Berlin. Politik kann spalten – besonders, wenn es um Fans und Feinde von Donald Trump geht. Unsere Autorin musste das in der eigenen Familie erleben.
Wenn meine Eltern, mein Bruder und ich zusammen am Esstisch sitzen und über die Familie sprechen, fragen wir uns manchmal, wen wir wohl gewählt hätten, wenn wir damals nach Amerika gezogen wären, anstatt in Deutschland zu bleiben.
Seit fast einem Jahrzehnt leben meine Familie und ich in zwei Welten, die immer weiter auseinander driften. 1986 wurde mein Vater, damals Soldat der US-Armee, nach Deutschland versetzt. Dort lernte er meine Mutter kennen, verliebte sich und blieb. Er ließ fünf Geschwister, seine Eltern und seine Heimat zurück, aber er nahm die Liebe zu den USA und die Hoffnung mit, dass Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bleiben würde, falls er jemals dorthin zurückkehren würde.
Seit 2016 ist alles anders. Drei der fünf Geschwister meines Vaters haben bei der Präsidentschaftswahl 2016 für Donald Trump gestimmt. Sie haben ihn auch 2020 gewählt. Ob sie ihn wieder wählen werden, sagen sie nicht. Seit drei Jahren reden wir nicht mehr über Politik.
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Die Sehnsucht nach Amerika
Mein Bruder und ich sind in einem kleinen Dorf in Hessen aufgewachsen, erfüllt von der Sehnsucht nach unserer amerikanischen Familie und fasziniert von diesem unendlich scheinenden Land. Obwohl uns ein Ozean und fast 8000 Kilometer trennten, glaubte ich als Kind, meiner Familie ganz nah zu sein und dass in Amerika alles perfekt sei. Während sich meine Freundinnen über die Besuche bei ihren Großeltern beklagten, wünschte ich mir insgeheim, dass es für mich genauso einfach wäre, meine Großmutter und den Rest der Familie zu sehen.
Die Besuche in den USA bestätigten den Eindruck einer perfekten Familie – zumindest aus der Sicht eines elfjährigen Kindes. Alles schien in Ordnung, alles normal. Nur beim Abschied gab es Tränen.
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Zerbröckelnde Vorbilder
2016 hat sich alles geändert. Die Wahl eines rassistischen und frauenfeindlichen Entertainers zum Präsidenten traf mich wie ein Tsunami. Erst schleichend, dann plötzlich und mit voller Wucht. Jeden Tag, Post für Post, wurde mir klarer, dass meine Familie nicht so perfekt war, wie ich immer geglaubt hatte. Es brauchte nur jemanden, der ihre Ängste laut aussprach, und sie zeigten mir ein fremdes Gesicht.
Ein großer Teil meiner Familie lebt in einer 5000-Einwohner-Stadt im ländlichen Florida in der Nähe des Lake Okeechobee. Die Menschen hier wählen seit Jahren die Republikaner. Die Gegend ist vor allem für Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang bekannt. Auch meine Cousinen (33 und 29), die beide als Lehrerin arbeiten, sind hier aufgewachsen. Ihre Nachrichten bekommen sie von Fox News. Seit klar ist, dass sie für Trump stimmen, trennt uns nicht mehr nur ein elfstündiger Flug. Wenn ich meinen Vater auf die Familiensituation anspreche, erzählt er mir von schlaflosen Nächten nach Diskussionen mit seinem Bruder: „Wie kann es sein, dass wir so unterschiedlich denken, obwohl wir doch gleich erzogen wurden?“
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Unüberbrückbare Überzeugungen
Neben den alltäglichen Unsicherheiten eines Teenagers, kämpfte ich immer öfter mit der Frage, wie ich Politik und Familie trennen sollte. „Lass die Politik aus der Familie raus. Wir sind mehr als das“, forderte mein Onkel. Aber wie kann ich das ignorieren, wenn es um fundamentale Werte geht? Wie kann ich am Esstisch sitzen und schweigen, während meine Cousine ihre Kinder in dem Wissen großzieht, dass sie einen Mann unterstützt, der ihre Rechte offen missachtet?
„Wie können Menschen, die meine Werte geprägt haben, jemanden wie Trump tolerieren – geschweige denn für ihn stimmen?“, bringt es mein Cousin Matt (36) auf den Punkt. Matt lebt in Philadelphia und schreibt mir, dass er seiner Tochter beibringen möchte, WIE man denkt - nicht WAS man denkt. Aber auch ihm scheint das in der Realität der USA unmöglich: „Es ist bedauerlich, dass echte Probleme nicht zur Debatte stehen. Ich würde gerne eine ernsthafte Diskussion führen. Leider geht es in dieser Wahl um Fragen wie ‚Sollte ein Kandidat die Ergebnisse einer Wahl akzeptieren?‘ oder ‚Sollten Frauen die Autonomie über ihren Körper haben?‘“
Was das Ganze für mich unverständlich macht, ist die Tatsache, dass uns nie ein Grund genannt wurde, warum für Trump gestimmt wurde. Zitate, Fotos und kritische Posts über Clinton und Harris wurden geteilt, aber die Frage, warum sie für ihn gestimmt haben, wurde nie beantwortet.
Der große Knall
Die politische Kluft in unserer Familie vertiefte sich spürbar, als meine Mutter 2016 in unserer Facebook-Familiengruppe nach Erklärungen fragte: „Warum wählt ihr Trump? Wie erklärt ihr das euren Kindern?“ Eine Tante antwortete: „Politik und Religion. Lasst das ruhen.“ Mein Onkel forderte uns auf, Negativität und Politik aus der Familiengruppe herauszuhalten. Nun würden folgende Regeln gelten: „Familie - ja, Fotos - ja, Spaß - ja, Politik - nein, Negativität - nein.“ Die Spaltung ging so weit, dass meine Großmutter im November 2016 schrieb: „Ich möchte nicht mit dem Wissen sterben, dass meine Familie wegen einer Wahl gespalten wurde.“
Mit der Zeit ist mein Verständnis immer mehr geschwunden, aber die Liebe ist geblieben, wenn auch in anderer Form. Das ist der Unterschied zwischen Familie und Freundschaft. Bei der Familie lässt man mehr durchgehen, sie kann einen verletzen, aber man hält trotzdem an ihr fest.
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Liebe trotz Spaltung
Die Wahl von Donald Trump war letztlich für viele Familien in den USA ein Wendepunkt – auch für uns. Es ging nicht nur darum, dass sie ihn gewählt haben, sondern wofür er steht: Spaltung, Intoleranz, Hass. Es war schwer zu ertragen, dass Teile meiner Familie diese Haltung unterstützten. Für viele ist Trump ein Kämpfer gegen das Establishment, ein Außenseiter. Doch die Spaltung in den USA ist nicht nur politisch, sondern vor allem moralisch. Ich habe das Gefühl, wir haben den Bezug zueinander verloren.
Unsere gemeinsame Basis war immer meine Großmutter. Sie appellierte an uns, uns nicht spalten zu lassen, und bestand auf unser geplantes Familientreffen, das zu scheitern drohte. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr mein Herz blutet und wie besorgt ich um die Zukunft der USA bin, aber noch mehr um die Zukunft unserer Familie“, schrieb sie einmal. Vor drei Jahren ist meine Großmutter gestorben, und seitdem habe ich das Gefühl, dass sich alle mit politischen Posts zurückhalten. Zu dem Teil der Familie, mit der ich die gleichen Werte teile, habe ich regelmäßigen Kontakt. Der Teil, der weiterhin Trump unterstützt, schickt einmal im Monat das obligatorische Foto der Kinder in unsere WhatsApp-Gruppe.
Und nun? „Es ist hart“, schreibt mein Cousin
Heute bin ich nicht mehr das zerbrechliche 16-jährige Mädchen, das seine Familie romantisiert. Ich erkenne unsere Fehler und akzeptiere sie. Die Fragen, die mich beschäftigen, halte ich möglichst auf Distanz.
„Es ist hart“, schreibt mein Cousin Matt. „Nur wenige sind überzeugte Trump-Unterstützer, aber mit denen, die es sind, versuche ich, Gespräche zu vermeiden. Wenn ein Jahrzehnt mit Trump ihre Meinung nicht geändert hat, werde ich es auch nicht tun.“ Es mag die beste Lösung sein, das Thema in der Familie zu vermeiden, aber tief in mir weiß ich, dass es immer präsent sein wird – wie ein Schatten, der bereit ist, plötzlich hervorzuspringen und mich daran zu erinnern, dass sie Trump gewählt haben.
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