen kritisieren die Wahl. Beweisbar sind bis jetzt aber nur einzelne, kleinere Unregelmäßigkeiten, keine systematische Wahlfälschung. Manipulativ war allerdings der Wahlkampf der Regierungspartei. Der Georgischen Traum pflasterte die Hauptstadt mit zweigeteilten Plakaten zu: Links waren Zerstörungen aus der Ukraine zu sehen, rechts moderne Schulen und Autobahnen in Georgien. Suggeriert werden sollte: Wählt ihr die EU, dann droht eine russische Invasion, droht Krieg. Ängste, die bei vielen verfingen und zum Wahlsieg der Regierungspartei betrugen.
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Wie reagiert der Westen auf die anhaltenden Proteste?
„Wir beobachten die Entwicklungen mit Sorgen“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Deutschland will sich weiterhin für die Annäherung Georgiens an die EU einsetzen. „Die Tür nach Europa bleibt für Georgien offen.“ EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bedauerte die Entscheidung der Regierung gegen die EU. „Wir verurteilen die Gewalt gegen Demonstranten“, schrieb die neue Außenbeauftragte der EU, Kaja Kallas, auf X. Die EU könnte Sanktionen gegen Georgien verhängen. Estland, Lettland und Litauen erließen Einreiseverbote gegen Mitglieder der georgischen Führung. „Gegner der Demokratie und Menschenrechtsverletzer sind in unseren Ländern nicht willkommen“, heißt es dort. Die USA setzten ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus.
Wie reagiert Russland?
Ministerpräsident Kobachidse sagt, Georgien werde keinen „Maidan“ zulassen, keine Revolution wie 2014 in der Ukraine. Damals war nach wochenlangen, auch gewalttätigen Protesten der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt worden. „Die direkteste Parallele, die man ziehen kann, sind die Ereignisse auf dem Maidan in der Ukraine“, meint in Moskau Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland werde sich aber nicht einmischen, einige der Demonstranten hätten aber mit Angriffen gegen die Polizei ganz klar gegen das Gesetz verstoßen, so Peskow. Dmitri Medwedew, stellvertretender Leiter des russischen Sicherheitsrates, sagt, Georgien bewege sich „schnell auf dem ukrainischen Weg in den dunklen Abgrund“. Russland wirft dem Westen immer wieder vor, im Ex-Sowjetraum sogenannte Farbenrevolutionen wie in der Ukraine anzuzetteln.
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