Hamburg. Hafen verzichtet auf den urwüchsigen Vollhöfner Wald – und bekommt neue Windräder. Umweltsenator will Köhlbrandbrücke retten.
Für Umweltschützer dürfte es eine gute Nachricht sein, der grüne Umweltsenator Jens Kerstan wertet es als einen Erfolg seiner Partei: Der lange umkämpfteVollhöfner Wald, offiziell ein Teil des Hafens und damit formal frei für wirtschaftliche Nutzung, bleibt erhalten – und wird zu Hamburgs 38. Naturschutzgebiet.
Damit wird das Areal nun auch offiziell aus dem Hafengebiet herausgenommen. Das sagte Kerstan jetzt dem Abendblatt. Damit kommt die Stadt ihrem Ziel immer näher, zehn Prozent ihrer Fläche unter Naturschutz zu stellen.
Vollhöfner Wald: Urwald im Hafen – Hamburg erhält besonderes Naturschutzgebiet
Auf dem laut Umweltbehörde 74,4 Hektar großen Areal auf Altenwerder wachsen und gedeihen Bäume, Wiesen, Beeren, Frösche oder Kröten seit rund 60 Jahren natürlich, weitgehend ohne menschlichen Einfluss. Wer das knallgrüne Gebiet betritt, wähnt sich fast in einem Urwald.
2019 hatten Aktivisten hier Baumhäuser errichtet, um eine Nutzung des Areals an der Straße Vollhöfner Weiden für Hafenlogistik zu verhindern. 2020 vereinbarten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag den Erhalt des Geländes für die Natur.
Hafen Hamburg verzichtet auf Fläche – nutzt aber andere Gebiete auf Altenwerder
„Jetzt haben wir im Senat beschlossen, dass das ganze Gebiet unter Naturschutz gestellt wird“, sagte Kerstan dem Abendblatt.
Umweltbehörde und Wirtschaftsbehörde hätten hier an einem Strang gezogen und diese Entscheidung im Zuge der Verhandlungen über den neuen Hafenentwicklungsplan gemeinsam durchgesetzt, so Kerstan. „Anders als zunächst geplant, wird das Hafengelände dafür aber nicht durch andere Flächen erweitert. Solche Flächen haben wir einfach nicht gefunden.“
Im Gegenzug zur Umwandlung des Vollhöfner Waldes in ein Naturschutzgebiet haben Kerstan und seine Mitstreiter allerdings zugestimmt, dass zwei ebenfalls ökologisch wertvolle Flächen nun wirtschaftlich genutzt werden – allerdings nicht nur für direkte Hafenbelange, sondern auch für neue Windkraftanlagen.
Es geht um das Altenwerder Kirchtal und die Bullerrinne nördlich und westlich des Containerterminals Altenwerder. Dort sollen laut Kerstan drei neue Windräder installiert werden. Außerdem sollen die Flächen für die Hafenbahn, aber auch für Hafenlogistik genutzt werden, so der Senator.
Windenergie: Fünf neue Anlagen entstehen, auch direkt am neuen Naturschutzgebiet
„Auch Kirchtal und Bullerrinne sind ökologisch hochwertige Flächen“, räumt Kerstan ein. „Aber der Vollhöfner Wald ist ein einzigartiger kleiner Urwald.“ Auch dort allerdings, direkt neben dem von Naturschützern liebevoll als „Völli“ bezeichneten Wald- und Wiesenareal, sollen zwei weitere Anlagen entstehen, sodass zeitnah insgesamt fünf neue Windräder im Hafen hinzukommen.
„Dies ist ein guter Erfolg mit Blick auf den Ausbau der Windkraft in Hamburg“, so Kerstan. „Dass die beiden anderen Flächen in Anspruch genommen werden müssen, ist dagegen der Wermutstropfen und der Preis dafür, dass der Völli aus dem Hafen herausgenommen und unter Naturschutz gestellt wird.“
Ein Blick in den Koalitionsvertrag von Rot-Grün von 2020 verrät dabei, dass Kirchtal und Bullerrinne bereits für die Hafennutzung vorgesehen waren – als Ausgleich für den Verzicht der Hafenwirtschaft auf den Vollhöfner Wald. Neu allerdings sei, so Kerstan, dass nun auch die Aufstellung von Windrädern als Hafennutzung gelte. Ziel sei es, dass der Hafen hier selbst Energie für den Eigenbedarf erzeuge.
Köhlbrandbrücke: Umweltsenator fordert, den Erhalt des markanten Baus zu prüfen
Die jetzige Entscheidung sei für Hamburg so oder so ein Novum, sagt der Umweltsenator. „Bisher standen in Hamburg die Belange des Hafens immer zu hundert Prozent im Vordergrund, und es wurde dann irgendein Ausgleich für die Natur gesucht“, so der Senator.
„Diesmal steht der Naturschutz im Vordergrund, und es gibt einen Ausgleich für den Hafen. Faktisch wird das Hafengebiet damit erstmals verkleinert.“ Ob alle Naturschützer Kerstans Deal begrüßen, bleibt abzuwarten.
Der grüne Umweltsenator, ohnedies nicht gerade der Liebling der Hafenwirtschaft, hat dabei auch noch eine dezidierte Meinung zu einem anderen aktuellen Thema: dem Abriss der Köhlbrandbrücke. Den hält er – anders als die Wirtschaftsbehörde – für möglicherweise doch nicht zwingend erforderlich. Kürzlich hatte die „Zeit“ darüber berichtet, dass das zentrale Gutachten aus dem Jahr 2008 gar nicht den Abriss des Bauwerks gefordert habe, wie es jahrelang hieß.
Kerstan: „New York reißt die Brooklyn Bridge ja auch nicht ab, weil sie zu alt ist“
Vielmehr könne der markante Bau, der vielen als ein Hamburger Wahrzeichen gilt, auch erhalten werden. In der Hafenwirtschaft dürfte der Bericht keine Freude ausgelöst haben. Denn die Köhlbrandbrücke verhindert aufgrund ihrer zu geringen Höhe die Zufahrt sehr großer neuer Containerschiffe. Auch deswegen setzt man im Hafen auf eine Tunnellösung oder eine neue höhere Brücke.
„Wenn das Gutachten den Abriss gar nicht fordert, sollte man durchaus noch einmal prüfen, ob ein Erhalt der Köhlbrandbrücke nicht doch möglich ist“, sagte Kerstan. „Das ist jedenfalls meine Privatmeinung. So ein Wahrzeichen sollte man nicht einfach abreißen. New York und San Francisco reißen Brooklyn Bridge und Golden Gate Bridge ja auch nicht ab, weil sie zu alt sind.“ Zudem seien Abriss und Neubau von Brücke oder Tunnel extrem teuer, auch deswegen müsse man darüber in Zeiten sehr knapper Kassen noch einmal nachdenken.
Verkehr Hamburg: „Auch Bau der Autobahn 26 Ost ist nicht mehr zu rechtfertigen“
Auch der Bau der A26 Ost als zweite Köhlbrandquerung sei aus seiner Sicht nicht mehr zu rechtfertigen, so Kerstan. „Man muss sich irgendwann mal ehrlich die Karten legen. Man darf nicht extrem teure, klima- und umweltschädliche Infrastrukturen für Hafen und Verkehre bauen, die man vielleicht in dieser Form gar nicht mehr brauchen wird“, sagt der Umweltsenator.
„Insbesondere finde ich für die Zukunft des Hafens besorgniserregend, dass mit der A26 Ost eine Autobahn kurz vor Baubeginn steht, deren Nutzen für die Hafenwirtschaft begrenzt ist, während bei der existenziell wichtigen Köhlbrandquerung vieles noch unklar zu sein scheint.“