Berlin. In Südkorea zahlen Verkehrssünder ihre Strafen häufig nicht – und brechen einfach weiter die Regeln. Das nimmt teils absurde Ausmaße an.

Ein Herr (oder eine Frau) namens Lim ist vor kurzem eine Art unbekannter Star Südkoreas geworden. Diese Person, deren Nachnamen die Öffentlichkeit nicht kennt, führt eine im ganzen Land berüchtigte Bestenliste an: Niemand sonst hat so viele Strafzettel erhalten – und lässt gleichzeitig so viele davon unbezahlt. Dies zeigt die jüngste Polizeistatistik zum Thema. Und die hat in nationalen Medien große Schlagzeilen gemacht. Denn das Ausmaß ist je nach Blickwinkel amüsant oder empörend.

Mehr als 1,7 Milliarden koreanische Won an unbezahlten Verwaltungsstrafen hat Lim (Stand Oktober) angehäuft. Das entspricht gut 1,15 Millionen Euro. Die Zahl der Strafzettel übersteigt 20.000, in 19.677 Fällen geht es um eine Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. 1553 Mal war Lims Auto an Orten geparkt, wo es nicht hätte parken dürfen. Lim müsste nun genau 1.712.806.300 Won an Bußgeldern überweisen. Aber das hat die unbekannte Person nicht getan.

Verkehrssünder in Südkorea: Lim liegt unangefochten auf Platz 1

Offenbar fährt Lim stattdessen einfach unbehelligt weiter, und könnte mittlerweile noch weitere Strafzettel angesammelt haben. Lim ist übrigens nicht der einzige Sünder im großen Stil. Die Rangliste der Verkehrsregelbrecher, die Youn Kun-youn, ein Abgeordneter der linksliberalen Oppositionsführerin Demokratische Partei, kürzlich der Öffentlichkeit präsentierte, führt insgesamt 100 Personen und ihre Vergehen auf. Insgesamt kommen diese hundert schlimmsten und offenbar am wenigsten einsichtigen Verkehrssünder auf einen unbeglichenen Strafgeldwert von 31,5 Milliarden Won – gut 21,4 Millionen Euro.

Conservative activists hold a car parade rally calling for the resignation of Justice Minister Choo Mi-ae on National Foundation Day on October 03, 2020 in Seoul, South Korea. (Photo by Chris Jung/NurPhoto)
Strafen gegen Verkehrssünder werden in Südkorea oft nicht vollzogen – weil diese einfach nicht bezahlen. © Alamy Stock Photo | NurPhoto SRL / Alamy Stock Photo

Eng auf Lim folgt jemand mit dem Namen Kim, die oder der Strafen im Wert von 1.096.673.960 Won auf sich verbucht – die 13.485 Strafzettel für diese Personen entsprechen damit gut 740.000 Euro.

Strafen sammeln hat fast schon Tradition in Südkorea

Strafen ansammeln und sie einfach ignorieren: Was in anderen Ländern kaum denkbar wäre, ist in Südkorea zumindest im Verkehrssektor schon lange ein Ärgernis. Erst 2023 berichtete die Zeitung „Korea Herald“, dass jede fünfte Person in der Hauptstadt Seoul Strafzettel fürs Falschparken nie bezahlt hatte. Auch vor mehr als einem Jahrzehnt wurde das Thema schon debattiert. Im Jahr 2023 wurden laut Polizei nur 53,6 Prozent der Verwaltungsstrafen eingezogen. Der Rest blieb schlicht unbezahlt und wird nicht weiter „eingetrieben“.

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Es ist eine Art, mit Verboten umzugehen, die sonst kaum zum Land passt. Regeln werden in Südkorea nämlich eigentlich eher ernst genommen. Die Kriminalitätsrate ist im internationalen Vergleich gering. Korruption ist zwar weit verbreitet – findet im oft lapidaren Umgang mit Strafzetteln aber offenbar keine Anwendung. Sonst würden die Angelegenheiten um die schwersten Verkehrssünder schließlich kaum offiziell ausgewiesen, sondern unter den Tisch fallen gelassen.

Warum müssen die Südkoreaner nicht blechen?

Nur wie kann es sein, dass Verkehrsteilnehmerinnen nicht zur Zahlung ihrer Strafen gezwungen werden? Lim Jae-Seong, Journalist beim „Korea Herald“, erklärte in einem jüngsten Artikel den rechtlichen Hintergrund: „Im Unterschied zu Geldbußen unter Strafrecht sind Verwaltungsstrafen nicht als Konsequenz für eine Straftat zu verstehen und führen auch nicht zum Entzug des Führerscheins.“ Einfach ausgedrückt: Solche Verkehrsverstöße ziehen keine wirkliche Strafe nach sich. So sei das Schwert, mit dem die koreanische Justiz bei jenem Regelbruch droht, schlicht zu stumpf, um wirksam zu sein.

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„Die einzige Strafe sind Zinsen, die während des unbezahlten Zeitraums erhoben werden.“ Die Zinssätze wiederum sind auch nicht allzu hoch. Im ersten Monat nach Fälligkeit betragen sie drei Prozent, danach 1,2 Prozent pro Monat bis zu 60 Monate. So bleibt bis heute unklar, ob die uneinsichtigen Verkehrssünder ihre Strafen partout nicht begleichen wollen, oder dies womöglich nur vergessen, weil ihre Verbindlichkeiten zwar monatlich zunehmen, deren Begleichung aber nicht durchgesetzt wird.

Für die öffentliche Hand ist der Schaden jedenfalls beträchtlich. Der Gesamtwert nicht gezahlter Verwaltungsstrafen betrug am 10. Oktober satte 1,13 Billionen Won, also 766 Millionen Euro. Anderswo wiederum fehlt dieses Geld – auch im Verkehrswesen. In Seoul brach etwa im vergangenen Jahr eine Debatte darüber aus, inwieweit man es sich in der alternden Gesellschaft noch leisten könne, finanziell oft klammen Seniorinnen und Senioren die kostenlose Nutzung des öffentlichen Transportnetzes zu ermöglichen.