Berlin. Mehr als 31 Prozent für die Rechtsextremen vom „RN“: Das Ergebnis ist eine böse Schlappe für Macron. Doch überraschend kommt es nicht.
Emmanuel Macron zieht die Konsequenzen aus der dramatischen Niederlage seiner Mitte-Partei bei der Europawahl: Frankreichs Präsident hat noch am Sonntagabend Neuwahlen angekündigt. Er habe beschlossen, den Franzosen erneut „die Entscheidung über unsere parlamentarische Zukunft durch die Wahl zu überlassen“, sagte Macron am Sonntagabend. Die Parlamentswahl solle am 30. Juni und 7. Juli stattfinden, kündigte er an – und bezeichnete die Neuwahlen als Vertrauensbeweis für die Französinnen und Franzosen. Er vertraue dem Volk, die „beste Entscheidung für sich selbst und seine zukünftigen Generationen zu treffen“.
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Die rechtsextreme Partei „Rassemblement National“ hat die Europawahl klar für sich entschieden – mit 31,5 bis 32,3 Prozent der Stimmen. Macrons Mitte-Lager landete nur bei etwa der Hälfte, nämlich 15,2 bis 15,4 Prozent. Die Ergebnisse der anderen Parteien in Frankreich:
- Sozialisten: 14 bis 14,2 Prozent
- Rechtsextreme Reconquête-Partei: 5,3 bis 5,5 Prozent
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Es ist ein desaströses Ergebnis für Macron. Gleichzeitig kommt es nicht überraschend. Der „Rassemblement National“ um Marine Le Pen ist Macrons Partei „Renaissance“ schon lange dicht auf den Fersen. Zweimal ist es dem 46-jährigen Macron in der Vergangenheit gelungen, Le Pen in einer Stichwahl um das Amt des Staatspräsidenten abzuschütteln. Dass sie wieder antreten würde, stand immer außer Frage.
Nun findet Le Pen das Lager Macrons in einer deutlich geschwächten Position vor: Seit knapp zwei Jahren hat es in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr. Regieren ließ es sich unter diesen Umständen nur noch schwer. Dabei rissen die Probleme nicht ab. Vor genau einem Jahr boxte Macrons Fraktion die umstrittene Rentenreform durchs Parlament – das Renteneintrittsalter wird seit 1. September 2023 schrittweise von 62 auf 64 Jahre erhöht. Unerhört fanden das viele Franzosen und gingen monatelang streikend auf die Straße. Das Gesetz kam durch, auch weil Macron es mit einem Kniff gar nicht erst zur Abstimmung brachte. Doch der Unmut über die Regierung blieb, zumindest unterschwellig.
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Der Ärger über diese Reform befeuerte die ohnehin schlechte Stimmung, die Emmanuel Macron hervorgerufen und nie in den Griff bekommen hat. Angefangen hat es im November 2018 mit den Protesten der Menschen, die gelbe Warnwesten trugen und jeden Samstag auf die Straßen Frankreichs gingen, teilweise randalierten. Der Auslöser war damals eine Kraftstoffsteuer, die Macron einführen wollte – ein schwieriges Unterfangen, denn die Steuer traf vor allem jene Bürgerinnen und Bürger, die einkommensschwach sind, auf dem Land oder in Kleinstädten mit schlecht ausgebautem Nahverkehr leben und auf das Auto angewiesen sind. Hinzu kommt: Die Menschen bekamen das Gefühl, von den Eliten in Paris und anderen Städten abgehängt zu werden. Die Bewegung war sehr uneinheitlich, Linke wie Rechtsextreme schlossen sich ihr an. Halb Frankreich demonstrierte, so schien es manchmal. Ein Stückweit kam die Regierung den Gelbwesten schließlich entgegen: Die Kraftstoffsteuer wurde an die Entwicklung des Weltmarktpreises für Öl gekoppelt.
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Europawahl 2024: Macron hat den Ruf, ein „Basta“-Machtwort zu schätzen
Doch der Kompromiss konnte die Popularität des Präsidenten nicht steigern. Bei der Europawahl 2019 stimmten 44 Prozent der Gelbwesten-Anhänger für den „Rassemblement National“. Ein Warnsignal. Für Macron war es ein besonders bitteres – war er doch 2017 mit dem Versprechen angetreten, die Rechtsextremen überflüssig zu machen.
Macron machte einen halbgaren Versuch, auf die Menschen zuzugehen. Mit einer Zuhör-Tour wollte er den Menschen im Frühjahr 2023 Gehör schenken. Allerdings konnte er sich auch dabei spitze Bemerkungen nicht verkneifen. Als die Menschen im Elsass ihn mit Kochtopf-Trommelei und Buhrufen begrüßten, sagte er, Kochtöpfe seien für ihn keine Argumente. Wer Kritik übt, fängt sich von Macron schnell den Vorwurf ein, „extrem“ zu sein. Der Versuch zuzuhören ist nach Ansicht vieler Franzosen schiefgegangen. Macron eilt der Ruf voraus, ein „Basta“ zu schätzen.
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Das Land zu versöhnen, hat er nicht geschafft. Die Nachwehen der Corona-Zeit, die Härten der Inflation und den damit einhergehenden Frust der Menschen hat er nicht in ausreichendem Maße lindern können. Möglicherweise auch, weil er keine politische Mehrheit mehr im Parlament besaß. Zugleich versuchte er, die Konflikte in den Banlieues und um die Migration aufzufangen, indem er ein verschärftes Ausländergesetz zur Diskussion stellte. Ein Gericht pfiff die härtesten Passagen zurück, und Macron triumphierte – denn diese Passagen waren Zugeständnisse an die Rechte. Macron konnte nach dem Urteil zeigen: Ein solcher Rechtsruck ist in Frankreich nicht zu machen. Weitergebracht hat ihn das nicht.
Macron steht nun vor einem fundamentalen Problem. 2027 wählen die Franzosen einen neuen Präsidenten. Marine Le Pen wird zum vierten Mal in den Ring steigen – während Macron aus Verfassungsgründen kein weiteres Mal antreten darf. Die Wähler haben ihm nun an der Wahlurne ihr eigenes „Basta“ gezeigt.