Seoul. Südkoreas Präsident hat das Kriegsrecht verhängt. Offiziell soll es der Sicherung gegenüber Nordkorea dienen. Doch der wahre Grund schockiert.

Am Dienstagabend blickte Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol mit noch ernsterer Miene als sonst in die Kamera, fast furchteinflößend kam er daher. Die Opposition in seinem Land kooperiere mit dem Feind aus Nordkorea, sagte er. Und deshalb könne es mit dem politischen Alltagsgeschäft nicht so weitergehen wie bisher. So habe er jetzt einen Entschluss getroffen: „Das Kriegsrecht zielt darauf ab, pro-nordkoreanische Kräfte auszulöschen und die freiheitliche Verfassungsordnung zu schützen.“

Südkoreas Präsident ruft das Kriegsrecht aus
Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol während einer Pressekonferenz im Präsidialamt. Der Präsident Südkoreas hat das Kriegsrecht ausgerufen. © DPA Images | Uncredited

In Südkorea, einer seit den späten 1980er Jahren demokratisch organisierten Gesellschaft, die zuvor Jahrzehnte der Militärdiktatur durchlebt hatte, sollte fortan also das Kriegsrecht gelten. Als die Erklärung des Präsidenten am späten Dienstagabend verkündet war, überschlug sich das Land mit weiteren Meldungen. Das Parlament wollte sich den Schritt nicht gefallen lassen und stimmte gegen die Verhängung des Kriegsrechts. In der Nacht (Ortszeit) beugte sich Yoon schließlich dem Votum und kündigte an, das Kriegsrecht wieder aufzuheben.

Russland: Beistandspakt mit Nordkorea ratifiziert

weitere Videos

    Südkorea ruft Kriegsrecht aus: Sorge um die Demokratie

    Zuvor hieß es, dass das Verteidigungsministerium ein Treffen angeordnet habe, an dem Schlüsselfiguren diskutieren, wie fortan eine verstärkte Überwachung aussehe. Die Opposition, angeführt von der liberalen Demokratischen Partei, die zwischen 2017 und 2022 den Präsidenten gestellt hatte, kritisierte Yoons Schritt als verfassungswidrig. Wobei sie damit nicht allein dasteht. Auch Han Dong-hoon, Chef der konservativen People’s Power Party von Yoon, erklärte den Entschluss des Präsidenten für „falsch“. Es folgte die Blockade des Parlaments.

    Nervosität geht um im ostasiatischen Land, dass dies der Tag war, an dem die Demokratie abgeschafft wird. Der Rechtspopulist Yoon, der im Frühjahr 2022 mit einem hauchdünnen Wahlsieg Präsident wurde, ist nicht erst seit Dienstag eine umstrittene Figur. In seinem Wahlkampf hatte Yoon, der zuvor Generalstaatsanwalt gewesen war, angekündigt, seinem damaligen demokratischen Mitstreiter ums Präsidentenamt Lee Jae-myung strafverfolgen zu lassen. Daran versuchte er sich dann.

    Auch interessant

    Präsident Yoon Suk-yeol wird „Südkoreas Trump“ genannt

    „Solche Ermittlungen sind politisch motiviert gewesen, weil sie selektiv sind“, hat Shim In-bo vom für seine kritische Berichterstattung bekannten Sender Newstapa dazu erklärt. Auch gegen kritische Medienhäuser geht Yoon mit Einschüchterungstaktik vor. Ihm nahestehende Personen hat Yoon dagegen vor Strafverfolgung geschützt, unter anderem seine Ehefrau, der Geschenkannahme vorgeworden worden ist. Im Land wird Yoon auch „Südkoreas Trump“ genannt. Vor allem, weil er die Demokratie missachte.

    Indem ebenjener Yoon Suk-yeol nun das Kriegsrecht ausgerufen hat, werden wesentliche Befugnisse auf das Militär übertragen: Dies betrifft die Gerichtsbarkeit, die die Einschränkung von Grundrechten wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und einen ausgeweiteten Einsatz des Militärs. Am Dienstagabend ließ Yoon dann auch noch das Parlament abriegeln – offenbar, um Versuche ebendieses Parlaments, gegen die Erklärung des Kriegsrechts zu arbeiten, zu unterbinden.

    Das Parlament in Südkorea wurde am Dienstagabend abgeriegelt.
    Das Parlament in Südkorea wurde am Dienstagabend abgeriegelt. © AFP | JUNG YEON-JE

    Auch interessant

    Formal befindet sich Südkorea seit 1950 im Kriegsrecht

    Auf der Koreanischen Halbinsel ist die Lange so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht. Formal im Kriegsrecht befindet sich Südkorea bereits seit 1950, als der dreijährige Koreakrieg mit dem verfeindeten Ein-Parteienstaat Nordkorea ausbrach, in dem Millionen Menschen starben. Dieser erste Stellvertreterkonflikt des Kalten Kriegs – an der Seite Südkoreas kämpften von den USA angeführte UN-Truppen, Nordkorea wurde von China und der Sowjetunion unterstützt – mündete nur in einen Waffenstillstand.

    Seither hat es zwischen Nord- und Südkorea immer wieder Phasen der Annäherung gegeben, zuletzt um das Jahr 2018. Als dann der damalige US-Präsident Donald Trump in Verhandlungen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un keine Ergebnisse erzielen konnte, was eine mögliche nukleare Abrüstung Nordkoreas anging, froren die Beziehungen wieder ein.

    Ukraine-Krieg: Nordkorea unterstützt Putin, Südkorea Selenskyj

    Und dann wurden sie auf neue, unschöne Weise angeheizt: Nämlich mit dem neuerlichen Angriff Russlands auf die Ukraine seit Februar 2022. Nordkoreas Diktator Kim Jong-un nutzte die Gunst der Stunde, da nun auch Russland durch harte internationale Sanktionen getroffen war. So näherte er sich diplomatisch mit Russlands Präsident Wladimir Putin an. Seither haben die zwei Staaten einen Verteidigungspakt, Nordkorea unterstützt den Krieg in der Ukraine auf der Seite Russlands.

    Südkorea wiederum unterstützt die Ukraine, bisher allerdings nur auf humanitäre Weise. Yoon hat zuletzt aber laut darüber nachgedacht, auch Waffen nach Kiew zu schicken, woraufhin Putin damit drohte, Nordkorea aufzurüsten. Zudem hat Nordkoreas Diktator Kim vor kurzem Nordkoreas Verfassung dahingehend ändern lassen, dass Südkorea darin als „feindseliger Staat“ bezeichnet wird. Seinem Militär gegenüber hat Kim erklärt, man müsse sich auf einen Krieg vorbereiten.

    Ukraine Krieg - Nordkorea
    Nordkoreas Diktator Kim Jong-un (Mitte) geht mit Militärs an einer Interkontinentalrakete (ICBM) vom Typ Hwasong-17 vorbei. © DPA Images | Uncredited

    Opposition macht Yoon Suk-yeol für verschärfte Bedrohungslage verantwortlich

    In Südkorea wiederum macht die liberale Opposition auch die konfrontative Politik von Yoon Suk-yeol dafür verantwortlich, dass die Bedrohungslage ernster geworden ist. Denn auch Yoon hat dem Norden mit Krieg gedroht. Die Idee einer Unterstützung der Ukraine mit Waffen ist zudem unpopulär im Land. „Dies liegt einfach daran, dass man sich aus dem Konflikt heraushalten will“, sagt Moon Chung-in, Professor an der Yonsei Universität und ehemaliger Berater des liberalen Ex-Präsidenten Moon Jae-in.

    „Dies hat nichts damit zu tun, dass irgendwer an der Seite Nordkoreas stehen würde.“ Dies allerdings insinuiert Präsident Yoon Suk-yeol, wenn er betont, er müsse pro-nordkoreanische Kräfte auslöschen. Von vielen Beobachtern wurde sein Schritt, das Kriegsrecht auszurufen, scharf kritisiert. Ein Journalist der linksliberalen Zeitung Hankyoreh kommentierte ihn mit „absolut wahnsinnig.“

    Kristian Brakel, der in Seoul die Heinrich-Böll-Stiftung leitet, sagt: „Ich denke nicht, dass dieser Anschlag auf die demokratische Ordnung erfolgreich sein kann, da der Präsident sehr schwach ist, selbst seine Partei stellt sich gegen ihn. Trotzdem ist die Lage unklar und niemand weiß, was noch passieren kann.“ Tatsächlich fehlt dem unbeliebten Yoon seit Wahlen im April eine Parlamentsmehrheit. Die braucht er erstmal aber auch nicht.