Kupjansk. Die Kleinstadt war mal ein wichtiger Bahnknotenpunkt. Jetzt harren hier noch gut 2400 Menschen aus – unter härtesten Bedingungen.
Vera sitzt dick eingemummelt auf der Bank vor ihrem Wohnblock, es ist bitterkalt geworden in Kupjansk. Eine graue Katze streicht um ihre Beine. Plötzlich gellt Luftalarm. Das scheint absurd in dieser Stadt, in der ohnehin jede Minute Geschützdonner und krachende Einschläge zu hören sind. „Ich bin die Explosionen und die Angst leid“, sagt die 64-Jährige. Wie sie auf den Winter vorbereitet ist? Vera lacht bitter. „Überhaupt nicht.“
In ihrem Wohnblock gibt es keine Zentralheizung mehr. Ihr kleiner Heizkörper funktioniert nur, wenn es Strom gibt, und das ist nicht häufig der Fall. Sie wärmt sich mit meistens an einem gasbetriebenen Backsteinofen auf, erzählt sie. Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Energiekrieg. Russland versucht, das Land in Kälte und Dunkelheit zu bomben.
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Vera ist noch nicht lange in Kupjansk. Sie stammt aus einem Dorf nordöstlich der Stadt. Als es in ihrem Dorf kein fließendes Wasser, keinen Strom und kein Gas mehr gab, musste sie weg von zu Hause. „Ich blieb, bis ich Erfrierungen an den Füßen hatte und machte mich dann zu Fuß auf den Weg.“ In Kupjansk hat sie eine Wohnung gefunden, in der sie kostenlos leben kann. Es ist ein schwieriges Leben. „Wir sitzen hier wie im Gefängnis und haben Angst, nach draußen zu gehen, weil es knallt, wie man hören kann.“ Immerhin hat sie ihre Katze. „Wenigstens schnurrt sie, redet, es ist nicht so einsam.“ In den dunklen Monaten ist es nicht gut, alleine zu sein.
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Ukraine-Krieg: Östlich des Flusses ist Kupjansk eine Ruinenlandschaft
Kupjansk liegt im Nordosten der Ukraine. Vor der russischen Invasion im Februar vor zweieinhalb Jahren war die Kleinstadt mit damals etwa 30.000 Einwohnern ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Nach dem Überfall besetzten russische Truppen die Stadt für einige Monate, ehe sie im September 2022 zurückgedrängt werden konnten. Seitdem steht Kupjansk unter Beschuss. Seit der Invasion sind nach ukrainischen Angaben etwa 300 Zivilisten in der Stadt bei Einschlägen gestorben. Jetzt rücken die Russen von drei Seiten erneut auf Kupjansk zu, im Norden sind sie noch vier Kilometer entfernt.
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Vor einigen Tagen sind erste russische Sabotagetrupps, geschützt von dichtem Nebel, in die Stadt eingedrungen. „Wir sind überrascht worden“, räumt ein Kompanieführer der hier stationierten 116. Brigade ein. Aber die eigene Infanterie habe gute Arbeit geleistet und den Feind zurückgedrängt. Mit Drohnen hätten die gepanzerten Fahrzeuge der Angreifer zerstört werden können. „Wir haben viele Gefangene nehmen können“, sagt der Offizier. „Ein zweites Mal wird uns der Feind nicht überraschen können.“ Erfolge wie diese sind für das ukrainische Militär in diesem Jahr selten.
Östlich des Flusses Oskil, der die Stadt in zwei Hälften teilt, ist Kupjansk eine Ruinenlandschaft ohne Wasser und ohne Strom. Dort harren trotzdem noch etwa 150 Zivilisten aus, berichtet Andriy Kanashevych, der Militärverwalter der Stadt. Er und seine Leute versuchen, die Menschen im Osten der Stadt über eine Ponton-Brücke zu versorgen, die immer wieder zerbombt wird. Es ist lebensgefährlich für die Helfer. Kanashevych hat wenig Verständnis für diejenigen, die trotz einer Evakuierungsanordnung nicht gehen wollen. „Das ist kein Leben da. Diese Leute erwartet der Tod.“
Menschen im Osten der Ukraine: „Wir halten hier irgendwie aus“
Auf der anderen Seite des Flusses sieht es in Kupjansk etwas besser aus, hier leben noch etwa 2350 Menschen. Viele Gebäude liegen in Trümmern, aber es gibt zumindest hin und wieder Strom und fließendes Wasser. „Die städtischen Arbeiter helfen uns“, erzählt Yuri, 49, ein stämmiger Mann, der auf einem Markt am Ortseingang von Kupjansk Motoröl und anderes Autozubehör verkauft. Die meisten seiner Kunden sind ukrainische Soldaten. „Wir halten hier irgendwie aus. Die Russen beschießen uns mit allem, was sie haben. Raketenwerfer, Drohnen, Bomben.“
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Ein Verkaufscontainer neben seinem Stand ist völlig zerstört, das Blech grotesk verbogen. Vor einem Monat sind hier Geschosse eingeschlagen. Yuri hat nur mit viel Glück überlebt. „Ich bin durch die Luft geschleudert worden, war bewusstlos und hatte eine Gehirnerschütterung.“ Trotz der ständigen Angriffe will er bleiben. „Mein Bruder ist hier begraben, mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater. Ich habe nichts, wo ich hingehen kann.“ Vor den kommenden Monaten hat Yuri aber Angst. „Nur Gott weiß, was der Winter bringen wird.“ Wie alle Menschen in der Ukraine wissen die verbliebenen Bewohner von Kupjansk, dass die kalte Jahreszeit extrem hart werden könnte.
Vor dem dritten Kriegswinter hat der russische Diktator Putin seine Streitkräfte wieder massive Angriffe auf die kritische Infrastruktur des Landes durchführen lassen. Am 26. August, am 17. und am 28. November trafen Dutzende ballistische Raketen und Marschflugkörper Energieanlagen im gesamten Land. „Energieterror“ nennt der ukrainische Energieminister German Galushchenko das Vorgehen der Russen. Es ist eine Strategie, mit der Moskau auch in den vergangenen Kriegsjahren die Moral der Ukrainer brechen wollte. Dieses Ziel haben die Invasoren noch nicht erreicht.
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Angriffe auf Energieversorgung: Bevölkerung ist mittlerweile darauf vorbereitet
Allein nach dem Großangriff im August waren vier Millionen Ukrainer ohne Strom. Nach den jüngsten Attacken musste der Stromverbrauch im ganzen Land eingeschränkt werden. Selbst in der Hauptstadt Kiew haben Stadtteile nur intervallmäßig Strom. Die Menschen haben sich darauf eingestellt. Viele Haushalte, Geschäfte und Restaurants haben Dieselgeneratoren oder Solaranlagen angeschafft. Aktuell arbeiteten die Mitarbeiter des staatlichen Energieversorgers Ukrenergo „rund um die Uhr an der Wiederherstellung von Anlagen“, so Galushchenko.
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Die ukrainischen Behörden haben sich auf die ständigen Angriffe der Russen auf die Energieversorgung eingestellt. „Die überwiegende Mehrheit der kritischen Infrastruktur in den Regionen ist mit einer Notstromversorgung ausgestattet“, betont der Energieminister. Die Gemeinden haben Vorräte an Feuerholz und Kohle für die Heizperiode angelegt. Einsatzteams sind ausgebildet worden, die rund um die Uhr Reparaturen durchführen können. Man wolle sicherstellen, dass die Menschen „während des Winters so viel Licht und Wärme wie möglich haben“.
Freiwillige Helfer in Kupjansk: „Meine heilige Pflicht“
In Kupjansk hat es sich Oleksandr zur Aufgabe gemacht, den wenigen verbliebenen Bewohnern zu helfen. Er eilt in einem blau-orangefarbenen Arbeitsoverall über den Markt, auf dem Kopf eine Stirnlampe. In der kleinen fensterlosen Metzgerei, in der im Eingang Töpfe mit Hühnerfüßen und -köpfen stehen, ist irgendetwas mit dem Strom nicht in Ordnung.
Oleksandr ist eigentlich Elektriker beim lokalen Wasserversorger. Das Wasserpumpwerk nahe der Stadt, in dem er gearbeitet hatte, ist jetzt von den Russen besetzt. Die Wasserversorgung hat sich seitdem drastisch verschlechtert.
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Auch mit der Stromversorgung gebe es Probleme. Die Spannung sei nicht stabil und die Russen kappten die Stromleitungen immer wieder. „Sie zerstören alles, schlagen wahllos zu, durchtrennen Kabel, und wir tun, was wir können.“ Oleksandr sagt, er sei fast ständig unterwegs, um etwa zu reparieren. Er macht das freiwillig. „Da mein Haus noch hier ist, bleibe ich und arbeite, solange es etwas zu tun gibt. Ich glaube, das hier ist meine heilige Pflicht.“
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