Hamburg. Hamburgs Zweite Bürgermeisterin über den Lockdown, fehlenden Mut zu Firmengründungen und Streit um Finanzierung der Hochschulen.

Es sind bewegte Tage für die Politik – die Corona-Lage dominiert alles. Auch das Thema Wissenschaft muss beim Gespräch mit der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) im Rathaus zunächst zurücktreten.

Noch zehn Tage bis Weihnachten. Wie werden Sie – nach den am Sonntag verkündeten Verschärfungen – die Feiertage verbringen?

Katharina Fegebank Weihnachten bedeutet mir sehr viel. Es war immer ein wichtiger Bezugspunkt für mich, dass ich Heiligabend in Schleswig-Holstein mit meinen Eltern feiere, selbst als ich im Ausland oder in Süddeutschland gelebt habe. Zu diesem Beisammensein gehören traditionell immer ein kleiner Weihnachtsbaum, eine Bescherung und Gänsebraten, Rotkohl und Klöße. So wünsche ich es mir eigentlich auch dieses Mal. Mit Blick auf die Infektionszahlen und die aktuellen Beschlüsse werden mein Mann, die Zwillinge und ich womöglich doch alleine in Hamburg feiern.

Wir leben seit Anfang November mit einem Lockdown light. Warum gelingt es uns nicht, die Zahlen zu senken?

Es lässt sich nicht genau sagen, was das Infektionsgeschehen besonders antreibt: Es gibt Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen, hier und da auch in Krankenhäusern. Ansonsten kommt es zu sehr vielen Ansteckungen im privaten Bereich. Es ist eine besondere Gemengelage. Womöglich hat man das Bedürfnis der Menschen nach sozialen Kontakten und Nähe gerade in der Vorweihnachtszeit etwas unterschätzt. Ich kann dieses Bedürfnis nachvollziehen – aber es ist kon­traproduktiv bei der Bekämpfung der Pandemie. Deshalb haben wir an weiteren Stellschrauben gedreht und werden das öffentliche Leben herunterfahren. Mit der Botschaft, auch wenn es einige nervt: Leute, bitte bleibt jetzt zu Hause.

Wie lange können wir einen harten Lockdown durchhalten?

Nach unseren Beschlüssen werden wir bis Mitte Januar in einen harten Lockdown gehen. Meine große Hoffnung ist, dass dieses Zeitfenster reicht, um die Infektionszahlen substanziell zu senken. Für die Schulen und Kitas kommen nun auch wieder große Herausforderungen auf uns zu. Wir werden ab Mittwoch die Anwesenheitspflicht in Schulen aussetzen. Für die, die dringend ein Angebot brauchen, wird es Betreuung geben, auch um gravierende soziale Auswirkungen zu vermeiden. Es gibt Familien, in denen eine Betreuung der Kinder nicht gewährleistet ist, in denen wenig oder gar kein Deutsch gesprochen wird. Vor allem diese Kinder könnten zurückfallen, wenn ihnen die Impulse aus der Schule fehlen.

Halten Sie das Vorgehen Ihres grünen Parteifreundes Boris Palmer in Tübingen für nachahmenswert, den Schutz der Alten und Vorerkrankten in den Mittelpunkt zu stellen? Dort erhalten Menschen über 65 eine kostenlose Erstausstattung mit FFP2-Masken. Laut Palmer soll es in den vergangenen Monaten keinen Corona-Fall bei Heimbewohnern über 75 Jahren gegeben haben.

Wenn sich das so bestätigt, ist es beeindruckend, was Tübingen erreicht hat. Es ist allerdings ein Weg, den man in einer Stadt von dieser Größe gehen kann. Auch wenn wir in Hamburg nicht genauso vorgehen können, ist der Schutz der älteren Bevölkerung hier ebenfalls ein wichtiger Teil der Agenda, den die Gesundheitsbehörde zuletzt noch stärker als schon zuvor in den Fokus genommen hat. Hamburg hat schon weit vor dem aktuellen MPK-Beschluss die Anwendung von Corona-Schnell- bzw. Antigentests in Pflegeeinrichtungen eingeführt.

Hamburg hat sich darauf eingestellt, dass ab Mitte Dezember in den Messehallen mehr als 7.000 Menschen pro Tag gegen Corona geimpft werden können. In Großbritannien wird schon geimpft. Ärgert es Sie, dass die Zulassung der Impfstoffe durch die europäische Arzneimittel-Agentur so lange dauert?

Hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Die ersten Corona-Impfstoffe sind in atemberaubender Geschwindigkeit entwickelt und in klinischen Studien erprobt worden. Das ist nach höchsten wissenschaftlichen Standards erfolgt. Aber viele Menschen stellen sich dennoch Fragen zur Wirksamkeit, Sicherheit und zu möglichen Nebenwirkungen. Dass es dabei ein Unbehagen gibt, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Ich habe Verständnis für Leute, die kritisch nachfragen. Wir benötigen mindestens 60 Prozent der Bevölkerung, die bereit sind, sich impfen zu lassen, sodass wir eine gute Chance haben, auf diesem Wege zusätzlich die Infektionsketten zu brechen. Das wird bestenfalls erst bis Ende 2021 oder später möglich sein. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir jetzt die Impfbereitschaft nicht gefährden und für Vertrauen in staatliches Handeln sorgen.

Lassen Sie sich gegen Corona impfen?

Ja. Ich habe großes Vertrauen in die Wissenschaft und die Wirkstoffe.

Der Impfstoff von Biontech wurde in Deutschland entwickelt – notiert wird das Unternehmen aber an der US-Börse Nasdaq. Warum schaffen wir es oft nicht, unsere herausragende Grundlagenforschung stärker in Wertschöpfung in Deutschland umzusetzen?

Verschiedentlich haben wir das schon geschafft, wenn auch in Bayern und Baden-Württemberg häufiger als bei uns im Norden. Es hängt wohl auch mit der Mentalität zusammen und womöglich auch mit an einem Mangel an Mut. In den USA, in Großbritannien und Israel funktioniert es viel besser, aus der Grundlagenforschung heraus Firmen zu gründen und solche Start-ups zu fördern. Die damit verbundene Risikobereitschaft gibt es in diesem Maße hierzulande bei vielen Firmen und in der Politik nicht.

Hamburg ist mit einigen großen Playern der Branche – Evotec, Beiersdorf, Eppendorf AG – nicht schlecht aufgestellt. Evotec-Chef Lanthaler sagte im Abendblatt-Interview: „Wir müssen Hamburg nicht besser machen, das ist nicht meine Mission.“ Müsste es nicht die Mission des Senats sein, den Standort besser zu machen?

Wir machen das bereits etwa mit „Innovation-Scouts“, die an den Hochschulen nach vielversprechenden Ansätzen suchen und Start-ups von der Idee bis zur Gründung unterstützen. Das sind noch zarte Pflänzchen. Im Rahmen unserer Clusterpolitik wollen wir Wirtschaft und Wissenschaft in Hamburg noch stärker vernetzen. Dazu eignet sich die geplante Science City Bahrenfeld in besonderem Maße. Aber wir müssen ein paar Gänge hochschalten und noch sehr viel besser werden.

Sie verhandeln seit Monaten mit den staatlichen Hamburger Hochschulen über deren künftige Grundfinanzierung. Das Angebot Ihrer Behörde für die „Zukunftsverträge“ vor einigen Wochen war aus Sicht der Hochschulchefs allerdings noch so schlecht, dass diese sich öffentlich „in großer Sorge um den Wissenschaftsstandort“ zeigten. Gab es keinen Spielraum, den Hochschulen weiter entgegenzukommen?

Ich habe die Verhandlungen gerade in den vergangenen Tagen als sehr kon­­­struktiv und nach vorne gerichtet erlebt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir vorstellen, wie diese Vereinbarungen aussehen. In einer Zeit, die von großer Verunsicherung für viele Branchen geprägt ist, bieten wir den Hochschulen sieben Jahre lang eine verlässliche, aufwachsende Finanzierung. Da machen wir einen Riesensprung nach vorn. Und das ist nur die Grundlage. Denn darüber hinaus vereinbaren wir mit jeder Hochschule ihren individuellen Entwicklungspfad. Man muss natürlich darüber sprechen, vor welchen finanziellen Herausforderungen die Hochschulen stehen, die aber größtenteils mit der Vergangenheit zu tun haben. Aber da wollen und werden wir Lösungen finden.

Das Wintersemester werde als „Hybridsemester“ stattfinden, mit „so viel Präsenz wie möglich und so viel digitaler Lehre wie nötig“, hatten Sie im Herbst angekündigt. Nun läuft das Studium aber zum größeren Teil digital. Wie lange soll es noch dabei bleiben?

Ich hoffe, dass wir im Sommersemester wieder eine andere Lage haben werden und dieses als echtes „Hybridsemester“ stattfinden kann – wenn nicht sogar wieder deutlich mehr Präsenzveranstaltungen möglich sein werden. Die Hochschulen planen allerdings wieder zweigleisig.

Im Wissenschaftsausschuss haben die Hochschulen zuletzt erklärt, dass ihre IT-Ausstattung für die digitale Lehre erheblich ausgebaut werden müsste. Hat die Wissenschaftsbehörde zu spät auf die Corona-Krise reagiert und die Hochschulen zu wenig mit Mitteln für die Digitalisierung unterstützt?

Wir haben den Hochschulen und Universitätsbibliotheken im Sommer als Ausgleich für ihre coronabedingten Aufwendungen 15,4 Millionen Euro für die digitale Lehre zukommen lassen. Das war die erste Tranche. Wir sind jetzt dabei, uns die weiteren Bedarfe anzugucken. Dass wir dabei nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, halte ich für nachvollziehbar. Ich kämpfe wie eine Löwin dafür, dass unser Etat weiter wächst und wir das „Zukunftsressort“ so ausstatten, dass Hamburg insgesamt profitiert. Aber es gibt auch an anderen Stellen den Wunsch, dass es vorangeht, etwa in den Schulen und in der Kultur.

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Diese Kostensteigerungen sind nicht akzeptabel für uns. Alle Versäumnisse und Fehler in der Vergangenheit liegen klar bei den beauftragten Planungsfirmen. Wir sind bereits dabei, diese Firmen zu verklagen – und wir fordern Schadensersatz, wobei wir schon einen ersten Erfolg vor Gericht erzielt haben. Klar ist: Wir wollen den Schaden so gering wie möglich für die Steuerzahler halten.

Ein Ausblick: Welche Wissenschaftsthemen sind 2021 in Hamburg besonders wichtig?

Ich hoffe, dass wir einen großen Schritt nach vorne machen was das „Evolutioneum“, das geplante neue Hamburger Naturkundemuseum angeht. Wir gehen weiter von einer raschen Unterzeichnung eines Staatsvertrags mit NRW für die Zusammenführung des Centrums für Naturkunde mit dem Bonner Museum Koenig in einem neuen Leibniz-Institut aus. Parallel suchen wir nach einem prominenten und gut erreichbaren Standort für das Gebäude. Die Verbindung von Museum und Forschungseinrichtung bringt Hamburg nach vorne. Gut vorankommen sollten wir auch bei der Planung der Science City Bahrenfeld, wo Hamburg zeigen kann, was unsere Wissenschaftler zum Wohl der Gesellschaft leisten, etwa für die Medikamentenentwicklung bei Desy und in den Naturwissenschaften. In Bahrenfeld haben wir die großartige Gelegenheit, mit Wissenschaft und Innovation Wohlstand und Wachstum zu sichern. Sehr wichtig ist zudem die Entwicklung von Oberbillwerder zu Hamburgs 105. Stadtteil, in dem die HAW einen Gesundheitscampus bekommen soll und die Stadtteilentwicklung nach vorne bringen wird.

Ihre Senatskollegin und grüne Parteichefin Anna Gallina steht erneut unter Druck. War es ein Fehler, eine so umstrittenen Parteichefin mit in den Senat zu nehmen?

Ich kenne Anna Gallina schon sehr lange als hoch engagierte Politikerin und schätze sie und ihre Arbeit. Aufgrund einer Strafanzeige der grünen Fraktionsspitze im Bezirk Mitte gibt es jetzt Ermittlungen wegen mutmaßlicher Veruntreuung gegen den ehemaligen dortigen Fraktionsvorsitzenden und ihren Ex-Partner Michael Osterburg. Die Ermittlungen richten sich nicht gegen Anna Gallina, die sich zuletzt am Freitag zu dieser Angelegenheit öffentlich erklärt hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Ermittlungen sehr sorgfältig geführt werden.