Hamburg. Umweltsenator darüber, was auf Bürger bei Klimaschutz zukommt, über Krankheiten, Mallorca-Flüge, Alkohol – und einen Entschluss.

Er ist eines der dienstältesten Regierungsmitglieder in Hamburg. Zuletzt aber hatte den grünen Umweltsenator Jens Kerstan eine Pechsträhne ereilt – mit einer ganzen Kette von auch schweren Erkrankungen. Im Abendblatt-Interview spricht Kerstan über seinen Krebs, über den Dauerstreit in der Ampelregierung, sein angespanntes Verhältnis zu SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher und die drohende „Trumpisierung“ der deutschen Politik – und darüber, was beim Klimaschutz auf die Hamburger zukommt.

Hamburger Abendblatt: Herr Senator, Sie wurden in dieser Zeitung wegen Ihrer gesundheitlichen Pechsträhne schon als „Hiob des Senats“ bezeichnet. Erst waren Sie 2022 an Krebs erkrankt, dann haben Sie sich den Ellbogen und schließlich den Mittelfußknochen gebrochen. Wie geht es Ihnen heute?

Jens Kerstan: Mir geht es gesundheitlich wirklich gut! Das war keine einfache Zeit, aber zugleich hatte ich Glück im Unglück. Der Krebs wurde bei mir so früh diagnostiziert und operiert, dass ich jetzt als geheilt gelte. Ich brauchte auch keine Chemotherapie oder Bestrahlung. Aber diese Phase hat mein Leben schon verändert.

Inwiefern?

Jens Kerstan: Nach einer Krebsdiagnose legt sich wohl jeder die Karten, was das bedeuten könnte und was im Leben besonders wichtig ist. Und die meisten Menschen stellen dann auch einiges um. Ich habe das auch getan. Durch eine Infektion, die ich dann auch noch bekommen hatte, habe ich sehr stark abgenommen, insgesamt 14 Kilo. Jetzt halte ich das Gewicht, achte mehr auf meine Gesundheit und versuche mehr Zeit für Familie, Freundeskreis und die schönen Dinge im Leben zu reservieren.

Diättipps von Umweltsenator Kerstan: So will er sein Gewicht halten

Wie lauten die Diättipps vom Umweltsenator?

Jens Kerstan: Früher habe ich regelmäßig Diäten gemacht, um abzunehmen, aber das hat nie langfristig geholfen. Jetzt versuche ich einfach, mich gesünder zu ernähren. Ich trinke auch kaum noch Alkohol, in der Woche bis auf wenige Ausnahmen gar nicht mehr. Nach den Knochenbrüchen habe ich mit dem Schwimmen angefangen und will demnächst auch wieder joggen. Außerdem fahre ich viel Fahrrad und mache lange Spaziergänge.

Sie haben nach Ihrer Krebserkrankung gesagt, Sie hätten gerne einen Hund. Haben Sie sich einen angeschafft?

Jens Kerstan: Nein, leider ist das nicht so einfach möglich. Ich lebe ja allein und bin natürlich viel unterwegs und meistens in der Behörde. So ein Tier kann man ja nicht dauernd allein lassen. Und in der Behörde gibt es ein Hundeverbot.

Könnten Sie das nicht ändern?

Jens Kerstan: Nein, nicht einfach so. Das Verbot gilt im ganzen Haus für beide hier ansässigen Behörden, also auch für die Stadtentwicklungsbehörde. Aber vielleicht sollten wir das mal intern ansprechen. Hunde machen doch eigentlich immer gute Stimmung, auch in Büros.

Schon jetzt auf den Hund gekommen scheinen die Grünen im Bund. In den Umfragen geht es bergab, in der Ampel herrscht Chaos, etwa beim Heizungsgesetz, dem GEG – und die AfD ist stark wie nie. Was machen die Grünen falsch?

Jens Kerstan: Wir Grüne haben bei der Debatte sicherlich nicht alles richtig gemacht. Mich hat aber insgesamt wirklich erschüttert, was da in Berlin gelaufen ist – auch meinen Glauben in die Politik. Es ist ja Teil des Spiels, dass unsere politischen Mitbewerber auf die Grünen als starke politische Kraft losgehen. Aber die Diskussion über das Heizungsgesetz wurde von interessierten Parteipolitikern, Vertretern der fossilen Energien und einer investitionsunwilligen Immobilienwirtschaft in Medien dermaßen emotionalisiert und faktenfern geführt, dass man den Eindruck einer Trumpisierung der deutschen Politik bekommen konnte. Dass Klimaschutz eine unabweisbare Notwendigkeit ist, spielte gar keine Rolle mehr.

Das hört sich an, als hätten die grünen Minister keine wesentlichen Fehler gemacht. Dabei wirkte es bisweilen so, als hätten die Grünen die Menschen vergessen, die all ihre Vorgaben bezahlen sollen.

Jens Kerstan: Auch das ist Unsinn. Alle finanziellen Förderungen für die Modernisierungen sind auf Wunsch von FDP-Finanzminister Christian Lindner aus dem GEG herausgenommen worden. Anschließend infrage zu stellen, ob sich die Menschen die Modernisierungen überhaupt leisten können, ist schlichtweg eine Farce. Das hat natürlich die Sorgen und Nöte der Menschen befeuert, anstatt sie zu befrieden. Und ja: Das muss man mit Sicherheit anders machen. Es ist kein gutes Regieren, was zuletzt in der Ampel lief. Olaf Scholz hat mit seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler monatelang tatenlos zugesehen. Das ist krasses Führungsversagen. Er glaubt womöglich, der Streit werde der SPD helfen. Die Umfragen zeigen aber, dass dieses Chaos allen schadet, auch der SPD.

Wie schön, dass es in Hamburg so harmonisch zwischen SPD und Grünen läuft.

Jens Kerstan: Das stimmt. Hier läuft es wirklich gut.

Schade, dass Ironie so selten erkannt wird. Immer wieder gibt es auch in Hamburg offenen Streit zwischen SPD und Grünen. Ihr Verhältnis zu SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher gilt als zerrüttet.

Jens Kerstan: Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Freundschaften zu schließen, sondern um etwas zu bewegen. Mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Senat und Koalition komme ich sehr gut klar, mit anderen pflege ich ein professionelles Verhältnis. Von meiner Seite gibt es keinerlei persönliche Vorbehalte. Und ich muss Ihnen widersprechen: Inhaltlich läuft es tatsächlich wirklich gut.

Umweltsenator Kerstan: Das kommt auf Hamburger beim Klimaschutz zu

Woran machen Sie das fest?

Jens Kerstan: Wir haben in dieser Zweierkoalition viel bewegt für Hamburg: Die Energiewende kommt voran, Klimaschutz und Verkehrswende ebenso, wir werden bald zehn Prozent der Landesfläche unter Naturschutz haben – und Hamburgs Hochschulen sind mittlerweile exzellent. Hamburg steht insgesamt sehr gut da. Nach der Sommerpause werden wir Klimagesetz und Klimaplan beschließen. Und auch für die Klimaanpassung werden wir im zweiten Halbjahr Wichtiges auf den Weg bringen. Hamburg muss sich auf die Klimakatastrophe vorbereiten, denn die ist leider nicht mehr vollständig abzuwenden – wir sind mittendrin.

Was genau erwartet die Hamburgerinnen und Hamburger jetzt?

Jens Kerstan: Neben der Solardachpflicht bei Neubauten, die seit diesem Jahr gilt, ziehen wir die Photovoltaikpflicht von 2025 auf 2024 vor, wenn das Dach bestehender Gebäude neu gemacht wird. Beim Heizungstausch werden die bisherigen Hamburger Regelungen durch die Bundesgesetze ersetzt. Klimaanpassung ist neben Klimaschutz das Zukunftsthema. Dabei geht es vor allem darum, die Stadt für Starkregen fit zu machen, Wasser zu sparen und für ein kühles Stadtklima an heißen Tagen zu sorgen – etwa durch Dach- und Fassadenbegrünung. Wir müssen die grün-blaue Infrastruktur aus Grünanlagen, Parks und Gewässern nicht nur erhalten, sondern auch ausbauen und widerstandsfähiger machen. Hier passiert schon ziemlich viel. Bäume spielen dabei natürlich auch eine riesengroße Rolle, dafür muss ich im Senat noch kräftig werben.

Wird Hamburg die von Hauseigentümern verlangten Veränderungen finanziell unterstützen?

Jens Kerstan: Hamburg wird die Bundesförderung gegebenenfalls, wenn sie denn endlich vorliegt, an der ein oder anderen Stelle sinnvoll ergänzen.

Zurück zur Stimmung im rot-grünen Senat: Es heißt, Bürgermeister Tschentscher würde nicht mehr mit Ihnen sprechen und Sie nicht mal grüßen.

Jens Kerstan: Was Sie alles hören. Er ist unser Erster Bürgermeister, und ich arbeite im Senat professionell zusammen.

Sie gelten als streitbar, vielleicht sogar streitlustig, als einer, der auch gerne mal Ärger macht und andere aufregt – offenbar auch Tschentscher. Ärgert Sie dieses Image?

Jens Kerstan: Wenn Sie diesen Ruf einmal haben, dann werden Sie den auch nicht mehr los. Es soll ja auch Journalisten geben, denen dieses Image anhaftet. Die Wahrheit ist: Ich setze mich für die Sache ein, für Klima- und Umweltschutz, für saubere Luft und weniger Lärm. Da muss man schon mal harte Auseinandersetzungen führen, denn natürlich gibt es da Interessenkonflikte. Das gehört zur Politik. Persönlich bin ich ein fröhlicher, freundlicher und harmoniebedürftiger Mensch.

Kerstan dachte nach Krebsdiagnose ans Aufhören in der Politik

Sie werden kritisiert, weil Sie oft nach Mallorca fliegen, auch jetzt in den Sommerurlaub. Ist das als Klimasenator vertretbar?

Jens Kerstan: Meine Familie hat dort ein Haus, deswegen verbringe ich häufiger Urlaub dort. Leider kommt man ja nur mit dem Flugzeug hin. Ich habe jetzt zum Ausgleich für diese Sünden Anteile an einer Genossenschaft erworben, die mit dem eingenommenen Geld abgeholzte und abgebrannte Regenwaldgebiete in Panama wieder aufforstet. Dieser Wald wird vor Ort nachhaltig und regenwaldnah bewirtschaftet und schafft damit vor Ort dringend benötigte Arbeitsplätze und Einkommen.

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Mittlerweile sind Sie einer der dienstältesten deutschen Umweltminister. Haben Sie noch die Kraft und Motivation für die täglichen Schlachten der Politik?

Jens Kerstan: Als ich die Krebsdiagnose bekam, habe ich darüber nachgedacht, ob ich aufhören sollte. Aber dann habe ich mich dagegen entschieden. Wir leben in einer sehr wichtigen und spannenden Zeit. Jetzt werden in Europa, im Bund und in Hamburg wesentliche Weichen gestellt. Es geht um die überlebenswichtige Frage, wie wir künftig im Einklang mit dem Planeten leben können. Die Grünen sind Teil der Bundesregierung, dadurch können wir viel mehr bewegen als in der Vergangenheit. In dieser Zeit würde ich gerne mit meiner langjährigen Erfahrung noch weiter ein wenig mithelfen.

Auch wieder als Senator nach der Bürgerschaftswahl 2025?

Jens Kerstan: Wenn wir die Chance bekommen, erneut mitzuregieren und meine Partei sich das wünscht, stehe ich auch nach 2025 zur Verfügung.