Warschau. Öl und Gas nach Deutschland bringen – damit macht man in Russland nicht mehr das große Geld. Der Kreml zielt auf ein anderes Feld ab.
Das Kraftwerk Turów, majestätisch im Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland gelegen, zählt mit seiner Braunkohleförderung zu den Giganten der polnischen Energieversorgung. Es leistet einen Beitrag von bis zu fünf Prozent des polnischen Stroms und ist die Lebensader für Millionen und ist nach Größe das viertgrößte Kraftwerk des Landes. Es stellt mit seiner Braunkohle drei bis fünf Prozent der Stromversorgung in Polen sicher. Doch der Takt der Zeit fordert seinen Tribut: Die Dekarbonisierung kündigt das Ende der Ära Turów an, die Stilllegung ist in spätestens zwei Jahrzehnten anvisiert, könnte aber der Umwelt zuliebe deutlich früher erfolgen.
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Was wird das riesige Kraftwerk ablösen? In den Fokus rücken nun alternative Energieträger wie Wind und Sonne. Mit ihnen wollen gleich mehrere Unternehmen das Energieschwergewicht Turów beerben. Doch sie haben einen Makel: Hinter verschlossenen Türen sind sie mit russischen Machtzirkeln verwoben und stehen Oligarchen mit besten Beziehungen in den Kreml nahe. Die Energiepioniere im Land haben aufgrund fehlender Konkurrenz freie Hand in der Region und machen aus ihren Ambitionen, das Kraftwerk Turów zu ersetzen, keinen Hehl.
Polen: Oligarchen aus Russland nehmen Einfluss – bis nach Deutschland
Die vergangene polnische Regierung unter Führung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) zeigte sich als Förderer von regenerativen Technologien. Lokalpolitiker und staatliche Behörden begrüßten die ehrgeizigen Projekte; man dachte, nun strategische Weichen für Polen stellen zu können. Sie schütteten Subventionen und Darlehen großzügig aus – das Investment beläuft sich auf Summen jenseits der Viertelmilliarde Zloty (57,7 Millionen Euro). Hier verdichtet sich das Bild eines engen Netzes zwischen Firmen, die mit russischem Kapital operieren, und den staatlichen Fördertöpfen, die ironischerweise oft durch EU-Gelder gespeist werden, gedacht zur Linderung der Energieabhängigkeit von Russland.
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Solarzellen und Windräder sollen langfristig die Region prägen. Schon jetzt pumpen Kraftwerke mit einer Kapazität von 100 Megawatt frischen Strom in die Netze. Weitere Projekte mit einer Gesamtkapazität von 500 Megawatt nehmen derzeit den Weg durch die Genehmigungsinstanzen. Strategisch um die Hochspannungsadern drapiert, die die Energie aus Turów und auch zwischen Deutschland und Polen transportieren, bricht hier eine neue Ära der Energieversorgung an.
Doch Russland hat auch hier seine Finger im Spiel. Ein prominentes Beispiel ist ZKlaster im Bezirk Zgorzelec (nahe dem sächsischen Görlitz), der Firmenname steht für „Zgorzelecki Klaster Rozwoju Odnawialnych Źródeł Energii i Efektywności Energetycznej“, zu deutsch: „Zgorzelec Cluster für die Entwicklung von erneuerbaren Energiequellen und Energieeffizienz“.
Russlandnahe Unternehmen agieren in Polen – Kontakte bis in den inneren Zirkel um Putin
Hilfe für die russlandnahen Energieunternehmen formiert sich unter anderem in der Nationalen Kammer der Energie- und Erneuerbare-Energien-Cluster (polnische Abkürzung: KIKE OZE), deren Wortführer gleichzeitig die Interessen der mit Russland verbandelten Firmen vertreten. Sie erscheinen als Sachverständige vor dem polnischen Parlament, verwenden eigene Medienkanäle und starten Initiativen im Bildungsbereich.
Wie so oft in solchen Geschichten ergibt sich ein Bild, das an die verschachtelten Ebenen russischer Matrjoschka-Puppen erinnert, mit Protagonisten wie dem Vorsitzenden der KIKE OZE, Albert Gryszczuk, und Agnieszka Spirydowicz, Vorsitzende des ZKlaster. Gryszczuk ist 51 Jahre alt und gelernter Automechaniker. 2016 stieg er ins Geschäft mit erneuerbaren Energien ein. Bei beiden Personen handelt es sich um Geschäftsleute mit undurchsichtigen Netzwerken bis ins Herz des Kremls, bis zum inneren Zirkel von Präsident Wladimir Putin.
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Zu nennen wäre etwa ihr Geschäftspartner Robert Szustkowski, der seit den 1990er Jahren eng mit Russland und der nationalen Wirtschaft verknüpft ist. Er vertrat in der Vergangenheit die Interessen des russischen Geschäftsmannes Andrej Skocz und Oligarchen des Kremls, die von westlichen Sanktionen betroffen waren. Dies haben polnische Gerichte bestätigt und damit Journalisten Recht gegeben, gegen die Szustkowski geklagt hatte. Über seinen Kunden Andrej Skocz weiß man seit Recherchen des Chodorkowski-Zentrums, dass er mit der mächtigen russischen Solnzewo-Bruderschaft verbandelt war, die der russischen Mafia zugerechnet wird. Außerdem soll er Verbindungen zum russischen Geheimdienst GRU haben.
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Russische Mafia-Leute machten sich in Polen breit – mit mächtigem Netzwerk
Szustkowski fungierte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Vorsitzender der Montazpiecbank, die von Mitgliedern der Solnzewo-Bruderschaft und der russischen Regierung kontrolliert wurde. Ziel der Bank war es, Polen wieder an Russland anzubinden. Szustkowski stand auch der sogenannten „Radius-Gruppe“ vor, die auf dem polnischen Immobilienmarkt agierte. Aus der Gruppe entsprang auch Jacek Kotas, der spätere Vize-Verteidigungsminister unter der ersten PiS-Regierung (2006-2007). Kotas galt als „russisches Bindeglied“. Aus der „Radius-Gruppe“ heraus entstanden auch Unternehmen, die eines der Restaurants betrieben, in denen polnische Politiker der Opposition abgehört wurden. Die Abhöraffäre sorgte 2014 für ein politisches Beben in Polen. Für all das steht Robert Szustkowski. Er lebt heute in der Schweiz und kümmert sich offiziell ums Segeln und um Rallyes.
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Mit dem polnischen Geschäftsmann Albert Gryszczuk verbindet ihn die Leidenschaft für den Sport. Seit Jahren starten sie gemeinsam bei Rennen und Regatten. Gleichzeitig ringen sie auch auf staatlicher und auf EU-Ebene um Mittel für ihre Projekte.
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Die polnische Gegenspionage nimmt derweil die Aktivitäten dieser mit Russland verbündeten Akteure scharf ins Visier. Denn ihr Gebaren wird nicht für trivial gehalten. Die Entwicklung erneuerbarer Energien bietet Russland eine unerwartete Spielwiese im geopolitischen Kräftemessen Europas – ein Sektor, den es zu bespielen und auszubauen gilt. „Mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche und geopolitische Situation, also der Rückzug Europas aus dem russischen Gasmarkt, sucht Russland derzeit neue Lösungen und Wege zur Entwicklung“, sagt Jacek Dobrzynski, Sprecher des Ministers für Geheimdienste. Diese Nische sei der Sektor der erneuerbaren Energien – „nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa“.
*Dieser Artikel stammt aus der polnischen Wochenzeitschrift „Newsweek“. Der hier präsentierte Text ist eine Zusammenfassung eines ausführlicheren Stücks, das in „Newsweek“ erschienen ist.