Hamburg. Der Wechsel des streitlustigen BUND-Chefs in die Umweltbehörde empört die SPD und erfreut die Grünen. Der Grundkonflikt.

Nehmen wir mal an, der Name würde einem nichts sagen. Dann erschiene einem beim Blick auf die Vita von Manfred Braasch wohl bloß ein ziemlich bodenständiger Mann in den besten Jahren. Aufgewachsen in Itzehoe als Sohn eines Bahnbeamten, Druckerlehre, Studium der Ökotrophologie, verheiratet, zwei Töchter, Häuschen in Lüneburg, ein paar Jahre Geschäftsführer der Verbraucherzentrale in Stuttgart und seit 1996 des Naturschutzverbandes BUND in Hamburg.

Keiner, der Barrikaden anzündet, sondern einer, der gerne fotografiert, Venedig, Hiddensee und Nudeln liebt – und die Abwechslung. Deswegen tritt er auch mal als Zauberer auf, schreibt Krimis oder bedruckt in seinem Keller Gegenstände, die er so zu Kunstwerken geadelt im Museum der Arbeit in Hamburg ausstellt.

BUND-Chef Braasch machte Olaf Scholz zu schaffen

Das hört sich eher harmlos an, und doch erregt der 57-Jährige seit Jahren die Hamburger Gemüter und lässt SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher und seine Genossen – wie in dieser Woche – geradezu aufjaulen, wenn sein Name fällt. Das liegt vermutlich daran, dass Braasch seinen Job ziemlich gut macht – jedenfalls aus Sicht seines Brötchengebers. Und zu diesem Job gehörte es, den Regierenden das Leben schwer zu machen.

Seit 25 Jahren ist der Vegetarier Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg, der sich als Anwalt der Natur versteht. In dieser Zeit hat er die Elbvertiefung mit immer neuen Klagen verzögert, die Stadt zu strengeren Maßnahmen gegen Luftverschmutzung gezwungen, das Wohnungsbauprogramm als übermäßig und neue Autobahnen als schädlich kritisiert – und Hamburg 2013 gegen den Willen des damaligen SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz per Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze gezwungen.

Braasch übernimmt Position in Klimabeirat

Das war stets kompromisslose Lobbypolitik für Schierlingswasserfenchel, für Stinte oder mehr Klimaschutz. Und natürlich hat Braasch das den Vorwurf eingetragen, er und die Umweltverbände vergäßen in ihrer schönen grünen Welt die Menschen, ihre Nöte und ihre Bedürfnisse. So, als seien unter Gottes bewölktem Himmel seltene Larven oder Löffelenten das moralische Maß aller Dinge, Arbeitsplätze und Energiepreise aber egal.

Kein Wunder, dass sich vielen in Hafen, Wirtschaft oder der SPD wahlweise die Nacken- oder Nasenhaare aufstellen, wenn der Name Braasch fällt. In dieser Woche geschah das in einem ganz neuen Zusammenhang: Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan verkündete am Dienstag, dass Braasch vom Juli an für seine Behörde arbeiten wird – als Leiter der Geschäftsstelle des neuen Klimabeirates.

Tschentscher hält wenig von Braaschs Wechsel

In dem Gremium sitzen 15 Wissenschaftler, die die Stadt bei der Umsetzung des Klimaplans beraten sollen. Braasch soll die Arbeit nun koordinieren. Dafür sei er als „hervorragender Kenner der Klimapolitik“ bestens geeignet, so Kerstan. Das sieht man in der SPD völlig anders. Nachdem das Abendblatt am Dienstag schon früh morgens exklusiv über die Personalie berichtet hatte, schlugen die Wellen hoch.

In der Senatsvorbesprechung machte Bürgermeister Tschen­tscher deutlich, dass er wenig von der Entscheidung halte. Das ließ er auch in der Landespressekonferenz durchblicken. Die Stellenbesetzung habe ihn „überrascht“ sagt er. Braasch habe ja eine „gewisse Vorgeschichte“. Aus seiner neuen Rolle ergäben sich nun „neue Loyalitätspflichten“, betonte Tschentscher.

Industrieverband reagierte auf Stellenbesetzung

Gunther Bonz, Chef des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, hatte der „Bild“ da bereits erklärt, dass Braaschs Wechsel in die Kerstan-Behörde eine „Zeitenwende“ markiere – und sich boulevardöffentlich gefragt, wie Hamburg nun wohl in Zukunft noch seinen Wohlstand erwirtschaften werde. Auch der Industrieverband reagierte prompt. „Hamburgs Industrie ist Spitzenreiter beim Klimaschutz, deshalb freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit Manfred Braasch“, sagte dessen Vorsitzender Matthias Boxberger – fügte aber auch die Frage an, „ob die Umweltbehörde nun zum Selbstbedienungsladen für die Grünen und befreundeter NGOs wird“.

Handelskammer-Präses Norbert Aust will dem neuen Mann offenbar eine Chance geben. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, sagte er dem Abendblatt. „Man kann nur hoffen, dass Herr Braasch seine Rolle annimmt und den Rollenwechsel hinbekommt.“ Für CDU-Fraktionschef Dennis Thering zeigt die Personalie, dass sich „grüner Filz munter fortsetzt“.

Braasch attackierte Herzensprojekte der SPD

Dass Braasch auch in der SPD nicht beliebt ist, hat damit zu tun, dass er mit dem BUND stets auch deren Herzensprojekte attackierte: Elbvertiefung und Wohnungsbau etwa. Zum anderen ist den Genossen daran gelegen, die ehrgeizigen Klimaschutzziele zusammen mit der Wirtschaft zu erreichen – und nicht gegen sie. Schon Olaf Scholz setzte stets auf „ingenieurgetriebenen Umweltschutz“, also die Hoffnung, man könne Umwelt und Klima vor allem durch neue Technologien schützen und müsse den Menschen nicht zu viele Verhaltensänderungen zumuten. In diesem Konzept hat Polarisierung keinen Platz.

„Ich habe ein äußerst angespanntes Verhältnis zum BUND und finde es schwierig, dass ein Lüneburger Politik in Hamburg macht“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem Abendblatt denn auch. Man habe die Chance, dass in Hamburg „ganz viele an einem Strang ziehen“, so Kienscherf. Diese Möglichkeit gefährde man, wenn nun ein Polarisierer wie Braasch den Ton mitbestimme. Dessen Berufung sei mindestens ein „Nadelstich“ des Umweltsenators gegen die SPD, im Grunde ein „Affront“. Gleichwohl werde die SPD die Besetzung hinnehmen müssen – zumal sie eine grüne Behörde betrifft und es sich formal um keine hochrangige Stelle handelt.

Grünen amüsiert über Reaktionen von SPD

Bei den Grünen zeigte man sich irritiert bis amüsiert über die Reaktion der Genossen. Es sei erstaunlich, was für ein Gewese die SPD um die Besetzung einer mit E 14 nur mittelmäßig dotierten und formal als „Sachbearbeiter“ ausgewiesenen Stelle mache. Zudem habe sich Braasch ganz normal auf die im März ausgeschriebene Position beworben. Das Gezeter zeige doch bloß, wie nervös die Genossen angesichts schlechter Umfragewerte vor der Bundestagswahl seien. Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen nannte den Seitenwechsel des Ökofunktionärs eine „super Sache“.

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Mit seiner Fachkompetenz stärke er jetzt den Klimaschutz als Mitarbeiter der Stadt – „darüber können sich alle freuen, denen das Erreichen der Klimaziele wichtig ist“. Dabei ist natürlich auch den Grünen klar, dass der Braasch-Coup einen hohen symbolischen Wert hat. Er soll wohl auch zeigen, wie ernst man es mit dem Klimaschutz meint – auch wenn dessen Umsetzung den Hamburgern mehr abverlangen wird, als sich viele bisher ausmalen.

Zoff zwischen Grünen und SPD

Viele Grüne sprechen der SPD bei dem Thema die Ernsthaftigkeit ab. Bürgermeister Tschentscher reklamiere das Thema ständig für sich und habe getwittert, Hamburg solle die erste klimaneu­trale Metropole Europas werden – wenn es aber um Geld oder Stellen für den Klimaschutz gehe, stelle er sich quer. „Die SPD-Leute reden immer vom Klimaschutz, aber wehe es soll irgendwo mal eine Fahrspur wegfallen“, lästern Grüne. „Das geht dann natürlich auf keinen Fall.“ Mithin: Die Grünen glauben nicht an die SPD-Idee, dass neue Technologien reichten, um den Planeten zu retten – die Menschen müssten auch ihr Verhalten ändern, sonst gehe es nicht.

Die Genossen kontern die grünen Angriffe gerne mit Gegenattacken: Kerstan lege immer wieder Konzepte vor, die kritischen Nachfragen des Bürgermeisters gar nicht standhielten, heißt es aus der SPD. Tschentscher gehe es eben auch um sauberes Handwerk.

„Die Umweltszene verliert mit Braasch eine Ikone“

Für Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch ist der Braasch-Wechsel eine „geniale Entscheidung“. Er sorge aber auch für weniger Druck von außen auf den Senat – was für die Sache nicht gut sei. Malte Siegert, Vorsitzender des Umweltverbandes Nabu, sieht das ähnlich. „Mit Manfred Braasch verliert die Hamburger Umweltszene eine Ikone“, so Siegert. Er werde aber auch auf der neuen Stelle gute Arbeit für den Arten- und Klimaschutz in Hamburg leisten.

Die Vorsitzende des BUND, Christiane Blömeke, sagte, sie sei ebenso überrascht wie traurig, dass Braasch gehe. Offenbar sucht man nun eine jüngere Frau als Nachfolgerin. Mancher im Rathaus fürchtet schon, der BUND könne durch eine Machtübernahme der jungen Wilden noch streitlustiger werden – und damit noch schwieriger für die Politik.

Braasch will sich für Klimaschutz in Hamburg einbringen

Braasch selbst begründet seinen Wechsel damit, dass er nach 25 Jahren BUND einfach noch einmal etwas anderes machen wolle. „Ich habe beim BUND eine Funktion ausgeübt und den Verband und seine Ziele mit Engagement nach außen vertreten“, sagte er dem Abendblatt. „Nun wechsle ich in die Behörde und werde mich genauso engagiert in mein neues Aufgabenfeld als Mitarbeiter des öffentlichen Diensts einbringen – also für mehr Klimaschutz in Hamburg. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Schwingt sie da womöglich schon mit – die vom Bürgermeister eingeforderte neue Loyalität des Manfred Braasch gegenüber den Regierenden?